Standpunkt – Präs. Artur Wechselberge: „640 Kilobyte sind genug für jeden“*

10.09.2012 | Standpunkt

(c) Dietmar Mathis

Dieses Zitat dokumentiert eine Fehleinschätzung des technologischen Fortschritts – hier bei der Entwicklung des Arbeitsspeichers eines PCs – durch keinen Geringeren als durch den Gründer von Microsoft.

ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, soll – so der Plan des Gesundheitsministeriums, – ohne zukunftsträchtige Dokumentenstruktur, die eine ausreichende Suchfunktion zulässt, so rasch wie möglich an den Start gehen. Damit verweigert sich die österreichische Gesundheitsadministration nicht nur dem – wie Bill Gates zeigt – schwierigen Blick in die Zukunft, sondern sogar den Erkenntnissen und dem Wissen der Gegenwart. Faktum ist, dass Ärztinnen und Ärzte Instrumente brauchen, die ihnen den bürokratischen Aufwand abnehmen, Daten verdichten und bedarfsgerecht aufbereiten. Elektronische Entscheidungshilfen – und darum handelt es sich bei ELGA – sollen Ärzten helfen, Zeit zu sparen, die Qualität zu verbessern und sich für die ärztlichen Aufgaben frei zu spielen. Faktum ist auch, dass die Informationstechnologie das Potential hat, diese Zeit, die Qualität und den Freiraum zu schaffen. Die intensiven Gespräche in Arbeitsgruppen, in die endlich auch die Experten der Ärzteschaft eingebunden waren, haben dieses Potential auch durchaus bestätigt. Dennoch folgte das politische Njet.

Man will nicht den kurzsichtigen politischen Erfolg eines raschen Systemstarts – und sei das System noch so veraltet und untauglich – einer gediegenen, zukunftsweisenden und nachhaltigen, aber zeitaufwendigen Entwicklung von ELGA opfern. Und man will vor allem nicht, dass die Krankenhäuser und deren Betreiber vor der Gesetzwerdung bemerken, dass ELGA in der vorliegenden Form zum Chaos in den Ambulanzen und Abteilungen führen wird. Ebenso soll im Dunkel bleiben, dass der Hinweis, man hätte mit den hausinternen Informationssystemen ohnehin schon eine kleine ELGA, die nur noch der Schnittstellen bedürfen, um voll in ELGA integriert zu sein, schlichtweg falsch ist. Nicht nur der niedergelassene Bereich, auch die Krankenhäuser werden riesige Summen in die Hand nehmen müssen, um ELGA nützen zu können. Wohlgemerkt: Eine Patientenakte, die der Zukunft nachläuft und – sollten nach Jahren ausreichende Dokumentenarchitektur und Suchfunktion Wirklichkeit werden – bis dahin mit Befunden in PDF-Form zugemüllt ist, die wertvolle Zeit von Ärztinnen und Ärzten zum Aktenstudium veräumt und dennoch lähmende Haftungsängste auslöst.

Dabei wäre die Lösung so einfach. ELGA muss, wenn sie nicht dem Beispiel Englands und Tschechiens – in beiden Ländern wurde ein ähnliches Dokumentensystem nach riesigen Verlusten eingestellt – folgen will, primär zukunftssicher funktionieren. Neben einer praxisbezogenen Usability sind es die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Datensicherheit und eine gesicherte Finanzierung, die der Vorstand der ÖÄK in einer Sondersitzung im August einstimmig forderte. Damit sollte nach einem Probelauf in einer definierten Region ein Mindestmaß an Sorgfalt aufgewendet sein, um ein so großes Projekt österreichweit einzuführen.

Da dieser für uns Ärzte selbstverständliche Sorgfaltsmaßstab derzeit fehlt und die mangelnde Projektqualität zu Lasten der Ärzte wie auch der Patienten zu gehen droht, hat die ÖÄK eine österreichweite Informations- und Unterschriftenkampagne gestartet. Ihr Erfolg soll uns helfen, Schaden von uns und der Bevölkerung abzuwenden. Deshalb sind wir aufgerufen, an unseren Arbeitsplätzen am Erfolg der Aktion aktiv mitzuarbeiten und Patientinnen und Patienten aber auch Freunde, Bekannte und Familienangehörige zur Unterschrift zu gewinnen.

Es ist zu hoffen, damit der politischen Verantwortung und Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Einer Vernunft, die nach der Formulierung des deutschen Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker der Wahrnehmung des Gesamtinteresses dienen soll.

* Bill Gates, 1981

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2012