Umfrage: Karriere und Familie – unmöglich

10.10.2012 | Politik


Karriere und Familie – unmöglich

Eine Umfrage liefert erstmals Daten zur aktuellen familiären und beruflichen Situation bei Frauenärztinnen und Frauenärzten. Ein Ergebnis: Familie und Karriere scheinen für die Mehrheit der Befragten nicht vereinbar.
Von Katharina Hancke et al.*

Der Anteil an weiblichen Studierenden in der Humanmedizin steigt kontinuierlich. Aber obwohl er im Wintersemester 2009/2010 sogar mehr als 60 Prozent betrug, verringert sich der Frauenanteil dramatisch in den höheren Hierarchieebenen an Universitäten und Kliniken. Nur acht Prozent der Chefarztpositionen sind von Ärztinnen besetzt, in den chirurgischen Fächern ist der Anteil noch geringer; auf den universitären Lehrstühlen gibt es nur zu einem verschwindend geringen Anteil Frauen. Auch der Anteil an Ärztinnen, die 2007 eine Habilitation in Humanmedizin abschlossen, ist mit rund 20 Prozent im Vergleich zu über 80 Prozent männlichen Habilitanden sehr gering.

Die Frauenheilkunde ist ein typisches Beispiel für geschlechterspezifische Karriereverläufe. In Deutschland gibt es aktuell nur zwei universitäre Chefärztinnen für Gynäkologie und Geburtshilfe an mehr als 30 Universitätskliniken; somit sind nur vier Prozent der universitären Klinikdirektionen in weiblicher und 96 Prozent in männlicher Hand. Dagegen steht der hohe Anteil an weiblichen Assistenzärztinnen (77 Prozent) im Gegensatz zu männlichen Assistenzärzten (23 Prozent) an den universitären Frauenkliniken. Die Anzahl der Oberärztinnen (48 Prozent) hält sich mit denen der Oberärzte (52 Prozent) etwa die Waage; der prozentuale Anteil ist aber bei den leitenden Oberärztinnen mit 34 Prozent schon deutlich geringer.

Immer wieder wird behauptet, dass der Spagat zwischen Beruf und Familie einer der Hauptgründe für die mangelnde Anzahl weiblicher Führungskräfte sei. Um die aktuelle berufliche und private Situation der Frauenärzte und Frauenärztinnen abzubilden und daraus Rückschlüsse auf vermeintliche und tatsächliche Gründe für die ungleiche Geschlechterverteilung auf den Hierarchieebenen in der Frauenheilkunde zu ziehen, hat die Kommission „Familie und Karriere“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) einen Fragebogen entwickelt. Zentrale Fragen waren: Wie sehen die familiären und beruflichen Ziele von Frauenärztinnen und Frauenärzten aus? Ist eine zusätzliche Kinderbetreuung außerhalb der Familie von Frauenärzten und Frauenärztinnen gewünscht? Bieten die jeweiligen Arbeitgeber Kinderbetreuung an? Sind Familie und Karriere vereinbar?

Die Ergebnisse der DGGG-Befragung zeigen, dass die Frauenärztinnen durchschnittlich weniger Kinder als ihre männlichen Kollegen (1,06 vs. 1,68) haben. Frauen in hierarchisch niedrigeren Positionen haben mehr Kinder, in hierarchisch höheren Positionen aber signifikant weniger Kinder als Männer in der gleichen Position. Auch dies spiegelt die aktuelle geschlechtsspezifische Situation wider. Die durchschnittliche Kinderzahl der Frauenärztinnen und Frauenärzte in der Umfrage entspricht den Durchschnittswerten bei Akademikerinnen, die unter der durchschnittlichen Kinderzahl von 1,38 in der Gesamtbevölkerung für das Jahr 2008 liegen. Eine Befragung des Bundesministeriums für Bildung und Familie ergab im Jahr 2003, dass 53 Prozent der Humanmedizinerinnen und 45 Prozent der Humanmediziner kinderlos sind.

Nach einer Umfrage der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von 2002/2003 haben im Durchschnitt Professorinnen 0,8 und Professoren 1,77 Kinder. Außerdem zeigte sich in dieser Befragung eine stark ungleiche Verteilung hinsichtlich der Betreuung von Vorschulkindern. Während bei zwei Dritteln der Professoren die Partnerin die Kinderbetreuung übernahm, gaben dies nur acht Prozent der Professorinnen an.

Karriere und Familie nicht vereinbar?

In der DGGG-Befragung zeigten sich ähnliche Verteilungsmuster unter den Ärztinnen und Ärzten. Frauen befürworten es stärker als Männer, die Kinderbetreuung außerhalb der Familie zu organisieren, wohingegen Männer in höherem Maß als Frauen die Partnerin/den Partner in der Verantwortung sehen. Dem Wunsch der Frauen steht jedoch entgegen, dass circa 75 Prozent der Arbeitgeber gar keine oder keine qualitativ gute Kinderbetreuung anbieten, wobei das Angebot der Arbeitgeber für jüngere (0 bis drei Jahre) und ältere (vier bis sieben Jahre) Kinder gleich gering ist und keine signifikanten Unterschiede aufweist. Auch Betreuungsangebote anderer Träger standen nur der Hälfte der Befragten zur Verfügung. Hier scheint also eine große Diskrepanz zwischen den Wünschen der Frauenärztinnen und den tatsächlichen Möglichkeiten einer Arbeitsplatz-nahen Kinderbetreuung zu liegen. Es wundert daher kaum, dass die Vereinbarkeit von Karriere und Familie nur von einer Minderheit der Befragten für möglich gehalten wird. 88 Prozent der Ärztinnen und 72 Prozent der Ärzte halten Familie und Beruf für unvereinbar.

Unabhängig von der beruflichen Position waren signifikant häufiger die Partnerinnen von Frauenärzten zuständig für die Kinderbetreuung, aber nur ein geringer Teil der Partner von Frauenärztinnen. Dagegen wurde der Großteil der Kinder von Frauenärztinnen in außerfamiliären Einrichtungen betreut. Bei den Befragten, die noch Kinderwunsch haben, zeigte sich ein ähnliches Verteilungsmuster. Weniger als zehn Prozent der Frauen wollen selbst und alleine die Kinderbetreuung tagsüber übernehmen.

Bei den beruflichen Zielen tendieren Frauen häufiger zu einer Position auf niedrigerer, zum Beispiel als angestellte Fachärztin (24 Prozent vs. vier Prozent), oder auf mittlerer Hierarchieebene, zum Beispiel als Oberärztin (37 Prozent vs. 19 Prozent). Auch Positionen außerhalb von Hierarchien, etwa als niedergelassene Fachärztin (55 Prozent vs. 30 Prozent), werden von Frauen häufiger angestrebt. Eine Position als Chefarzt scheint für Männer (28 Prozent) eher erreichbar als für Frauen (sieben Prozent). Der Großteil der Frauenärztinnen und Frauenärzte strebt die Niederlassung an. Allerdings ist dieser Berufswunsch bei den Frauen signifikant häufiger als bei den Männern. Diese Ergebnisse entsprechen der aktuellen Ärztestatistik.

Es ist also nicht erstaunlich, dass sich Frauen, die eine Führungsposition anstreben, häufig gegen Kinder entscheiden. Bei Männern kann das Berufsziel mit einem Familienleben und Kindern gut vereinbart werden, unter anderem auf der Grundlage der traditionellen Rollenverteilung. Während beruflich erfolgreiche Ärzte mit Familie durch eine nicht oder nur teilweise erwerbstätige Partnerin unterstützt werden, haben die erfolgreichen Frauen in Spitzenpositionen meist ebenfalls erfolgreiche Partner. So führte laut einer Langzeitstudie zu Berufsbiographien von Männern und Frauen in der Medizin und Psychologie die Geburt eines Kindes bei den Ärzten häufiger zu einem beruflichen Karriereschritt und bei den Ärztinnen eher zu einer Verschlechterung der beruflichen Position.

Der Frauenanteil der Antwortenden war deutlich höher als der Männeranteil. Dies könnte einerseits daran liegen, dass der Frauenanteil in der Facharztweiterbildung Frauenheilkunde wesentlich höher ist, andererseits sind es aber gerade die jungen Ärztinnen, die sich mit dem Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beschäftigen und sich dementsprechend eher die Zeit zur Beantwortung eines Fragebogens nehmen. Die antwortenden Frauenärztinnen waren im Durchschnitt deutlich jünger als die teilnehmenden Frauenärzte. Hier könnte ebenso das Thema der Umfrage ein Grund sein, da sich nicht nur die jungen, in Weiterbildung befindenden Ärztinnen mit dem Thema beschäftigen, sondern auch die (männlichen) Frauenärzte, die bereits in Führungspositionen sind (also in der Regel älter sind) und derzeit vor allem junge Frauen einstellen, die Beruf und Familie zu vereinbaren versuchen.

Bessere Kinderbetreuung notwendig

Die Umfrage zeigt, dass insbesondere Frauenärztinnen eine außerfamiliäre Kinderbetreuung wünschen und dass bisher Karriere und Familie für die meisten Frauenärztinnen und Frauenärzte nicht vereinbar sind. Ob die Gründe wirklich nur an der fehlenden Kinderbetreuung durch den Arbeitgeber oder andere Träger liegen, dass sich Frauen seltener für Führungspositionen entscheiden als Männer, ist nicht sicher. Allerdings ist davon auszugehen, dass eine bessere Kinderbetreuung ein erster Schritt für eine bessere Vereinbarkeit wäre, so dass Frauen (und Männer) überhaupt eine realistische Chance haben, eine selbstständige Entscheidung gegebenenfalls auch für eine Leitungsfunktion zu treffen.

Literatur bei den Verfassern

*) Priv. Doz. Dr. med. Katharina Hancke,
Prof. Dr. med. Rolf Kreienberg

beide: Universitätsfrauenklinik Ulm;
E-Mail: katharina.hancke@uniklinik-ulm.de,
Priv.-Doz. Dr. med. Bettina Toth
Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen, Universität Heidelberg

Abdruck (gekürzt) mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteblatts

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2012