Gesundheitsreform in den USA: Weiter Zitterpartie für Obama

25.02.2012 | Politik

Bereits im Sommer fällt der Oberste Gerichtshof der USA sein Urteil über die Verfassungsmäßigkeit der US-Gesundheitsreform. Die Implementierung einzelner Bestandteile des Gesetzes schreitet derweil voran. Doch die Opposition bleibt groß.
Von Nora Schmitt-Sausen

Das zähe Ringen um die Gesundheitsreform könnte zumindest aus juristischer Sicht in absehbarer Zeit ein Ende haben: Ab Frühjahr 2012 wird sich das oberste Gericht der USA mit der Jahrhundertreform auseinandersetzen, die im März 2010 mit einer hauchdünnen demokratischen Mehrheit im US-amerikanischen Kongress verabschiedet wurde. 26 US-Bundesstaaten hatten Klage gegen die Reform eingereicht. Ihr Widerstand richtet sich vor allem gegen das zentrale Element des Gesetzes, nach dem ab dem 1. Januar 2014 alle Bürger zum Abschluss einer Krankenversicherung verpflichtet sind, andernfalls droht ihnen eine Geldstrafe. Damit – so die Gegner – verstoße die Gesundheitsreform gegen die US-amerikanische Verfassung.

Rasche Entscheidung

Das schnelle Einschreiten des Supreme Court kommt überraschend. Mit einer Entscheidung war erst in zwei Jahren gerechnet worden. Doch nachdem sich der Rechtsstreit um die Reform bereits seit Monaten durch die Instanzen des US-amerikanischen Rechtssystems zieht, hatte die Regierung von Präsident Barack Obama selbst auf eine schnelle Entscheidung gedrängt, um für rechtliche Klarheit zu sorgen. Das Justizministerium gibt sich zuversichtlich was den Ausgang anbelangt: „Wir glauben, dass die Herausforderer scheitern werden und dass der Gerichtshof das Gesetz aufrechterhalten wird“, heißt es in einer Verlautbarung. Der Supreme Court will sein Urteil im Sommer dieses Jahres sprechen – inmitten der heißen Wahlkampfphase zur Präsidentschaftswahl im November.

Die Opposition der Republikaner gegen die Reform ist weiter groß. Die Konservativen wollen das „Obamacare“ getaufte Gesetzeswerk rückgängig machen. Gesetzeswerk rückgängig machen. Mitch McConnell, Führer der Republikaner im US-Senat, bezeichnete die Reform wiederholt als ein „törichtes Gesetz“, das nicht Verfassungs-konform sei und unrechtmäßig in das Leben der Amerikaner eingreife.

Die Implementierung einzelner Bestandteile schreitet derweil weiter voran. Vor allem die Vorbereitung auf das Herzstück der Reform, den Aufbau lokaler Versicherungsmärkte, ist im Herbst 2011 in Bewegung gekommen. Jeder US-amerikanische Bundesstaat muss bis zum 1. Januar 2014 eine Börse geschaffen haben, auf dere Individuen, Familien und kleinere Unternehmen Gesundheitspolizzen erwerben können. Ist ein solcher Markt zum Stichtag nicht etabliert, hat die Zentral-Regierung in Washington das Recht, einzuschreiten. Mit Hilfe der staatlichen Supervision der Gesundheitsbörsen soll der Zugang zu Polizzen für die US-Bürger vergleichbarer und zugänglicher sein.

Konkrete Pläne zur Gesundheitsbörse

Bereits in gut einem Jahr müssen die Regierungen der Bundesstaaten Washington konkrete Pläne vorlegen, wie sie die Gesundheitsbörse vor Ort verwirklichen wollen. Doch besonders republikanisch geführte Bundesstaaten halten sich mit Bemühungen zurück. Zwar haben 26 von 29 republikanisch regierten Bundessstaaten jeweils bis zu einer Million Dollar von der Obama-Regierung angenommen, um Pläne zur Schaffung des Marktes zu entwerfen. Doch nur wenige haben bislang größere Summen angenommen, um die Implementierung einer Börse konkret anzugehen. Einige Bundesstaaten wie Florida, Louisiana oder Kansas verweigern sich dem Gesetz völlig. Kansas, das zu denjenigen Bundesstaaten gehört, welche die Reform juristisch bekämpfen, überwies unlängst 90 Millionen Dollar der Obama-Regierung zurück, die dabei helfen sollten, die Gesundheitsbörse in dem Staat im Mittleren Westen der USA zu etablieren.

Der Implementierungsprozess der Reform hat weitere Rückschläge zu verkraften: Die US-amerikanische Regierung musste im Spätherbst ein Programm einstellen, das entwickelt worden war, um die Langzeitpflege von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen zu gewährleisten. Die individuellen Kosten zur Teilnahme an dem Programm seien schlicht zu hoch gewesen, sagte Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius. Deshalb werde es von den Patienten nicht angenommen. Weitestgehend unbeschadet hat die Reform bislang die Sparrunden im US-amerikanischen Haushalt überstanden. Gefährdet sind allerdings Mittel für die präventive Gesundheitsvorsorge und hier insbesondere Gelder für öffentliche Gesundheitszentren.

Viele profitieren von Reform

Für viele Amerikaner hat das Reformpaket gut eineinhalb Jahre nach seiner Verabschiedung und gut ein Jahr nach Inkrafttreten erster Bestandteile Vorteile gebracht. Mehr als eine Million junge, bisher unversicherte Amerikaner unter 26 Jahren ist inzwischen über ihre Eltern mitversichert. Auch dem Gebaren der Versicherer, Patienten mit Vorerkrankungen zu ignorieren, hat die Reform ersten Einhalt geboten. Die Versicherer dürfen kranken Kindern nicht mehr den Versicherungsschutz verweigern, für sie keine höheren Beiträge mehr verlangen oder Behandlungsausgaben limitieren. Nach Regierungsangaben profitieren außerdem etwa 20 Millionen US-amerikanische Senioren bereits von kostenfreien Präventionsangeboten: Fast 1,8 Millionen ältere Patienten hätten durch die Reform Vergünstigungen auf Verschreibungs-pflichtige Medikamente im Durchschnitt von 530 Dollar erhalten. Dennoch hat Obamas Reform in der Öffentlichkeit nach wie vor einen schlechten Stand. Bei einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup votierten Mitte November 47 Prozent der befragten Amerikaner dafür, die Reform zu kippen. Lediglich 42 Prozent stehen hinter dem Gesetz.

Stufenweises In-Kraft-treten

Bis zum Jahr 2018 sollen stufenweise weitere Bestandteile der Reform in Kraft trefen. Ab 2014 dürfen die Versicherer beispielsweise auch Erwachsenen mit Vorerkrankungen nicht mehr den Versicherungsschutz verweigern oder höhere Beiträge verlangen. Familien und Unternehmen sollen Krankenversicherungskosten in einigen Jahren besser steuerlich geltend machen können. Die Versicherungsbeiträge für ältere Menschen werden gedeckelt. Kernziel der Reform ist es, mehr als 30 Millionen unversicherte Amerikaner zu versichern. Sie sollen den Versicherungsschutz durch die Ausweitung von Medicaid, dem staatlichen Gesundheitsprogramm für Geringverdiener, erhalten, oder sich über die lokalen Gesundheitsmärkte mit Versicherungspolizzen versorgen können. Diese werden teils staatlich subventioniert sein. Je nachdem, wie die Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres ausgeht, steht die weitere Implementierung der Gesundheitsreform in den Sternen.

Die Kosten der Gesundheitsreform

Die Gesundheitsreform des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama kostet nach offiziellen Berechnungen in den kommenden zehn Jahren 940 Milliarden Dollar. Geplant ist, das komplexe Gesetz durch Steuererhöhungen und Einsparungen bei der Seniorenversicherung Medicare zu finanzieren. Durch die Reform verursachte Effizienzsteigerungen im US-amerikanischen Gesundheitssystem sollen das Haushaltsdefizit der USA innerhalb einer Dekade um 130 Milliarden Dollar verringern.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2012