Öster­rei­chi­sche Ärzte in Deutsch­land: Aus­bil­dung und Kar­riere locken

10.05.2012 | Politik

Statt 28 Mona­ten War­te­zeit auf den Tur­nus sofort eine Aus­bil­dungs­stelle? Statt Admi­nis­tra­tion lie­ber ärzt­lich tätig sein? In Deutsch­land wird gebo­ten, was Jung­ärzte in Öster­reich oft ver­geb­lich suchen. Bei den Job­mes­sen in Inns­bruck, Graz und Wien kön­nen Inter­es­sierte Mitte Mai erste Kon­takte knüpfen.Von Marion Huber 

Ob es attrak­ti­vere Arbeits­be­din­gun­gen sind oder die Qua­li­tät der Aus­bil­dung selbst – Gründe, ins Aus­land zu gehen, gibt es viele. Deutsch­land ist nicht nur des­halb oft die erste Wahl, weil sprach­li­che Bar­rie­ren kein Thema sind, auch was die Ent­fer­nung zum Hei­mat­land angeht, ist Deutsch­land im wahrs­ten Sinn des Wor­tes „nahe­lie­gend“.

So kann Öster­reich auf mehr als fünf Jahre der Zusam­men­ar­beit und des Aus­tauschs mit dem Bun­des­land Sach­sen zurück­bli­cken. „Der Aus­tausch ver­lief immer sehr gut. Jetzt haben sich die Zah­len auf etwa 80 bis 100 öster­rei­chi­sche Ärzte sta­bi­li­siert, die bei uns tätig sind. Ende letz­ten Jah­res waren es 85“, zeigt sich Ste­phan Helm, Geschäfts­füh­rer der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft Sach­sen, erfreut. Die über­wie­gende Zahl der Ärzte ist dabei in der Wei­ter­bil­dung, also als Assis­tenz­arzt tätig. Auch Nord­rhein-West­fa­len mit sei­nen 404 Kran­ken­häu­sern kann mit attrak­ti­ven Stel­len­an­ge­bo­ten auf­war­ten: „Seit Grün­dung der Initia­tive ‚Doc­jobs NRW‘ vor zwei Jah­ren haben circa 90 bis 100 junge Ärz­tin­nen und Ärzte diese Mög­lich­keit genutzt und ihre Wei­ter­bil­dung bei uns begon­nen“, erklärt Mat­thias Blum, Geschäfts­füh­rer der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft Nordrhein-Westfalen.

War­te­zeit? Nein danke!

Ärzte in Aus­bil­dung wagen den Schritt nach Deutsch­land beson­ders häu­fig – weil dort mehr Zeit für die ärzt­li­che Aus­bil­dung bleibt, weil attrak­ti­vere Arbeits­be­din­gun­gen gebo­ten wer­den oder auch, weil in Öster­reich ein­fach die Per­spek­tive fehlt. So ver­ge­hen in Wien im Durch­schnitt ganze 28 Monate, bis man nach dem Medi­zin­stu­dium einen Aus­bil­dungs­platz ergat­tert. Die War­te­zeit auf einen Tur­nus­platz ist für viele ver­lo­rene Zeit und schlicht­weg inak­zep­ta­bel. In Deutsch­land hin­ge­gen scheint War­te­zeit für junge Ärzte ein Fremd­wort zu sein: In Sach­sen etwa wird ein „unver­züg­li­cher Zugang“ in die Wei­ter­bil­dung gebo­ten, wie Helm erklärt: „Es gibt so gut wie keine War­te­zei­ten. Hier tref­fen sich zwei Erwar­tungs­hal­tun­gen. Einer­seits die jun­gen Leute, die schnell ihre Wei­ter­bil­dung begin­nen wol­len und ande­rer­seits die Kran­ken­häu­ser, die immer noch auf eine gute Anzahl von freien Stel­len ver­wei­sen, die wir damit auch beset­zen kön­nen.“ Ähn­lich ist die Situa­tion in Nord­rhein-West­fa­len: „Für öster­rei­chi­sche Medi­zin­ab­sol­ven­ten besteht hier die Mög­lich­keit, ohne lange War­te­zei­ten ihre Wei­ter­bil­dung zu begin­nen“, so Blum.

Dass es „defi­ni­tiv keine War­te­zeit“ in Deutsch­land gab, kann Mar­tin Zieg­ler, der in Nord­rhein-West­fa­len in einer Gemein­schafts­pra­xis seine Fach­arzt-Aus­bil­dung absol­viert, bestä­ti­gen: „Ich wollte auf kei­nen Fall den Tur­nus machen und in Deutsch­land hatte ich die Mög­lich­keit, direkt nach dem Stu­dium die Fach­arzt-Aus­bil­dung zu begin­nen. Ich habe damals ins­ge­samt zehn Bewer­bun­gen geschrie­ben und bei allen zehn prompt eine Zusage bekom­men.“ Die unter­schied­li­chen Vor­aus­set­zun­gen in Öster­reich und Deutsch­land kann auch Jen­ni­fer Hruby aus eige­ner Erfah­rung schil­dern – war sie doch in Wien tätig, bevor sie nach Müns­ter (Nord­rhein-West­fa­len) ging. „In Wien wird man als Jung­arzt nicht aus­rei­chend geför­dert. In Nord­rhein-West­fa­len dage­gen wurde ich mit offe­nen Armen emp­fan­gen. Man sah schon an der Stel­len­an­zeige, dass Assis­tenz­ärzte hier als Berei­che­rung und nicht wie in Öster­reich als Last gese­hen wer­den.“ Dort habe man erkannt, dass man jun­gen Mit­ar­bei­tern etwas bie­ten muss, weil es mehr offene Stel­len gibt und man sich so als Jung­arzt aus­su­chen könne, wo man arbei­ten möchte, erklärt Hruby.

Außer­dem ver­brin­gen Assis­tenz­ärzte in Deutsch­land nicht den Groß­teil ihres Arbeits­ta­ges mit Doku­men­ta­tion und Admi­nis­tra­tion. Hier bleibt Zeit dafür, wofür die Aus­bil­dung eigent­lich gedacht ist: für die Ent­wick­lung ärzt­li­cher Fer­tig­kei­ten und den Kon­takt mit den Pati­en­ten. Hruby dazu: „Im Ver­gleich zu Wien komme ich hier zu viel mehr ärzt­li­chen Tätig­kei­ten. Wir haben mehr Per­so­nal, das her­vor­ra­gend aus­ge­bil­det ist. Das nimmt dem Arzt viele orga­ni­sa­to­ri­sche Arbei­ten ab und dadurch kann man sich auf das Wesent­li­che – näm­lich auf die Pati­en­ten – kon­zen­trie­ren.“ Auch Zieg­ler hat im Arbeits­all­tag „erstaun­lich posi­tive“ Erfah­run­gen gemacht: „Ursprüng­lich war mein Plan, nur die ers­ten zwei Jahre der Aus­bil­dung in Deutsch­land zu machen. Ich habe mit mei­ner Stelle aller­dings so viel Glück gehabt und mich dort so wohl gefühlt, dass ich die Aus­bil­dungs­zeit zu Ende machen wollte.“ 

Ein wei­te­rer Plus­punkt: Die Wei­ter­bil­dungs­struk­tur ist sehr unbü­ro­kra­tisch und gut orga­ni­siert. „Die Ärz­te­kam­mern in unse­ren bei­den Lan­des­tei­len Nord­rhein und West­fa­len und die Kran­ken­häu­ser arbei­ten zusam­men, um einen rei­bungs­lo­sen Ablauf der Wei­ter­bil­dung zu garan­tie­ren“, sagt Blum. Auch in Sach­sen wer­den, so Helm, die Erwar­tun­gen der Jung­ärzte erfüllt: „Die Ärzte kom­men mit der Erwar­tung, rela­tiv schnell eine pati­en­ten­nahe, solide Wei­ter­bil­dung zum Fach­arzt zu bekom­men, die auch im Hei­mat­land eine umfas­sende Aner­ken­nung erfährt. Und hier bekom­men wir in der Qua­li­tät sehr gute Noten.“ Und er kennt einen wei­te­ren Grund für den Zustrom öster­rei­chi­scher Ärzte nach Ost­deutsch­land: „Gerade die ost­deut­schen Kran­ken­häu­ser konn­ten sich in den letz­ten Jah­ren in einen guten Zustand brin­gen – bau­lich, tech­nisch, orga­ni­sa­to­risch – und das wis­sen die jun­gen Leute auch zu schätzen.“

Was spricht also gegen die Ent­schei­dung, nach Deutsch­land zu gehen? „Ich kann momen­tan kei­nen hin­der­li­chen Fak­tor erken­nen. Es gibt so gut wie kein Pro­blem, bei uns Fuß zu fas­sen“, ist Helm über­zeugt. „Wenn jemand das will, hat er die Mög­lich­keit, sich umfas­send über Wei­ter­bil­dung, Fort­bil­dung, Zulas­sungs­ver­fah­ren und Stel­len zu infor­mie­ren. Und es ist über­haupt kein Pro­blem, sich unmit­tel­bar mit den ent­spre­chen­den Ein­rich­tun­gen in Ver­bin­dung zu set­zen.“ Über die Kon­takte zu Öster­reich zeigt er sich beson­ders erfreut: „Wir wür­den uns wün­schen, dass wir die Zusam­men­ar­beit mit der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer fort­set­zen kön­nen. Die Job­mes­sen waren immer Aus­gangs­punkt für Begeg­nun­gen und Kon­takte und die füh­ren in der Regel zu guten Entscheidungen.“

Über­zeugt, die rich­tige Ent­schei­dung getrof­fen zu haben, ist auch Jen­ni­fer Hruby: „Ich hätte schon frü­her gehen sol­len. An mei­nen Arbeits­kol­le­gen in Deutsch­land merke ich, dass die Aus­bil­dung bes­ser und damit das Wis­sen grö­ßer ist.“ Und sie fügt hinzu: „Wäh­rend mei­nes Stu­di­ums habe ich öfter den Spruch gehört: ‚Die guten Leute gehen nach Deutsch­land.‘ Damals konnte ich das nicht nach­voll­zie­hen. Mitt­ler­weile weiß ich, was damit gemeint war und ich kenne einige Kol­le­gen, die aus beruf­li­chen Grün­den ins Nach­bar­land gegan­gen sind.“ Auch Zieg­ler kann sei­ner Ent­schei­dung nur Posi­ti­ves abge­win­nen. Er würde die­sen Schritt „auf jeden Fall“ wie­der tun: „Den Kol­le­gen, die in Öster­reich nicht direkt einen Platz in ihrem Wunsch­fach bekom­men, würde ich sofort nahe­le­gen, nach Deutsch­land zu gehen.“

Job­messe 2012 – „Wir über­schrei­ten Gren­zen“

Ter­mine:
22. Mai 2012, Con­gress Inns­bruck, Renn­weg 3, 6020 Inns­bruck
23. Mai 2012, Messe Graz, Mes­se­platz 1/​Halle A, 8010 Graz
24. Mai 2012, Stadt­halle Wien, Vogel­weid­platz 14, 1150 Wien

Nähere Infor­ma­tio­nen gibt es im Inter­na­tio­na­len Büro der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer: Tel.: 01/​514 06–931, E‑Mail: international@aerztekammer.at, www.arztjobs.at 

Inter­view – Nora Lukas

„Sofort wie­der“

Nach vier Jah­ren Wei­ter­bil­dung in Deutsch­land ist Nora Lukas wie­der in Öster­reich – aus per­sön­li­chen Grün­den, wie sie betont. Warum sie sofort wie­der zurück­ge­hen würde und den Schritt nach Deutsch­land ande­ren jun­gen Ärz­ten nur raten kann, erzählt sie im Gespräch mit Marion Huber.

ÖÄZ: Wieso sind Sie nach Deutsch­land gegan­gen?

Lukas: Ich war in Öster­reich in einer Lehr­pra­xis ange­stellt und habe auf eine Tur­nus­arzt-Stelle gewar­tet. Da sich aber nichts erge­ben hat, habe ich den Ent­schluss gefasst, in Deutsch­land meine Fach­arzt-Aus­bil­dung zu begin­nen. Dort habe ich mich bewor­ben und es wurde sofort zuge­sagt. Dann war ich zwei Jahre in Nie­der­bay­ern und zwei Jahre in Hamburg. 

Wie hat ein Tag im Kran­ken­haus dort aus­ge­se­hen?
In mei­nem Fach, der Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hilfe, haben wir von 8 Uhr bis 16 Uhr Dienst gehabt, durch­schnitt­lich fünf bis sechs Dienste. Die Nacht­dienste waren von 20 Uhr bis 8 Uhr, und man konnte in der Früh wirk­lich nach Hause gehen. In Bay­ern sind wir auf meh­re­ren Sta­tio­nen rotiert. Wir waren zu glei­chen Tei­len auf der Geburts­hilfe und Gynä­ko­lo­gie beschäf­tigt und haben auch ein hal­bes Jahr Onko­lo­gie gemacht. So wurde ein brei­tes Spek­trum abge­deckt.

In Öster­reich sind Tur­nus­ärzte oft Sys­tem­er­hal­ter. In Deutsch­land auch?

Es gab schon Admi­nis­tra­ti­ves zu erle­di­gen, aber es war abso­lut über­schau­bar. Zum Bei­spiel konn­ten wir OP-Berichte dik­tie­ren, das lief über das Sekre­ta­riat. Man war sehr darum bemüht, dass die Assis­tenz­ärzte wirk­lich aus­ge­bil­det wer­den und etwas ler­nen. Wir durf­ten kleine chir­ur­gi­sche Ein­griffe wie Kai­ser­schnitte oder Gebär­mut­ter­ent­fer­nun­gen machen. In Öster­reich dage­gen üben Tur­nus­ärzte die Tätig­kei­ten aus, die in Deutsch­land die Schwes­tern gemacht haben wie zum Bei­spiel EKG-Schrei­ben und Blut­druck-Mes­sen. Auf­grund der Auf­ga­ben­ver­tei­lung und des Zeit­man­gels von allen Betei­lig­ten sind die Jung­ärzte in Öster­reich hintan gestellt. Die Ober­ärzte sind oft über­las­tet, weil so viel Arbeit anfällt. Die Schwes­tern sind über­las­tet, weil sie viele Auf­ga­ben über­neh­men, die nicht in ihren Bereich fal­len. Das ist ein ewi­ger Teu­fels­kreis. Die Aus­bil­dungs­si­tua­tion ist in Deutsch­land ein­fach besser.

Wie lau­tet Ihr Resü­mee?
Es war eine beruf­li­che Erfah­rung, die ich auf kei­nen Fall mis­sen möchte, weil ich dort sehr viel gelernt habe. Ich bereue es auf kei­nen Fall und würde sofort wie­der zurück­ge­hen, wenn die per­sön­li­chen Gründe nicht wären.

Wel­chen Tipp wür­den Sie ande­ren jun­gen Ärz­ten geben?
Solange man jung, fle­xi­bel und unge­bun­den ist, sollte man den Schritt nach Deutsch­land wagen. Man kann dabei nicht ver­lie­ren – ganz im Gegen­teil.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2012