ÖÄK-Kampagne zu Hörstörungen: Mehr Sensibilität gefragt

10.05.2012 | Politik

Nur jeder Vierte mit einer Hörstörung geht zum Arzt; und wiederum nur jeder vierte Betroffene trägt ein Hörgerät. Die Aufklärungsoffensive der ÖÄK „gut hören – dazugeHören“ soll dazu beitragen, Ärzte und Betroffene zu sensibilisieren, aktiv etwas gegen Hörstörungen zu unternehmen.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Rund eine halbe Million Menschen in Österreich leidet an Hörstörungen. Die Dunkelziffer ist jedoch nach Einschätzung von Experten weit höher anzusiedeln. So zeigen etwa Studien aus Großbritannien, Finnland und Schweden, dass der Anteil von Schwerhörigen in Europa bei etwa 22 Prozent liegt. „Umgelegt auf Österreich bedeutet das, dass hierzulande bis zu 1,6 Millionen Menschen betroffen sind. Uns ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Hörbeeinträchtigungen auf jeden zukommen können. Niemand braucht sich zu schämen, man muss nur wissen, wo man Hilfe erhalten kann“, erklärte ÖÄK-Präsident Walter Dorner anlässlich einer Pressekonferenz zum Start der ÖÄK-Kampagne „gut hören – dazugeHören“ in Wien.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an medizinisch-technischen Hilfsmitteln, die bei Hörbeeinträchtigungen zum Einsatz kommen. „Hörgeräte sind bei den meisten Patienten mit einem negativen Stigma verbunden. Altersschwerhörigkeit wird häufig damit assoziiert, dass man nicht mehr so leistungsfähig ist wie in jungen Jahren“, erläuterte Univ. Prof. Wolfgang Gstöttner von der Universitätsklinik für HNO-Heilkunde an der Medizinischen Universität Wien. Die Forschung reagiere darauf bereits mit immer kleineren Geräten und Implantaten, um eine höhere Akzeptanz zu erzielen. Auch im höheren Alter könnten Hörimplantate eingesetzt werden. Bei Hörimplantaten zur Schallverstärkung ist die Batterie zum Teil wie bei Cochlea-Implantaten zwar außen am Kopf, aber nicht sichtbar unter dem Haar angebracht; auch eine vollständige Implantation ist möglich. Gstöttner: „Im Ohr angebrachte Hörgeräte verschließen den Gehörgang, weshalb es eine gewisse Zeit dauert, bis sich Patienten daran gewöhnen. Die Hörleistung verbessert sich aber deutlich.“

Von „abenteuerlichen Ausreden“ der Patienten, wieso sie ihr Hörgerät nicht tragen könnten, berichtete der Fachgruppenobmann für HNO in der ÖÄK, Wilhelm Streinzer. Im Durchschnitt dauere es rund zehn Jahre von ersten Anzeichen einer Hörbeeinträchtigung bis die Betroffenen dann tatsächlich ein Hörgerät tragen. „Bei jüngeren Menschen, insbesondere bei Erwerbstätigen, ist die Akzeptanz höher, da sie allein aus beruflichen Gründen eher bereit sind, unterstützende Geräte zu tragen“, so Streinzer.

Ältere Menschen, die zahlenmäßig die größte Gruppe der Hörbeeinträchtigten darstellen, ziehen sich hingegen oft zurück und meiden Situationen, in denen ihre Hörminderung auffällt, was zu Isolation und Depression führen kann. In der Gruppe der 60- bis 70-Jährigen leidet rund jeder Dritte an Presbyakusis. Die Alters-assoziierten chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck können Hörstörungen verstärken, aber auch auslösen. „Die Betroffenen merken zunächst selbst gar nicht, dass sie schlechter hören, denn der Hörverlust erfolgt langsam und schleichend. Sie werden aber von ihrem Umfeld darauf aufmerksam gemacht, da die Kommunikation stark beeinträchtigt ist“, führte Streinzer
weiter aus.

Die ersten Anzeichen einer degenerativen Hörbeeinträchtigung treten oft schon mit 30 oder 40 Jahren auf. Das hängt davon ab, wie viel Schallbelästigung jemand in seinem Leben erfahren hat. Streinzer weiter: „Dieser natürlichen Altersschwerhörigkeit kann man durch einen gesunden Lebensstil und eine Reduktion von Lärm beziehungsweise das Nutzen von Lärmschutz vorbeugen.“ Da das Innenohr ebenso wie das Auge nur durch ein einziges Blutgefäß versorgt wird, helfen vor allem Maßnahmen, die Herz und Blutgefäße unterstützen. Ab einem Alter von 40 Jahren sollte das Hörvermögen regelmäßig getestet und bei gutem Hörstatus alle fünf Jahre vom HNO-Facharzt kontrolliert werden. Der bei der Vorsorgeuntersuchung für ab 65-Jährige vorgesehene Hörtest ist nach Ansicht von Streinzer „viel zu spät“ angesetzt.

Auch bei Kindern – speziell im Vorschulalter – sind regelmäßige Kontrollen der Hörleistung unabdingbar. Etwa drei von 1.000 Kindern leiden an Hörbeeinträchtigungen; eines davon ist von Geburt an taub. Seit 2003 ist daher ein Hörscreening bei Neugeborenen im Mutter-Kind-Pass verankert. „Kinder, die nicht oder beeinträchtigt hören, können Sprache nicht entsprechend entwickeln“, betonte Charlotte Rottensteiner-Grohsmann von der HNO-Abteilung am SMZ Ost Wien. Hier ist rasches Eingreifen gefragt; denn jedes Monat, in dem das Kind nicht hört, verhindert, dass die zuständigen Regionen im Gehirn reifen können.

Wurden in den frühen 1990er Jahren schwerhörige Kinder oft erst in einem Alter von einem bis eineinhalb Jahren entdeckt, weil sie etwa Laute nicht richtig bilden konnten, kann durch das universelle Hörscreening beim Neugeborenen schon sehr früh auf Beeinträchtigungen reagiert werden. Als problematisch erachtet es Rottensteiner allerdings, dass das Ergebnis des Screenings nicht im Mutter-Kind-Pass eingetragen wird. Wichtig sei es – sowohl für Eltern als auch für Ärzte – aufmerksam zu bleiben. „Hörschäden können nicht nur angeborene genetische Ursachen haben, sondern auch durch Infektionskrankheiten wie Masern oder Meningitis, Mittelohrentzündungen oder Unfälle ausgelöst werden und in jedem Alter auftreten“, so Rottensteiner-Grohsmann.

„gut hören – dazugeHören“

Unter dem Motto „gut hören – dazugeHören“ startet die ÖÄK eine breit angelegte Aufklärungsoffensive zum Thema Hörstörungen. Ziel ist es, Betroffene zu ermutigen, sich zu ihrer Hörschwäche zu bekennen und aktiv etwas dagegen zu unternehmen.

Alle niedergelassenen Fachärzte für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Pädiater, Fachärzte für Innere Medizin sowie Allgemeinmediziner erhalten je ein Wartezimmerplakat sowie je fünf Stück Mini-Ratgeber.

Weiteres Informationsmaterial kann – solange der Vorrat reicht – nachbestellt werden: entweder telefonisch unter 01/512 44 86 oder per E-Mail unter pressestelle@aerztekammer.at

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2012