Landärzte-Mangel: Gesetz als Therapie?

10.03.2012 | Politik

Ebenso wie in Österreich droht auch in Deutschland speziell in ländlichen Gebieten ein gravierender Ärztemangel im niedergelassenen Bereich. Um dem entgegenzuwirken, wurde am 1.1.2012 in unserem Nachbarland das Versorgungsstrukturgesetz in Kraft gesetzt.
Von Ruth Mayrhofer

Derzeit ist in Deutschland jeder niedergelassene Arzt durchschnittlich älter als 52 Jahre; jeder fünfte hat bereits das 60. Lebensjahr erreicht. Dem sich ankündigenden Versorgungs-Engpass steht eine sinkende Anzahl von Absolventen des Medizinstudiums gegenüber. Immer mehr Jungärzte entscheiden sich außerdem für eine Karriere außerhalb der Arztpraxis. Auch scheint die Eröffnung einer Praxis auf dem Land in den Augen vieler (angehender) Ärzte nicht mehr attraktiv. Dazu kommt, dass in einer schwächer besiedelten Region die verbleibenden Ärzte oft mehr Patienten versorgen und seltener auf die Unterstützung von Kollegen wie Fachärzten bauen können.

Versorgungs-Strukturgesetz: die Ziele

Abhilfe schaffen soll das neue Versorgungs-Strukturgesetz (VStG). In einer Aussendung des deutschen Bundesgesundheitsministeriums heißt es: „Damit sich auch in Zukunft Menschen überall in Deutschland darauf verlassen können, die notwendige ärztliche Hilfe Wohnort-nah zu erhalten, muss auch der Arztberuf wieder attraktiver werden. Dort, wo es nötig ist, muss er den Erfordernissen der modernen Lebenswirklichkeit angepasst werden: zum Beispiel durch eine berufliche Freistellung für die Erziehung der Kinder oder die Pflege von Angehörigen. Auf der anderen Seite muss der auf Eigenverantwortlichkeit basierende freie Arzt auch gegen rein kommerzielle Interessen des Marktes geschützt werden. Für beides stellt das Versorgungsstrukturgesetz die Weichen.“

Daher sollen in unterversorgten Regionen neue Versorgungsstrukturen jenseits der klassischen Praxismodelle organisiert werden. Darüber hinaus soll eine leistungsgerechte Vergütung bewirken, dass sich die Bedingungen für Ärzte in Struktur-schwachen Gebieten verbessern. Die im Gesetz enthaltenen Neuregelungen zielen vor allem darauf ab, eine bessere Patienten-Versorgung zu gewährleisten, die Versorgungsstrukturen in ländlichen Gebieten flexibler zu gestalten, Anreize für Ärzte und gute Rahmenbedingungen in Struktur-schwachen Gebieten zu schaffen und eine zielgenaue Bedarfsplanung durchzuführen.

Neben Punkten wie ‚keine Nachteile für Versicherte bei Kassenschließungen oder Kasseninsolvenzen‘ und ‚mehr wettbewerbliche Spielräume für die Krankenkassen‘ sowie ‚schnellerer Zugang zu medikamentösen Innovationen‘ ist die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung zentrales Anliegen des Gesetzes.

Neuerungen für niedergelassene Ärzte

Zur Sicherung einer möglichst Wohnort-nahen, flächendeckenden medizinischen Versorgung sieht das Versorgungs-Strukturgesetz unter anderem vor:

  • die flexible Ausgestaltung der Bedarfsplanung;
  • Anreize im Vergütungssystem: Ärzte in unterversorgten Gebieten werden von Maßnahmen der Mengenbegrenzung ausgenommen. Außerdem erhalten sie die Möglichkeit, Preiszuschläge für besondere förderungswürdige Leistungen beziehungsweise Leistungen von besonders förderungswürdigen Leistungserbringern, die in strukturschwachen Gebieten tätig sind (zum Beispiel solche mit höherer Versorgungsqualität) zu vereinbaren.
  • Weiters sollen mobile Versorgungskonzepte gefördert,
  • Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf getroffen,
  • die bestehenden Rechtsgrundlagen für den Betrieb von Eigeneinrichtungen durch kassenärztliche Vereinigungen und die Möglichkeit zum Betrieb von Eigeneinrichtungen durch Kommunen verbessert werden.
  • Die Möglichkeiten, ärztliche Leistungen zu delegieren sowie jene der Telemedizin sollen ausgebaut werden.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr kommentiert das neue Gesetz so: „Mit dem Versorgungs-Strukturgesetz ebnen wir den Weg zu einer langfristigen qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung. Wir sorgen dafür, dass Arztpraxen dort zu finden sein werden, wo die Menschen sie brauchen…“

„Die richtige Richtung“, aber…

Viel weniger euphorisch als der Minister bewertet der Deutsche Hausärzteverband das Gesetz: Die Regierung hätte die Chance vertan, die Wahlfreiheit der Patienten über die Art der Versorgung zu stärken, doch weisen „einige Ansätze im Versorgungsgesetz in die richtige Richtung“, wie es Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, formuliert. So sei die Aufhebung der Residenzpflicht, also die Pflicht des Arztes, in der unmittelbaren Nähe seiner Ordination zu wohnen, ein wichtiger Schritt, um jungen Ärzten die Entscheidung zur Niederlassung auf dem Land zu erleichtern. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch der Appell an die Länder, die Allgemeinmedizin in der universitären Ausbildung zu stärken. „Die Aufhebung der Abstaffelungs-Regelung im Honorarsystem in unterversorgten Gebieten ist ein Beispiel für eine nicht zu Ende gedachte Regelung. Denn sie ist keine Grundlage, auf der ein junger Arzt eine Existenz aufbauen kann“, gibt Weigeldt zu bedenken. Und er fragt: „Was passiert, wenn ein Gebiet nicht mehr unterversorgt ist? Fällt die Praxis dann wieder unter die Abstaffelung?“ Sein Fazit: Insgesamt sei vom Anspruch, den Landärzte-Mangel effektiv zu bekämpfen, unter dem Strich wenig übrig geblieben.

Mitte Jänner 2012 gaben der Deutsche Hausärzteverband und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) bekannt, künftig gemeinsam Sektoren-übergreifende Versorgungslösungen in der Gesellschaft – “Versorgungslandschaft Pflege – Hausärzte und Pflege Hand in Hand“ – entwickeln zu wollen. Der Deutsche Hausärzteverband und der Bundesverband privater Anbieter mit seinen bundesweit über 7.000 stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen wollen damit die Versorgung in Praxen, Pflegeheimen und häuslicher Pflege effizient vernetzen. „Unser gemeinsames Anliegen ist es, eine effektive, kostensparende und strukturierte Vernetzung zu etablieren, die den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen echten Nutzen bringt“, sagt Ulrich Weigeldt. So sollen durch eine verstärkte Verzahnung zwischen Hausärzten und Pflege-Einrichtungen zum Beispiel Krankenhausaufenthalte vermeidbar werden.

Interview – Ulrich Weigeldt

Kampf gegen Hausärzte-Mangel beginnt an den Unis

Der Hausärzte-Mangel muss bereits in der universitären Ausbildung bekämpft werden, davon zeigt sich der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, im Gespräch mit Ruth Mayrhofer überzeugt.

ÖÄZ: Wo sehen Sie die Stärken des Versorgungs-Strukturgesetzes?

Weigeldt: Eine der stärkeren Regelungen ist die Aufhebung der Residenzpflicht. Junge Niederlassungs-willige Ärztinnen und Ärzte, die für die Landgemeinschaft arbeiten wollen, müssen künftig nicht mehr direkt am Praxisort im Dorf wohnen, sondern können in der Stadt leben. Insbesondere junge Familien können kulturelle Angebote der Stadt nutzen und auf ein breites Spektrum an Kindergarten und Schulen zurückgreifen.

Welche Schwächen müssten dringend ausgemerzt werden?
Konkrete Maßnahmen, die Hausarzt-zentrierte Versorgung zu stärken, wurden innerhalb dieses Gesetzes nicht getroffen. Dazu müsste insbesondere eine Änderung innerhalb des Paragraphen zur Hausarzt-zentrierten Versorgung aus einem vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren wieder gestrichen werden, die den Abschluss von Selektiv-Verträgen erschwert.

Welche Maßnahmen, die im Gesetz nicht enthalten sind, müssten zusätzlich zur Sicherung der ambulanten Versorgung in ländlichen Gebieten getroffen werden?
Das Grundproblem ist der Hausärzte-Mangel. Dem muss man mit entsprechenden Maßnahmen wirksam begegnen. Hier ist schon bei der universitären Ausbildung anzusetzen: Das Fach Allgemeinmedizin muss mehr in den Fokus gerückt werden. Zudem sollte den Hausärzten, die aufs Land gehen, eine wirtschaftliche Basis geboten werden. Eine Ausweitung der Hausarzt-zentrierten Versorgung kann das leisten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2012