Land ohne Ärzte?: Handeln – aber rasch!

15.08.2012 | Politik

Offensichtlich beginnt nun auch die Politik, sich mit dem Thema Ärztemangel auseinanderzusetzen. So lud kürzlich Bundesrats-Präsident Georg Keuschnigg zu
einer Diskussion mit dem Titel „Land ohne Ärzte?“. Fazit: Man muss gegensteuern –
und das rasch.

Von Marion Huber

Droht im ländlichen Raum ein Ärztemangel? Ein Hearing des Bundesrates stand kürzlich ganz im Zeichen der Zukunftsaussichten von Landärzten und deren Patienten. Zur Zeit sei das Thema noch „gut lösbar“, zeigte sich ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger zuversichtlich, meinte aber: „Wenn man es versäumt, wird es sich zu einem Problem im ländlichen Raum auswachsen.“ Denn eine Niederlassung am Land ist für viele Ärzte heute schlichtweg unattraktiv. Für Bundesrats-Präsident Georg Keuschnigg ist es damit höchst an der Zeit, sich „diesem Thema, das unter den Nägeln brennt“, zu widmen. Denn schließlich müsse die Gesundheitsversorgung auch in Zukunft für jeden Bürger gegeben sein – ganz unabhängig davon, wo er wohnt, betonte er. „Es darf keine geographische Zwei-Klassen-Medizin geben, das ist das politische Ziel.“

Wie kann man das Ziel erreichen, wie die Ärzte wieder zurück aufs Land locken und den Ärztemangel verhindern? Für Georg Ziniel, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH, gibt es „derzeit eindeutig nicht zu wenig Ärzte“. Österreich liege bei den praktizierenden niedergelassenen Allgemeinmedizinern in der EU sogar im Spitzenfeld. Auch Josef Kandlhofer, Generaldirektor des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, kann keinen Ärztemangel erkennen: „Land ohne Ärzte? Mitnichten. Im Gegenteil, in Österreich gibt es so viele Ärzte wie noch nie.“ Seit 40 Jahren habe sich die Zahl der Ärzte in Ausbildung und jene der Allgemeinmediziner mehr als verdreifacht, jene der Fachärzte sogar vervierfacht. „Allerdings“, räumte er ein, „mache ich mir Sorgen um die regionale Ausgewogenheit.“

Genau das ist nämlich die Krux: Es hapert an der Verteilung. Österreich ist „extrem Spitals-lastig“ (Kandlhofer), die Primärversorgung hingegen ist wenig entwickelt. „Wir sind Spitalsweltmeister. Die Ärzte drängen in die Spitäler“, sagte Kandlhofer. Andererseits müssten in manchen ländlichen Gegenden Kassenstellen mehrfach ausgeschrieben werden. Was die Kassenärzte anbelangt, wurde ein weiteres Problem deutlich. Zwar sei die Zahl der Ärzte tatsächlich deutlich gestiegen, die Zahl der Kassenplanstellen aber gleichzeitig nahezu konstant geblieben, kritisierte Wechselberger. Zur Zeit könne man einen deutlichen Zuwachs hin zur Versorgung durch Fachärzte feststellen – und diese seien auf städtische Bereiche konzentriert. Und während immer mehr Allgemeinmediziner als angestellte Ärzte tätig würden, bleibe die Zahl der niedergelassenen Ärzte und jene der Vertragsärzte konstant, so Ziniel. Und weiter: „Aber trotz des hohen Angebots hält die medizinische Effektivität dem internationalen Vergleich nicht stand.“ Viel effektiver sei hingegen eine Gemeinde-nahe Primärversorgung als konstitutives Element; ein Modell, dem man sich in Österreich rasch annähern müsste.

Univ. Prof. Norbert Mutz, Vizerektor der Medizinischen Universität Innsbruck, brachte einen weiteren Punkt in die Diskussion ein: „Viele junge Kollegen wandern ab, wir verlieren sie ans Ausland.“ Man müsse die jungen Ärzte schon während des Studiums dazu motivieren, in eine Praxis aufs Land zu gehen. Stichworte: Lehrpraxis, Facharzt für Allgemeinmedizin, verbesserte Ausbildung. Aber: „Ohne Geld geht gar nichts“, betonte er. Auch Ziniel sprach die Finanzierung an: Eine stark akzentuierte Finanzsteuerung etwa würde zu Einsparungen und Rationierungen zulasten der Patienten führen. Viel eher müsse man sich fragen, was die Versorgungsziele sind: „Egal ob das Geld aus einem oder zwei Töpfen kommt, wir brauchen eine Logik der Gesundheitspolitik, die mit einem Kopf denkt, was die Bevölkerung braucht“, so Ziniel.

„Sparen ist falscher Ansatz“

ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger meinte dazu: „Sparen schlicht um des Sparens willen ist der falsche Ansatz. Wir müssen den Bevölkerungs- und Krankheitsansatz wählen.“ Keinesfalls dürfe man auf Kosten der Versorgungsqualität sparen und wegen des Ärztemangels künftig auf weniger qualifiziertes Personal zurückgreifen. „Das hat die Bevölkerung am Land nicht verdient!“, betonte er.

Um die Verteilung der Ärzte wieder in Richtung Niederlassung zu lenken, müssten besonders für die neue Generation der Ärzte – sowohl für junge als auch weibliche Kollegen – die Rahmenbedingungen wieder an Attraktivität gewinnen. Denn: „Der Durchschnittsarzt mit Kassenvertrag ist heute 56 Jahre alt. Außerdem sind rund drei Viertel der Kassenärzte männlich, während 60 Prozent der Turnusärzte weiblich sind“, schilderte Wechselberger. Die Anzahl der Frauen in der Medizin sei ständig im Steigen begriffen. Somit komme nicht nur ein Generationswechsel auf das österreichische Gesundheitswesen zu, sondern auch ein „gewaltiger Geschlechtertausch“. Und dieser Entwicklung sei Rechnung zu tragen: Nur mit entsprechenden Maßnahmen sei es noch rechtzeitig möglich, einem bevorstehenden Landärzte-Mangel entgegenzuwirken, so Wechselberger. Die Maßnahmen lauten wie folgt:

  • Die Ausbildung muss verbessert und der Facharzt für Allgemeinmedizin eingeführt werden. Verpflichtende, öffentlich geförderte Lehrpraxen sind unabdingbar.
  • Praxis-Übergaben und Zusammenarbeits-Formen müssen gefördert werden, „so flexibel wie Ärzte sie brauchen“ (Wechselberger).
  • Stichworte: Job-Enlargement und Job-Enrichment. Dazu müssen moderne Leistungskataloge geschaffen werden. Denn: „Wir werden die Menschen nur in den Beruf bringen, wenn er attraktiv ist.“
  • „Wir brauchen Hausapotheken; die bestehenden müssen bleiben und neue noch dazukommen“, forderte Wechselberger.
  • Die Work-Life-Balance muss ausgewogen sein – nicht nur für die wachsende Anzahl an weiblichen Ärzten, sondern auch für die jungen Kollegen.
  • Die Prävention ist eine „wesentliche Schiene“: „Hier haben wir Jahrzehnte verschlafen!“, kritisierte der ÖÄK-Präsident.
  • Und nicht zuletzt: „Wir brauchen neue Technologien, aber nicht als Kostenfaktor, sondern so, dass man sie brauchen kann. Und deswegen muss man die Ärzte hören“, so sein eindringlicher Appell.

Schließlich seien es nicht Einzelpunkte, die zählen. Das Gesundheitswesen sei ein hochkomplexes System, das man weder durch reines Sparen noch durch reine Finanzierung bedienen könne. „Mit diesen Maßnahmen ist das System zwar nicht gerettet, aber ein großer Schritt für die Zukunft gemacht“, so das Fazit von Wechselberger.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2012