Kommentar – Univ. Prof. Johannes Bonelli: Der Streit um den Hirntod

15.07.2012 | Politik

Mit der Einführung der künstlichen Beatmung und der intensivmedizinischen Hochtechnologie vor rund 40 Jahren sind die bislang üblichen Kriterien der Todesbestimmung wie Herz- und Kreislaufstillstand vielfach unbrauchbar geworden. Es besteht seit damals weltweit ein Konsens unter den Medizinern, dass der Nachweis des Funktionsausfalls des Gehirns durch dessen vollständige Destruktion das bis heute sicherste Zeichen beziehungsweise Kriterium für den Tod eines Menschen ist. Deshalb kann die Intensivtherapie ohne juristische Komplikationen beendet werden und eine Organentnahme aus dem Leichnam ohne schwerwiegende ethische Bedenken erfolgen. Umso erstaunlicher ist es, wenn nun im Zuge der gesetzlichen Neuregelung zur Organtransplantation in Deutschland eine emotionale Debatte vom Zaun gebrochen wurde über Leitlinien, die sich seit Jahrzehnten bewährt haben.

Einige Hirntodgegner unterstellen, dass die Hirntod-Definition absichtlich nur dazu erstellt wurde, um möglichst leicht vitale Organe für deren Transplantation zu erhalten. Ihrer Meinung nach sei ein künstlich beatmeter Körper, dessen Herz durch intensive medizinische Maßnahmen von außen am Stillstand gehindert wird, ein lebende Person, auch wenn das Gehirn vollständig zerstört ist, sie praktisch „geköpft“ nur noch eine Zeitlang künstlich dahinvegetiert und letztlich trotz aller medizinischer Anstrengungen der Verwesung anheim fällt. Keinesfalls kann aber beim Hirntoten auf Dauer künstlich ein stabiler Zustand erreicht werden; es sei denn, es handelt sich um eine Fehldiagnose.

Der Tod des Menschen erfolgt definitionsgemäß durch die Trennung von Leib und Seele. Diese ist freilich nicht feststellbar. Es wird daher in dieser Auseinandersetzung ganz vergessen, dass die Kriterien zur Feststellung des Todes weitgehend auf einer Konvention beruhen, die immer schon im Konsens der medizinisch wissenschaftlichen Gremien festgelegt wurde. Das gilt selbstverständlich für die herkömmlichen Kriterien von Herz- und Atemstillstand ebenso wie für das Hirntodkriterium.

Vielfach wird die Integration beziehungsweise Desintegration des Organismus ins Spiel gebracht, wobei sich mit Hilfe der Gehirnphysiologie eindeutig nachweisen lässt, dass es bei der Zerstörung des Gehirns zu einer Desintegration des Organismus in seiner Ganzheit kommt.

Aus der Perspektive der Medizingeschichte muss freilich darauf hingewiesen werden, dass die Kriterien von Atemund Herzstillstand ja auch schon längst bevor man etwas über Blutkreislauf und Integration gewusst hat als Todeszeichen gewertet wurden. Ausschlaggebend war aber letztlich die Tatsache, dass mit dem Atem- und Herzstillstand normalerweise ein irreversibler Zerfallsprozess des Organismus eingeleitet wird. Die Betonung liegt hier auf „irreversibel“, denn Herzund Atemstillstand als solche zeigen den Tod keineswegs in jedem Fall an, wie dies aus der Tatsache hervorgeht, dass bei der „Wiederbelebung“ ein solcher Zustand wieder aufgehoben werden kann. Ihr Funktionsausfall führt zu einer langsamen Zersetzung des Gehirns, normalerweise innerhalb von acht bis zehn Minuten. Erst diese Destruktion der Gehirnzellen bewirkt die Irreversibilität des Zustands.

Wenn heute mit Hilfe moderner diagnostischer Verfahren der Hirntod auch direkt festgestellt werden kann, so ist diese Tatsache wohl ein Fortschritt, der zu begrüßen ist. Niemand – auch nicht die Hirntodgegner – verlangt, dass die intensivmedizinischen Maßnahmen nach Feststellung des Hirntodes weiter fortgesetzt werden müssen, und niemand behauptet, dass das Abstellen der Beatmungsmaschine einer Tötung gleichkommt. Wenn vor Beendigung der Therapie der letztlich unaufhaltsame Zersetzungsprozess der Organe des Hirntoten durch eine aufwendige medizinische Intervention von außen noch für einige Stunden künstlich in die Länge gezogen wird, um deren Transplantation zu ermöglichen und einem sonst Tod-geweihten Mitmenschen das Leben zu retten, kann dies doch nicht plötzlich verwerflich sein. Der Status des Hirntoten ändert sich dadurch in keinster Weise. Vom Standpunkt der Ethik besteht zwischen beiden Vorgangsweisen kein Unterschied.

Es besteht heute in der medizinischen Wissenschaft kein Zweifel, dass die sicherste Methode zur Todesfeststellung der Nachweis des Hirntodes ist.

*) Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli ist Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin und Direktor des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2012