Kommentar – Univ. Doz. Robert Hawliczek: Ethos, Wissen, Einigkeit oder wie der Arztberuf vielleicht noch zu retten wäre

10.04.2012 | Politik

Was tut der Mensch wenn er Schmerzen hat, sich krank fühlt, sich um seine Gesundheit sorgt? Er geht zum Arzt! Ein Naturgesetz? Offensichtlich nicht, denn die politische Entwicklung zeichnet einen anderen Weg vor.

Taylorismus, die Fragmentierung der Medizin

In vielen Köpfen patientenferner Wirtschaftstheoretiker und Politikberater liegt das medizinische Heil in der Fragmentierung der medizinischen Handlungsprozesse. Gemeint ist damit die Aufsplitterung des Diagnose- und Behandlungsprozesses in viele Teilschritte und Aufteilung derselben unter den Gesundheitsberufen wie in Charly Chaplins „Modern Times“ grandios dargestellt.

Auch die Ärzte werden abgewertet und ans Fließband gestellt. Dieses System hat natürlich aus politischer und produktionstechnischer Sicht vermeintlich enorme Vorteile. Wo niemand mehr Überblick und Entscheidungskompetenz hat, kann von oben leicht eingegriffen und die Patienteninteressen als Kostenfaktor zurückgestellt werden. Das fragmentierte Gesundheitswesen ist enthauptet und stimmlos. Entmündigte Patienten und ebenfalls entmündigte „Gesundheitsdiensteanbieter“ bieten für profitorientierte Wirtschaftsmagnaten
und ihnen hörige Politiker ideale Verhältnisse zur profitmaximierenden „Steuerung“ der größten und expansivsten Wirtschaftssparte überhaupt.

Ein gutes System? Absolut nicht, wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt. Henry Fords Fließbänder waren zunächst ein enormer Fortschritt und ermöglichten die Produktion von Autos in großem Maßstab. Die Produktionsprozesse wurden extrem fraktioniert, nur mehr ganz wenige Menschen wussten wie man ein Auto baut und die saßen hoch oben im Management. Doch dann kam die Ernüchterung. Die Japaner waren plötzlich qualitativ besser, produzierten schneller und die Entwicklungszeiten für neue Modelle waren sehr kurz. Der Grund: Die Japaner bildeten kleine flexible Teams, die frei entscheiden konnten
wie sie arbeiten, ihren Bereich organisieren und weiter entwickelten wollten. Mit anderen Worten: Selbstorganisation wurde zugelassen und zum Prinzip erhoben. Was neben der Verbesserung der Qualität und Produktivität übrigens auch entscheidend für die Arbeitszufriedenheit und Befindlichkeit der Mitarbeiter war, während der Taylorismus zum Inbegriff der Versklavung der Arbeiterschaft wurde.

Skurrilerweise erfindet aber unsere Politik das Modell „Henry Ford“ fürs Gesundheitswesen gerade neu anstatt das, was wir brauchen, zu forcieren nämlich das „Japanische Modell“. Gerade Spitäler brauchen an der Patientenfront menschliche, flexible, selbstorganisierte Organisationseinheiten mit horizontalen, flachen Hierarchien unter ärztlicher Leitung. Und für letzteres gibt es auch noch klare empirisch-wissenschaftliche Evidenz! Internationale Studien von McKinsey zeigen, dass die besten Krankenhäuser der Welt von klinisch erfahrenen, ärztlichen CEOs geleitet werden und überdimensional viele ärztliche Manager aufweisen.

Entscheidungen am Patientenbett, in den Ambulanzen oder OPs müssen korrekt, effizient und patientenorientiert getroffen werden, eine Revision ist kaum möglich, Sicherheitsnetze gibt es nicht. Wertschätzendes, bildungsförderndes Personalmanagement entscheidet über Qualität und Wirtschaftlichkeit. Dies unterscheidet Spitäler von Produktionsbetrieben deren vergleichsweise simple Managementmodelle spitalsfremde Politikberater, die oft ein Spital aber kaum noch von innen gesehen haben, vor Augen haben.

Komplexität und Organisation

Das Zusammenwirken vieler Gesundheitsberufe am Patientenbett wird komplexer. Die Gesundheitsberufe entwickeln ihr Wissen und ihre Qualifikationen weiter und werden zu akademischen Berufen auf Fachhochschul- oder Universitätsniveau gehoben. Das Ergebnis sind Organisationsformen die zwar einem neuen Standesbewusstsein nicht aber den Erfordernissen am Krankenbett Rechnung tragen. Beispiel: Kollegiale Führung. Organisationsformen, die standespolitische Säulenhierarchien von Berufsgruppen nebeneinander stellen, verhindern, was der Patient gerade heute braucht, nämlich sich selbst organisierende, patientenorientierte, interdisziplinäre, interprofessionelle Teams.

Zur Rolle der Ärzte

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen hatten Ärzte beziehungsweise ihre Vorgänger in der Gesellschaft eine Sonderstellung. Sie ist die logische Konsequenz aus der Abhängigkeit des Kranken vom Helfer, die uneingeschränktes Vertrauen erfordert. Dieses Vertrauensverhältnis und die Verpflichtung zur uneingeschränkten Solidarität zum Patienten ist heute gesetzlich verankert. Als gesellschaftliche Gegenleistung wurden Ärzte mit Sonderrechten und wirtschaftlichem Wohlstand belohnt. Ein Naturgesetz? Mitnichten! Die Politik beschneidet die Rechte der Ärzte, Pflichten und Verantwortung (Haftung) aber bleiben!

Darüber hinaus ist es deklarierter politischer Wille, ärztliche Kompetenz aus sämtlichen Entscheidungs- und Leitungsstrukturen zu entfernen. Das fragwürdige Argument dafür ist die angebliche Objektivität praktisch ahnungsloser, fachfremder Manager; ein Argument, das der weltweit agierende Managementberater McKinsey durch mehrere empirische Langzeitstudien ins Reich der Fabel verwiesen hat. Auch die ärztliche Standesvertretung soll massiv geschwächt werden. Die Kammern wurden aber aus begründetem Misstrauen unserer Staatsgründer gegenüber politischer Macht und der Erkenntnis über die Bedeutung sachverständiger Vernunft für die Politik als regulierender Einflussfaktor geschaffen. Das Ergebnis war eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Politikvertrauen scheint erfahrungsgemäß auch heute keineswegs angebracht.

Die Rettung des ärztlichen Berufes und was zu tun ist

  • Ethos

Es ist die ethische Pflicht der Ärzteschaft, die traditionelle vertrauens- und qualitätsvolle Beziehung zum hilfesuchenden, abhängigen Kranken mit allen Mitteln zu verteidigen und medial immer wieder klarzulegen, auch wenn das einigen gesetzlichen Patientenvertretern gar nicht passt. Ethik zu leben, heißt auch, Zuwiderhandeln gnadenlos zu ahnden, die Korrumpierung durch ökonomische Faktoren zu verweigern und notfalls auch Verträge zu Versicherungen aufzukündigen wenn diese menschenverachtend agieren.

  • Wissen

Die Explosion des medizinischen Wissens und die qualitative Weiterentwicklung anderer Gesundheitsberufe müssen zu einer adäquaten Aufrüstung des medizinischen Wissensaufbaus führen. Das medizinische Studium muss wieder zu einem wissenschaftsorientierten Doktoratsstudium rückgeführt werden. Eine Einschränkung des diagnostischen und therapeutischen ärztlichen Betätigungsfeldes kann keinesfalls hingenommen werden, obwohl eine bedarfsgerechte, koordinierte Weiterentwicklung auch von Delegation von Tätigkeiten für andere Gesundheitsberufe durchaus sinnvoll sein kann. Das deklarierte Ziel der prä- und postpromotiellen Medizinerausbildung muss die letztverantwortliche Patientenführung im Gesundheitswesen sowie die Voraussetzungen für hochkarätige Führungsaufgaben und die Koordinierung aller Gesundheitsberufe beinhalten.

  • Einigkeit

Die geplante Fragmentierung des Gesundheitswesens führt zu einer massiven Schwächung aller am Patientenbett tätigen Gesundheitsprofis. Nur eine durch alle ärztlichen Berufsfelder einige Ärzteschaft und aktive Standesvertretung, koordiniert mit allen anderen Gesundheitsberufen, kann solchen politischen Entwicklungen wirksam entgegentreten. Immerhin ist mehr als ein Zehntel der Bevölkerung im Gesundheitswesen tätig, dem gleichzeitig größten, sich am besten entwickelnden Wirtschaftszweig generell.

Schlussfolgerung

Der höchste Wert des Arztberufes ist die bedingungslose Verpflichtung gegenüber den Patienten. Keine Berufsgruppe ist daher besser legitimiert, Patienteninteressen zu vertreten und entsprechend einer ethischen Verpflichtung alle Macht und Beharrlichkeit einzusetzen, um die Patienten der Zukunft vor patientengefährdenden Ideen wirtschaftshöriger Politiker und profitorientierter Geschäftemacher zu schützen.

Man kann auf vieles verzichten, aber nicht auf die Gesundheit.


*) Univ. Doz. Dr. Robert Hawliczek ist stellvertretender Kurienobmann der Kurie angestellte Ärzte in der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2012