Interview – Vize-Präs. Johannes Steinhart: „Ärzte sollen wieder Ärzte sein dürfen“

25.02.2012 | Politik

Dass Ärzte wieder Ärzte sein dürfen und nicht zu Gesundheitsverwaltern degradiert werden, dafür will sich der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer Wien, Johannes Steinhart, einsetzen. Er tritt bei der Wahl in der Wiener Ärztekammer als Spitzenkandidat der „Vereinigung österreichischer Ärzte“ an. Das Gespräch führte Agnes M. Mühlgassner.


ÖÄZ: Kann man als Arzt heutzutage – Stichwort Bürokratie und Administration – eigentlich noch tatsächlich Arzt sein?

Steinhart: Es ist dezidiert nicht die Aufgabe von Ärzten, dem immer mehr ausufernden Kontrollwahn von Bürokraten und Ökonomen zu dienen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind dafür ausgebildet, Medizin zu machen: am Patienten und mit dem Patienten. Das braucht Zeit und diese Zeit hat man in den letzten Jahren sukzessive vollgestopft mit Dingen, die mit der ärztlichen Tätigkeit rein gar nichts mehr zu tun haben. Bürokratie stiehlt Zeit und Geld. Ärzte sollen wieder Ärzte sein dürfen. Wir sind keine Gesundheitsverwalter.

Was meinen Sie damit konkret?
Wann immer ich mit Ärzten rede, so sind es immer die gleichen Themen: das in meinen Augen völlig verunglückte ABS, das mehr ein Medikamenten-Behinderungs- als Bewilligungsverfahren ist oder die unglaubliche Dokumentationspflicht. Dazu kommt noch, dass speziell in Wien eine unglaubliche Kassen-Willkür herrscht. Und viele Kollegen, die sich diesen ganzen bürokratischen Wahnsinn einer Kassenordination nicht antun wollen und flüchten, leiden ja als Wahlärzte genauso unter den bürokratischen Zwängen – etwa dass die Abrechnung endlos lang dauert.

Sie waren von Anfang an einer der massivsten Gegner der elektronischen Gesundheitsakte. Welche Punkte sind nach wie vor offen?

Vor allem grundsätzliche Fragen rund um ELGA sind nach wie vor ungeklärt, etwa die Datenschutzproblematik, Haftungsfragen und unsere Forderung nach freiwilliger Teilnahme für Arzt und Patient ist aufrecht. Schon jetzt zeichnet sich eine katastrophale Kosten-Nutzen-Relation ab. Die finanzielle Belastung für Ärzte ist dramatisch: In den ersten Jahren kann man von rund 10.000 Euro pro Arzt ausgehen. Kommt ELGA in der geplanten Form, wird das Vertrauensverhältnis Patient-Arzt gefährdet. Und wir Ärzte werden in ELGA ersticken. Wenn man nur bei einer einzigen Krankenakte 40 A4-Seiten an Befunden hat, kann man sich vorstellen, dass es unmöglich ist, das alles im Routinebetrieb einer Ordination oder eines Spitals zu lesen.

Stichwort Spital: Das Wiener AKH war ja wegen der geplanten Einsparmaßnahmen wochenlang Thema der öffentlichen Diskussion.
Die Proteste, die wir hier in den letzten Monaten erlebt haben, sind nur die Spitze eines Eisbergs, wo sich die Unzufriedenheit der am AKH tätigen Ärztinnen und Ärzte manifestiert hat. Die Arbeitsbedingungen im AKH sind eines Universitätsspitals nicht würdig: Hier stimmt einfach die Aufteilung zwischen Forschung, Lehre und Patientenbetreuung nicht mehr. Die Patientenbetreuung hat in einem unvorstellbaren Ausmaß zugenommen, die Forschung ist viel aufwändiger geworden und der Unterricht in Kleingruppen ist wesentlich Zeit-intensiver. Und die Forschung findet ja ohnehin nur noch in der Freizeit statt.

Wie sieht es mit der Situation der Wiener Spitalsärztinnen und Spitalsärzte insgesamt aus?

Die Probleme liegen auf der Hand: Es gibt nach wie vor keine angepassten Nachtdienst-Lösungen für ältere Ärzte. Wenn man etwa als über 50-jähriger Chirurg das volle Nachtdienstrad mitmacht, geht das an die Substanz. Und dann brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn die Burn out-Zahlen unter Ärzten uns auch nicht wundern, wenn die Burn out-Zahlen unter Ärzten beängstigende Ausmaße annehmen. Außerdem hat ein europaweiter Vergleich ergeben, dass die Spitalsärzte in Österreich bei den Gehältern am unteren Ende zu finden sind. Man muss ja immer bedenken, welche Verantwortung Ärzte haben und unter welchen Risken sie arbeiten – und dass sie schon beim kleinsten Fehler medial hingerichtet werden. Und die Unvereinbarkeit von Kindern und Karriere ist leider auch 2012 immer noch ein Thema. Hier müssen rasch entsprechende Adaptierungen getroffen werden, etwa Kinderbetreuungsstellen oder flexiblere Arbeitszeiten für Ärztinnen.

Nach der vom Generaldirektor des Krankenanstaltenverbundes, Wilhelm Marhold, angekündigten Ausbildungsoffensive für Turnusärzte ist es recht ruhig um dieses Thema geworden. Wie beurteilen Sie die Ausbildungssituation insgesamt?
Die Hauptaufgabe der Turnusärzte besteht darin, ausgebildet zu werden. Sie sind sicherlich nicht dazu da, als billige Arbeitskräfte die Systemerhalter im Krankenhaus zu geben. In fast allen anderen Staaten ist es selbstverständlich, dass das Pflegepersonal das EKG-Schreiben, Blut abnehmen und Infusionen anhängen übernimmt. Nur in Österreich werden die jungen Kolleginnen und Kollegen für diese Tätigkeiten missbraucht. Hier muss es unbedingt eine stärkere Abgrenzung zur Pflege geben. Und es gibt auch kein Geld für die Lehrpraxis. Nur zum Vergleich: Für den Bau von einem Kilometer Autobahn benötigt man 26 Millionen Euro. Die flächendeckende Umsetzung der Lehrpraxis in ganz Österreich kostet rund 10 Millionen Euro – das sind etwa 360 Meter Autobahn.

Wo liegen die Herausforderungen der Zukunft für die Wiener Ärztekammer?
Walter Dorner hat die Wiener Ärztekammer in schwierigen Zeiten geführt und die Anliegen der Ärztinnen und Ärzte hervorragend vertreten. Er war etwa maßgeblich an der neuen Vertragsgestaltung beteiligt und hat die ursprünglich im Krankenanstaltenverbund geplanten Einsparungen verhindert. In der Standespolitik durfte ich enorm viel von ihm lernen und ich sehe es als große Ehre an, seine Nachfolge anzutreten.

Welche politischen Forderungen haben Sie konkret?

Erstens muss es eine Verwaltungsreform im Gesundheitswesen geben und damit weniger Bürokratie für Ärztinnen und Ärzte. Das ist der Bereich im Gesundheitswesen, wo man tatsächlich sparen kann. Alles andere geht zu Lasten der Patienten. Zweitens: So wie es derzeit schon bei allen Gesetzen einen Gender- und einen Generationen-Check gibt, fordere ich einen Gesundheits-Check ein. Alle Gesetze – von der Schuldenbremse bis zu den Einsparungen im Gesundheitswesen in der Höhe von einigen Milliarden Euro – müssen vorab auf ihre gesundheitspolitischen Folgen hin überprüft werden. Das gilt auch für ELGA – da wird derzeit der Nutzen massiv übertrieben und die Kosten verschwiegen. Und drittens: Es muss wieder in die ärztliche Versorgung investiert werden. Die Kolleginnen und Kollegen leisten Unmenschliches, um eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu erhalten. Kaputt sparen ist da der falsche Ansatz.

Sie gelten als Hardliner – zu Recht?
Wenn man unter Hardliner versteht, dass ich konsequent in der Sache bin, dann ist das richtig. Ich bin Spitals- und Kassenarzt und kenne die Nöte im Gesundheitswesen aus erster Hand. Mir geht es in meiner neuen Funktion an der Spitze der Vereinigung darum, die Interessen aller Wiener Ärztinnen und Ärzte zu vertreten. Und dabei möchte ich Arzt und Mensch bleiben.

Zur Person

1955 in Wien geboren
1983: Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde an der Universität Wien
Anschl. Turnus im Haus der Barmherzigkeit und Krankenanstalt des Göttlichen Heilands in Wien sowie Facharzt-Ausbildung
1992: Facharzt für Urologie
Seit April 1992: Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer der Krankenanstalt des Göttlichen Heilands Wien
Seit Oktober 1993: niedergelassener Facharzt für Urologie mit Kassenverträgen
Seit 1989: Mitglied der Vollversammlung und des Vorstandes der Ärztekammer Wien
Seit 1999: Vizepräsident der Ärztekammer Wien und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte; Mitglied der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2012