Interview – Dr. Johannes Steinhart: „Nicht mehr dem Diktat der Politik beugen“

10.09.2012 | Politik

„Nicht mehr dem Diktat der Politik beugen“

Sich nicht mehr dem Diktat einer oft „ratlos erscheinenden Politik beugen“ will sich der neue Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Johannes Steinhart. Er denkt unter anderem ein alternatives ELGA-Konzept an und plädiert für die Kurienautonomie unter Wahrung der Einheit der Ärztekammer, wie er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner erklärt.


ÖÄZ: Sie sind seit mehr als 20 Jahren in der Standespolitik tätig, seit kurzem als Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Haben Sie sich schon einen ersten Überblick verschafft?

Steinhart: Ja. Und wir arbeiten derzeit auch schon an einem grundsätzlichen Konzept, das eine möglichst effiziente Strukturierung der Kommunikations- und Entscheidungsprozesse ermöglicht, wobei der Schwerpunkt darauf liegt, eine entsprechende Kommunikation zu allen Mitgliedern der Bundeskurie aber auch zu den Kollegen gemeinsam mit den Landeskurien zu erreichen. Ein entscheidender Faktor ist dabei für mich die Gemeinsamkeit, die Vielfalt der Meinungen, aber auch die anschließende Fokussierung auf effektive Vertretungsarbeit. Einen Katalog mit den notwendigen Themenfeldern haben wir bereits erstellt.

Welche konkreten Pläne haben Sie in punkto Zusammenarbeit mit den Landeskurien?
Die ersten Termine der Sitzungen der Landeskurien stehen und ich möchte mich durchaus auf Beziehungsebene in den Kurien in den Bundesländern vorstellen. Für mich ist es ganz wesentlich in meiner gesamten Tätigkeit, möglichst die Meinung der Basis zu hören und so die täglichen Probleme der Kolleginnen und Kollegen unmittelbar in die Arbeit der Kurie einfließen zu lassen.

Womit befassen Sie sich aktuell?
Derzeit sind es zwei große Themen, mit denen wir uns beschäftigen: Das ist einerseits die Gesundheitsreform und andererseits ELGA. Hier möchte ich eventuell als Alternative zur bisherigen ausschließlichen Verneinung von ELGA als konstruktiven Diskussionsbeitrag ein alternatives ELGA-Konzept erarbeiten. Dieses sollte alle Vorteile einer vernetzten Kommunikation, aber nicht die derzeitigen Nachteile in juristischer, technischer, finanzieller Hinsicht, haben. Und ein ganz wichtiger Punkt dabei ist für mich: ELGA sollte die Kollegen bei ihrer Tätigkeit unterstützen.

Welche Themen sind aus Sicht der Bundeskurie von essentieller Bedeutung?

Das oberste Gesetz lautet, die freie Arztwahl zu erhalte. Die medizinische Entscheidung muss ausschließlich aus der wissenschaftlichen und ethischen Verpflichtung und nicht unter dem tagesaktuellen Diktat einer oft ratlos erscheinenden Politik. Das heißt nicht, ökonomische Gegebenheiten vollkommen zu ignorieren, aber der Primat steht ganz eindeutig beim Nutzen für den Patienten. Der zweite Punkt: ein weiteres Nachschärfen und Fokussieren in der Vertretungskonsequenz der Interessen der Ärzte. Drittens: eine medizinisch und wirtschaftlich sinnvolle Positionierung der Ärzte innerhalb dieses Netzwerkes Gesundheitssystem. Und viertens die Verhinderung der Reduktion des Arztes.

Was meinen Sie damit?

Konkret ist damit gemeint, dass die Tätigkeitsmöglichkeiten für den Arzt erhalten bleiben müssen. Und diese Tätigkeitsmöglichkeiten müssen sich an der entsprechenden Kompetenz – was kann ich? -, Befugnis – was darf ich? -, Verantwortung – wofür muss ich gerade stehen? -, Ressourcen – was benötige ich dazu? – und Information orientieren.

Haben die Ärzte denn das nicht alles ohnehin schon?
Sie hätten es prinzipiell ja. Aber speziell von der Politik gibt es immer wieder Versuche, uns mit irgendwelchen pseudomoralischen und pseudowissenschaftlichen Argumenten die Kompetenz abzusprechen. Die Befugnis versucht man, durch Obrigkeitseingriffe zu reduzieren. Die Information ist nicht immer suffizient, die Ressourcen sind bekanntermaßen meistens zu wenig. Nur die Verantwortung würde man uns überlassen. Im Prinzip funktioniert das Ganze aber nur, wenn diese fünf Punkte im Gleichgewicht sind.

Stichwort Gesundheitsreform: Es ist zu befürchten, dass die Ärzte künftig beim Stellenplan nicht mehr mitreden dürfen.
Das Papier, auf das sich Bund, Länder und Sozialversicherung geeinigt haben, ist eine Einigung von dreien auf Kosten des Vierten. Man hat sich zum Nachteil der Ärztinnen und Ärzte, die ja letztlich in punkto Verantwortung die Träger des Gesundheitssystems sind, geeinigt. Und hier besteht die ganz große Gefahr, dass unter dem Diktat einer sich immer mehr verirrenden Ökonomie Entscheidungen fallen, durch die die freie Ausübung des ärztlichen Berufs schwerst beeinträchtigt wird. Davon jetzt einmal abgesehen ist die Vorgangsweise bei der Gesundheitsreform in keiner Weise nachvollziehbar, schon gar nicht unter dem Aspekt einer partnerschaftlichen Beziehung. Das ist so, als würde man per Gesetz ermöglichen, dass ein Kollektivvertrag ohne Rücksprache mit der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer einseitig verändert werden kann. Jeder kann sich vorstellen, wie die entsprechende Reaktioin der jeweiligen Vertreter wäre.

Wo liegen Ihrer Ansicht die größten Bedrohungen?
Es ist zu befürchten, dass wir künftig vom Stellenplan ausgeschlossen werden könnten, dass Teilkündigungen möglich sind und dass es einseitige rechtliche Veränderungen am Gesamtvertrag geben könnte.

Die Gesundheitsreform wird ja sozusagen von Freund und Feind als der große Wurf gelobt. Nur die Ärztekammer sieht das anders. Warum?

Die Bindung der Gesundheitsausgaben an das BIP ist ja völlig absurd. Es ist ja allgemein bekannt, dass gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten mehr Menschen krank sind. Außerdem sehen wir die freie Arztwahl bedroht. Dem Vernehmen nach sind ja sogenannte Polykliniken geplant. Dann wird man sich seinen Arzt nicht mehr aussuchen können und die wohnortnahe Versorgung ist vermutlich auch Geschichte. Mit den im Papier zur Gesundheitsreform strapazierten Begriffen wie ‚Planung, Kontrolle, Maximierung’ wird außerdem die Bürokratie noch einmal mehr enorm aufgeblasen.

Wird es mit Ihnen an der Spitze der Bundeskurie künftig die elektronische Gesundheitsakte geben?
In der jetzt vorliegenden Form von ELGA nicht. Die Freiwilligkeit ist dabei für uns die Schlüsselfrage. Wenn ein System wirklich einen Mehrwert hätte, würden die Ärzte in Strömen kommen und die Patienten vermutlich auch. Dass man glaubt, hier staatlich Zwangsmaßnahmen setzen zu müssen, zeigt nur, dass man nicht am Nutzen interessiert ist, sondern dass in Wirklichkeit ganz andere Interessen dahinter stehen. Wir werden mit Nachdruck gegen das jetzige ELGA-Modell eintreten.

Was wollen Sie in fünf Jahren erreicht haben?

Ich möchte nicht mehr darüber diskutieren müssen, dass der Arztberuf ein freier Beruf ist. Der Arzt muss bei der Ausübung seines Berufs und in seinen medizinischen Entscheidungen frei bleiben. Zweitens muss die Finanzierung der Leistungen und auch der derzeit geplanten Mehrleistungen – Stichwort Versorgung zu den Randzeiten – im niedergelassenen Bereich sicher gestellt sein und natürlich auch der Ausbau des niedergelassenen Bereichs.

Worüber möchten Sie nicht mehr diskutieren müssen?
Dass es selbstverständlich ist, dass uns elektronische Lösungen in den Ordinationen endlich bei unserer täglichen Arbeit unterstützen und nicht, dass wir uns irgendwelchen Algorithmen der IT unterwerfen. Ich will auch nicht mehr darüber diskutieren müssen, dass wir Ärzte nicht auf gleicher Augenhöhe mit den Vertretern der Politik reden.

Wie lautet Ihr zentrales Anliegen für die Ärztekammer insgesamt?
Im Sinne einer guten Interessensvertretung mit Kraft und Nachdruck müssen die Kurienautonomie, die Gestaltungsmöglichkeiten der Kurie wie zum Beispiel die Selbstdarstellung und auch die Kommunikation der Kurien ungehindert sein. Gleichzeitig muss die Einheit der Ärztekammer bewahrt bleiben, die durch die gegenseitige Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgruppen und der Unterstützung der jeweiligen Präsidenten gegeben ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2012