Inter­view – Vize-Präs. Gün­ther Waw­row­sky: Ach­tung vor Zersplitterung

10.06.2012 | Politik

In der Auf­split­te­rung in Kleinst-Inter­es­sen, die dem Gesamt­auf­tre­ten der Ärzte mehr scha­det als nützt, sieht der schei­dende Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, Gün­ther Waw­row­sky, die größte Gefahr in den kom­men­den Jah­ren. Im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner zieht er Bilanz. 

ÖÄZ: Sie waren in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren in Spit­zen­funk­tio­nen in der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer tätig, in den letz­ten fünf Jah­ren als Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte. Ist der Schritt in die Stan­des­po­li­tik bewusst erfolgt?
Waw­row­sky: Ich habe das nicht bewusst getan, denn wenn ich geahnt hätte, was mich da alles erwar­tet, hätte ich mich viel­leicht davor gescheut, diese Funk­tio­nen zu über­neh­men. Im Herbst 2001 bin ich zum Bun­des­fach­grup­pen­ob­mann der Inter­nis­ten gewählt wor­den und war damit auch im Vor­stand, zunächst noch in einer Posi­tion des Schau­ens, Beob­ach­tens, Auf­pas­sens. 2004 war ich stell­ver­tre­ten­der Bun­des­ku­ri­en­ob­mann in Nie­der­ös­ter­reich. Kurz dar­auf hat sich der dama­lige Stell­ver­tre­ter in der Bun­des­ku­rie auf ÖÄK-Ebene aus pri­va­ten Grün­den zurück­ge­zo­gen und ich wurde ange­spro­chen, ob ich das über­neh­men könnte. Stell­ver­tre­ter zu sein ist ja an sich keine Tätig­keit, die unglaub­lich for­dernd ist. Es geht ja eher darum, Erfah­run­gen zu sam­meln und das Gesche­hen auf­merk­sam mit zu ver­fol­gen. Als dann der Unfall von Jörg Pruck­ner pas­siert ist, war ich über Nacht amts­füh­ren­der Bun­des­ku­ri­en­ob­mann und bin mit­ten im Gesche­hen gestanden.

Wie war die poli­ti­sche Situa­tion zu die­sem Zeit­punkt?
Damals hat gerade die schwarz-orange Koali­tion regiert und man hat diese abso­lute Bereit­schaft gespürt, gesetz­li­che Ände­run­gen kur­zer­hand durch­zu­zie­hen über die Köpfe der Betrof­fe­nen hin­weg. Zumin­dest bestand diese Ber­o­hung. Wir haben gehofft, dass diese Gefahr unter einer gro­ßen Koali­tion – es folg­ten ja bekannt­lich Gus­en­bauer und Mol­te­rer – dann nicht gege­ben sein wird. Es hat aber nicht lang gedau­ert, und wir sind eines Bes­se­ren belehrt wor­den: Andrea Kdol­sky ist Gesund­heits­mi­nis­te­rin gewor­den. Es war schon ein beson­de­res Ereig­nis, Kdol­sky erlebt zu haben. Was sich die Spit­zen unse­res Staa­tes erlaub­ten, war wirk­lich beein­dru­ckend und erschüt­ternd. 2008 haben dann Karl­heinz Kopf als SVA-Vize­ob­mann und Franz Bitt­ner, damals noch Obmann der Wie­ner GKK und Vor­sit­zen­der der Trä­ger­kon­fe­renz, die Gesund­heits­re­form und die Reform des Haupt­ver­ban­des vor­ge­stellt. Damit begann die exzes­sive Aus­ein­an­der­set­zung. Wenn man bedenkt, dass ich ja meine Ordi­na­tion als Inter­nist wei­ter­ge­führt habe, und dass ich das alles noch zusätz­lich gemacht habe – ange­fan­gen von den Ordi­na­ti­ons­schlie­ßun­gen bis hin zu den zwei Pro­test­mär­schen – dann kann man sich schon vor­stel­len, dass das eine Extrem­be­las­tung war. Und der Erfolg hat uns Recht gege­ben. Die Koali­tion Gus­en­bauer-Mol­te­rer ist geschei­tert, es gab Neu­wah­len und in der Folge eine deut­lich geschwächte Koali­tion. Der neue Gesund­heits­mi­nis­ter hieß Alois Stöger.

War die Erwar­tung ihm gegen­über eine andere?
Rauch-Kal­lat gegen­über hatte ich keine Erwar­tung, denn ich habe sie zu wenig gekannt. Ich habe nur gese­hen, was sie getan hat. Am schlimms­ten war für mich und auch für vielel nie­der­ge­las­sene Ärzte die Ein­füh­rung des Boxen­sys­tems 2005, die Arz­nei­mit­tel­be­wil­li­gungs- und Kon­troll­ver­ord­nung. Das war ein Schlag ins Gesicht der Ärz­te­schaft. Nach all den Jah­ren kann man sagen: Ein­spa­run­gen hat das Boxen­sys­tem jeden­falls nicht gebracht, denn die Zahl der ver­ord­ne­ten Medi­ka­mente in die­sem Zeit­raum ist unver­än­dert geblie­ben. Außer­dem muss die Sozi­al­ver­si­che­rung den Ärz­ten ein Viel­fa­ches für diese Tätig­keit zah­len. Das Boxen­sys­tem ist nur eine zusätz­li­che admi­nis­tra­tive Belas­tung. Wenn jemand davon pro­fi­tiert, sind es viel­leicht die Pati­en­ten, weil die Ärzte für sie die chef­ärzt­li­che Bewil­li­gung ein­ho­len müs­sen.

Wenn Rauch-Kal­lat den Ärz­ten das Boxen­sys­tem ver­ord­net hat, so hat Alois Stö­ger das offen­sicht­lich mit ELGA vor.

Gut, bei ELGA han­delt es sich um einen Auf­trag der Bun­des-Gesund­heits­kom­mis­sion. Wie man mit Auf­trä­gen umgeht, sieht man ja in des jet­zi­gen Minis­ters Umgang mit dem Haus­arzt­we­sen. Auch in der aktu­el­len Regie­rungs­er­klä­rung steht die Ent­wick­lung eines Haus­arzt­mo­dells. Dies­be­züg­lich hat er deut­lich die Zügel schlei­fen las­sen, was er mit ELGA nicht tut.

Haben Sie mit Minis­ter Stö­ger kon­kret über das Haus­arzt­mo­dell der ÖÄK gespro­chen?
Immer wie­der. Ich glaube, er hat sich bis­her mit dem Thema nicht inten­siv beschäf­tigt – um nicht zu sagen: über­haupt  nicht. Ich hoffe aber, er macht das noch, weil ich glaube, das wird eines der gro­ßen Pro­bleme in der Zukunft. Und hier die Augen zu ver­schlie­ßen, ist fahr­läs­sig. Da liegt der Minis­ter falsch, da liegt die Poli­tik falsch. Es ist wich­ti­ger, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zu sichern und nicht nur den elek­tro­ni­schen Daten­trans­fer zu gewähr­leis­ten und einen Daten­fried­hof zu schaf­fen. Daher haben wir auch ver­sucht, diese Ver­ant­wor­tung mit der Her­aus­gabe des Buches ‚Arzt der Zukunft – Zukunft des Arz­tes‘ zu doku­men­tie­ren. Ich bin stolz dar­auf, dass uns das gelun­gen ist. Es ist auch ein Thema, das ich bei den Poli­ti­kern in mei­ner Abschieds­runde immer wie­der anspreche.

Wie schauen die Reak­tio­nen dar­auf aus? Ist den Poli­ti­kern bewusst, wie sehr das Thema unter den Nägeln brennt?
Wie sehr es ihnen bewusst ist, dass es brennt, weiß ich nicht, denn viele sehen die Brand­herde natür­lich in ande­ren Berei­chen. Die Oppo­si­tion sieht die Ver­ant­wor­tung bei der Regie­rung, die Regie­rung will das Ganze – viel­leicht weil sie etwas säu­mig war – baga­tel­li­sie­ren. Grund­sätz­lich ist es den Poli­ti­kern sicher­lich klar, dass hier etwas auf uns zukommt, was uns vor gewal­tige Her­aus­for­de­run­gen stel­len wird. Aber das betrifft ja nicht nur die Regie­rung, son­dern auch die Sozi­al­ver­si­che­rung und den Haupt­ver­band, weil das ja die Haupt­ver­ant­wort­li­chen in der nie­der­ge­las­se­nen Ver­sor­gung sind. Ich werde den Ein­druck nicht los, dass das Thema von einem zum ande­ren her­um­ge­scho­ben wird. Als Ärz­te­ver­tre­ter kommt man sich ja in Sach­fra­gen oft vor, als ob man im Kreis rennt.

Wo sehen Sie die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen für die Ärz­te­kam­mer in Zukunft?
So wie ich die Ärz­te­ver­tre­tung sehe, nimmt sie einen Weg, der dem Gesamt­auf­tre­ten der Ärz­te­schaft mehr scha­det als nützt, weil sie sich in Kleinst-Inter­es­sen zer­reißt. Und bei allem Respekt vor der Not­wen­dig­keit der Bear­bei­tung von Kle­inst­in­ter­es­sen, denn wir sind nun ein­mal eine hete­ro­gene Gruppe, hat die Ärz­te­kam­mer auch, glaube ich, eine Groß­ver­ant­wor­tung zu tragen.

Und zwar inwie­fern?
Die Poli­tik neigt gerne dazu, die Ärz­te­schaft als ihren ver­län­ger­ten Arm oder als ihren medi­zi­ni­schen Dienst­leis­ter zu sehen – ohne respek­tie­ren zu wol­len, weil sie es nicht wis­sen und auch nicht sehen will, was hin­ter dem Beruf des Arz­tes steht: Empa­thie, Enga­ge­ment, Auf­wand, Begeis­te­rung, aber auch der Umgang mit Lei­den, Schmer­zen und schwe­ren Krank­hei­ten. Im Gegen­teil: Die Poli­ti­ker schauen immer eher neid­voll auf die rie­sige Akzep­tanz der Ärz­te­schaft unter der Bevöl­ke­rung. Die­sem Druckd er Macht­ha­ben­den, die ja gerne geneigt sind, diese Macht auch aus­zu­üben, muss man sich ent­ge­gen­stel­len. Es kommt oft nicht gut an, dass wir als Stan­des­ver­tre­tung auch den medi­zi­ni­schen Fort­schritt ein­for­dern. Dass unser Gegen­über hier aber aus finan­zi­el­len Grün­den nicht Schritt hal­ten kann, steht wie­der auf einem ande­ren Blatt. Dass die Sozi­al­ver­si­che­rung – und hier spre­che ich als Ver­tre­ter der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte – mit der Ent­wick­lung von Kas­sen­plan­stel­len dort ist, wo sie 1990 war, liegt auch an der Finan­zie­rung der­sel­ben. Dass die Hono­rar­ord­nun­gen denen von 1980 ähneln, liegt sicher nicht an uns. Hin und wie­der gelingt es trotz­dem, Neu­ig­kei­ten ein­zu­füh­ren. Das beste Bei­spiel dafür ist die Kin­der- und Jugend­psych­ia­trie, auf die ich sehr stolz bin, weil es über­haupt nicht ein­fach war, das zu realisieren.

Gibt es irgend­et­was, was Sie noch gerne umge­setzt hät­ten?
Ich habe immer ver­sucht, zwi­schen den Ver­trags­part­nern eine Ver­trau­ens­bil­dung zu errei­chen, auch mit dem Haupt­ver­band. In man­cher Hin­sicht ist es anfäng­lich auch gelun­gen. Vor allem nach dem Streik 2008 mit den Ordi­na­ti­ons­schlie­ßun­gen und den Auf­mär­schen haben wir trotz­dem 2009 die Ver­hand­lun­gen in den Arbeits­grup­pen wei­ter­ge­führt. Die Prä­sen­ta­tion des ‚Mas­ter­plans Gesund­heit‘ durch den Haupt­ver­band war ein heim­tü­cki­scher Schlag gegen die Ärzte und damit gab es auch keine Gesprä­che in den Arbeits­grup­pen mehr. Seit­her ist die Gesprächs­ba­sis nur noch ver­ein­zelt da. Bei aller Dif­fe­renz, die sich hier auf­tut: Eines mei­ner Ziele wäre es gewe­sen, hier ein Ver­hält­nis, eine trag­fä­hige Basis auf­zu­bauen. In vie­ler Hin­sicht ist mir das ja gelun­gen: Es ist mit der Nie­der­ös­ter­rei­chi­schen GKK gegan­gen, mit der VAEB, mit der BVA und auch mit der SVA nach dem Rie­sen­crash. Dass es also an uns gele­gen ist, kann man daher nicht sagen. Das hat schon andere Gründe.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2012