Gesundheitsreform 2012: Sparen, sparen, sparen

10.10.2012 | Politik

Während klar definierte Versorgungsziele fehlen, ist im Papier der Steuerungsgruppe zur Gesundheitsreform genau festgelegt, wie viel eingespart werden soll: 3,4 Milliarden Euro bis 2016. Damit zeichnet sich schon jetzt ab, dass diese „Reform“ auf dem Rücken der Patienten – Stichwort Leistungslimitierung – ausgetragen werden soll.
Von Agnes M. Mühlgassner

„Es geht um’s Sparen bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben“ – das ist es, worum es laut ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger bei der von der Steuerungsgruppe Gesundheit vorgelegten Gesundheitsreform in Wirklichkeit geht.

Zur Vorgeschichte: Im Juni dieses Jahres haben die mehr als zweijährigen Verhandlungen mit der Präsentation des zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung vereinbarten Papiers zur Gesundheitsreform ihren Abschluss gefunden. Unter Ausschluss der Ärzte haben sich die sechs Mitglieder dieser Steuerungsgruppe – Gesundheitsminister Alois Stöger, Finanzministerin Maria Fekter, der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer, die Wiener Gesundheits-Landesrätin Sonja Wehsely, der Verbandsvorsitzende im Hauptverband Hansjörg Schelling sowie die Obfrau der Wiener GKK Ingrid Reischl – darauf geeinigt, ein Zielsteuerungssystem einzuführen, das sowohl Versorgungs- als auch Finanzziele beinhaltet. Planung und Steuerung von niedergelassenem und Spitalsbereich sollen künftig gemeinsam erfolgen; das Geld von Bund, Ländern und Sozialversicherung in einem „virtuellen Budget“ zusammenfließen.

Die Ziele werden dabei auf Bundesebene in Abstimmung mit Ländern und Sozialversicherung in einem mehrjährigen Vertrag festgelegt. Ebenso werden die Budgets gedeckelt: Werden die festgelegten Ausgabenobergrenzen überschritten, sind Sanktionen – über deren Details noch kaum etwas bekannt ist – vorgesehen. Die Inhalte dieser Gesundheitsreform müssen allerdings noch in einer §15a-Vereinbarung, die für diesen Herbst vorgesehen ist, beschlossen werden. Mit Anfang 2013 soll die Gesundheitsreform in Kraft treten.

Die geplanten Änderungen im Gesundheitswesen sind Folgen des von der EU vorgegebenen Stabilitätspakts, der im März 2012 im Nationalrat beschlossen wurde, mit dem Ziel, dass Österreich ab 2017 einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann. Für das Gesundheitssystem bedeutet das konkret: Die öffentlichen Gesundheitsausgaben sollen an das durchschnittliche Wirtschaftswachstum (BIP) gebunden werden und somit jährlich nicht stärker steigen als 3,6 Prozent. Auf diese Weise sollen bis 2016 rund 3,4 Milliarden Euro und bis 2020 knapp elf Milliarden Euro eingespart werden. Für Artur Wechselberger ist die Bindung der öffentlichen Gesundheitsausgaben an das BIP „absurd“. Während das BIP in den letzten Jahren um rund 3,8 Prozent gestiegen ist, lag das Wachstum der öffentlichen Gesundheitsausgaben jährlich bei durchschnittlich 5,2 Prozent.

Hinter den Begriffen Versorgungsziele, Finanzziele, Planung, Strukturen, Qualität – um nur einige zu nennen – verbergen sich folgende, mit der Gesundheitsreform geplante Veränderungen: die Verlagerung von Leistungen in den tagesklinischen beziehungsweise in den ambulanten Bereich wie etwa Spitalsambulanzen oder selbstständige Ambulatorien; die Förderung von extramuraler Leistungserbringung durch neue interdisziplinäre Versorgungsmodelle (Gesundheitszentren, Polykliniken, Gruppenpraxen/Ärzte-GmbHs). Unter den Zielvorgaben zur Optimierung der Behandlungsprozesse findet man, dass Sektoren-übergreifend Leitlinien geplant sind, weiters die Festlegung der Umsetzung von E-Health-Konzepten (inclusive ELGA) und auch der Aufbau eines Instituts für Qualitätskontrolle im Gesundheitswesen, das zentral, unabhängig und Sektoren-übergreifend tätig sein soll.

Wechselberger zu den geplanten Änderungen: „Die Gesundheitsreform geht nicht von Versorgungsnotwendigkeiten, sondern vom Stabilitätspakt aus. So sind etwa bei der extramuralen Leistungserbringung die niedergelassenen Ärzte nicht einmal erwähnt.“ Von den geplanten Änderungen seien drei Viertel der Gesundheitsausgaben in Österreich betroffen; der Rest werde privat finanziert. Laut dem ÖÄK-Präsidenten droht das Gesundheitssystem insgesamt durch die zusätzliche Zentralisierung und Bürokratisierung ineffizienter zu werden; der Aufbau von Doppelstrukturen (Planungs- und Finanzziele müssen kontrolliert werden) mache das System teurer. Wechselberger weiter: „Die Finanzierung der Entwicklung des Gesundheitsbereichs ist keine Frage der Finanzierbarkeit, sondern der Finanzierungsbereitschaft.“ In weiterer Folge käme es durch die Budgetierung der öffentlichen Gesundheitsausgaben mit Ausgabenbegrenzung unabhängig vom tatsächlichen Bedarf zur Zwei-Klassen-Medizin.

Im Gegensatz zu den für das Gesundheitssystem zuständigen Politikern wirft nach Ansicht des ÖÄK-Präsidenten der vorliegende Entwurf mehr Fragen auf als er beantwortet – wie zum Beispiel:

  • Wie wirken sich die Einsparungen im niedergelassenen Bereich aus, wie in den Spitälern?
  • Welche Einsparung soll wie viel bringen?
  • Welche Mittel fließen dem niedergelassenen Bereich zu?
  • Wie bedroht ist das System der Gesamtvertragspartner und die Autonomie der Selbstverwaltungen?

Und er nannte dabei als Stichworte die Honorarautonomie, den Stellenplan sowie die geplanten neuen Versorgungsformen. Wenn Länder und Kassen die Rollenverteilung und die Aufgabengebiete pro ambulanter Versorgungsstufe bestimmen, könnte dies bis hin zur Möglichkeit der Rücknahme von bereits bestehenden Kassenplanstellen gehen, befürchtet Wechselberger.

Streit um’s Geld

Und noch bevor es überhaupt eine gesetzliche Grundlage für die Gesundheitsreform gibt, ist schon der erste Streit ausgebrochen – um‘s Geld. So ist derzeit vorgesehen, dass 60 Prozent der Einsparungen von 3,4 Milliarden Euro durch die Länder – und somit in den Spitälern – erfolgen sollen und 40 Prozent durch die Sozialversicherung. Etliche Länder hätten darauf gedrängt, diese Sparziele anzupassen; das heißt: sie zu entlasten. Laut Hauptverbandschef Hansjörg Schelling steht der Aufteilungsschlüssel nun jedoch wieder außer Streit.

Hinter verschlossenen Türen

Kritik an der „Strategie der verschlossenen Türen“ übt der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Johannes Steinhart. „Hier haben sich Bund, Länder und Sozialversicherung auf Kosten eines Dritten, nämlich auf Kosten der Ärzte, geeinigt“, führt er weiter aus. Die Koppelung der Gesundheitsausgaben an das Bruttoinlandsprodukt sei – angesichts der Tatsache, dass im niedergelassenen Bereich die Zahl der Kassenplanstellen dem Stand aus dem Jahr 2000 entspreche – völlig realitätsfremd. Noch dazu wisse man aus Untersuchungen, dass speziell die Menschen in Zeiten der Wirtschaftskrise häufiger krank sind als sonst. Und Steinhart befürchtet Verschlechterungen in der Versorgung: „Die wohnortnahe medizinische Versorgung wird das Papier nicht wert sein, auf dem sie steht. Auf den tatsächlichen Bedarf, nämlich dass immer mehr Menschen immer älter werden und sich die Medizin rasant weiter entwickelt, wird überhaupt nicht Rücksicht genommen.“ Wenn es also wirklich darum gehe, Geld einzusparen, dann könne das nur geschehen, indem der niedergelassene Bereich so aufgewertet werde, dass es zu einer spürbaren Entlastung der Spitalsambulanzen komme. Steinhart weiter: „Ich kann die dauernden Ankündigungen von der Stärkung des niedergelassenen Bereichs nicht mehr hören. Ich fordere die Politik auf, die Gesundheitsreform als Chance wahrzunehmen, hier den Worten endlich Taten folgen zu lassen.“

 

 

 

 

Leistungslimitierung heißt Verknappung

Eine versteckte Leistungslimitierung auf dem Rücken der Ärzte – nichts Anderes ist für den Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer, die geplante Gesundheitsreform. „Die Politik drückt sich vor der Verantwortung, sich zur Leistungsreduktion zu bekennen“, so Mayer weiter. Der Politik gehe es nur vordergründig um die Stärkung des niedergelassenen Bereichs, dies seien nur vorgeschobene Argumente. Die seiner Ansicht nach größte Gefahr bestehe darin, dass „die Ambulanzen in den Spitälern noch weiter und noch mehr als bisher belastet werden, was letztlich dem System ungeheure Kosten verursacht“. Doch die von der Politik offensichtlich gewünschte Verlagerung von Leistungen habe eine weitere, noch viel gravierendere Auswirkung: nämlich die Zerstörung der bisher existenten Versorgungsstruktur. „Für uns Spitalsärzte bedeutet es noch mehr Arbeit, wo jetzt schon die Leistung gedeckelt ist und längst kein Geld mehr für das zusätzlich notwendige Personal vorhanden ist.“ Schon jetzt könne man zahlreiche Arztdienstposten nicht mehr nachbesetzen und mit dem vorhandenen Personal die täglich in die Ambulanzen kommenden Patientenströme kaum noch bewältigen. „Wenn man jetzt alle Patienten den Spitälern zuschiebt, die ja den Ländern gehören, dann ist das scheinheilig“, urteilt der Bundeskurienobmann. Man werde damit keine Probleme lösen. „Eines muss aber schon klar sein: Leistungslimitierung heißt Verknappung für den Patienten“, so das Fazit von Mayer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2012