Gesundheit im Wahlprogramm 2013: Wohin der Weg geht

15.12.2012 | Politik

Ausschließlich Ärzte waren es, die als Vertreter der politischen Parteien an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Gesundheit im Wahljahr 2013“ teilgenommen hatten. Die zentralen Themen: Prävention, Gesundheitsreform und die Ärzte-Ausbildung.
Von Agnes M. Mühlgassner

Die „Gesundheit im Wahlprogramm 2013 – was auf uns zukommt. Was wir uns wünschen“ stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung, zu der die Karl-Landsteiner-Gesellschaft Anfang Dezember in das Institut für Ethik und Recht in der Medizin auf dem Gelände des Alten AKH in Wien eingeladen hatte.

Als Vertreter der politischen Parteien waren ausschließlich Ärzte gekommen: Univ. Prof. Peter Frigo (F) – in Vertretung für Dagmar Belakowitsch-Jenewein; Univ. Prof. Kurt Grünewald, Gesundheitssprecher „Die Grünen“; Claudia Laschan, Bezirksvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs im 15. Wiener Gemeindebezirk – in Vertretung von Sabine Oberhauser – sowie Erwin Rasinger, Gesundheitssprecher der ÖVP. Entschuldigt hatte sich der Gesundheitssprecher des BZÖ, Wolfgang Spadiut.

Laschan – sie ist Gemeinderätin im 15. Wiener Bezirk – unterstrich eingangs, dass der persönliche Lebensstil einen wesentlichen Teil dazu beitrage, ob ein Mensch gesund oder krank ist. Noch wichtiger sei das Gesundheitssystem, in dem er lebt; den größten Teil mache jedoch der sozioökonomische Hintergrund aus wie etwa der Arbeitsplatz, die Bildung, das Einkommen und viele andere Faktoren mehr. Dementsprechend sollte nach Ansicht von Laschan Gesundheitspolitik eine Querschnittsmaterie sein nach dem Motto „Health in all policies“. Man wolle „allen Menschen den Zugang zum Gesundheitssystem gewähren – egal, welchen finanziellen Hintergrund sie haben“. Internistin Laschan weiter: „Die Gesundheitspolitik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für ein möglichst langes gesundes Leben zu schaffen und dazu gehört die Gesundheitsförderung ebenso wie Prävention wie die ambulante und stationäre Versorgung.“ Wie sie insgesamt resümierte: „Gesundheitsversorgung ist eine öffentliche Aufgabe und keine Frage des freien Marktes.“ Ein weiteres Credo von Laschan: „Das Herumschieben der Patienten aus dem ambulanten Bereich in den stationären und umgekehrt muss ein Ende haben.“ Das könne nur durch eine gemeinsame Planung und Steuerung und letztlich auch Finanzierung erzielt werden. „Kostendämpfung heißt auch einsparen – da muss man nicht herumreden.“ Wo es auch anzusetzen gilt, ist für sie klar: bei der Gesundheitsprävention. Die müsse im Kindergarten und in der Schule beginnen und bei der Bewusstseinsbildung ansetzen.

Zwar werden die Österreicher sehr alt; die in Gesundheit verbrachten Lebensjahre sind allerdings im europäischen Vergleich gering. Einen Wendepunkt sieht Peter Frigo um das 55. Lebensjahr. Seine rhetorisch gestellte Frage, wieso es „so viele kranke Jahre in unserer doch langen Lebenserwartung gibt“, beantwortet er mit einer Gegenfrage: „Wie viel investieren wir in Prävention?“ Seine Antwort: „Irrsinnig wenig.“ Frigo berichtet auch vom Streik der Medizinstudenten an der Medizinischen Universität Wien, die darauf aufmerksam machen, dass es zu wenig Ausbildungsplätze gibt. In seinen Augen der falsche Ansatz, um zu sparen. „In der Gesundheit kann man nicht sparen“, so Frigo. Er hätte weder die Wiener Gesundheits-Stadträtin Sonja Wehsely noch Gesundheitsminister Alois Stöger sagen hören, bei der Verwaltung sparen zu wollen. Mit der derzeitigen Gesundheitspolitik ist Frigo „unzufrieden“ – fehlen doch hier Versorgungsziele oder Untersuchungen über Patientenströme. „Die meisten Gesundheitspolitiker verstehen unter Gesundheitspolitik nur Spitalsbau.“ Die seiner Ansicht nach wirklichen Herausforderungen: die „Riesen-Überalterung“ in Wien und den „wahrscheinlichen Ärztemangel“.

An der Tatsache, dass in Österreich Gesundheit in der politischen Diskussion „vorwiegend unter dem Katastrophenszenario ‚Können wir uns das leisten?‘ transportiert wird“, stößt sich Internist Grünewald. Zwar hätten wir eines der „besten Gesundheitssysteme der Welt, aber mit beträchtlichen Lücken und sozialen Ungerechtigkeiten“. Lücken ortet er bei Kindern in puncto Logotherapie, Physiotherapie, aber auch bei der Psychotherapie auf Krankenschein.

Und mindestens ebenso „irritiert“ zeigte sich Grünewald darüber, dass man bei der Debatte über die Gesundheitsreform – die sehr in die Richtung stationär oder niedergelassen laufe – in Österreich seit mehr als 20 Jahren über ein- und dasselbe diskutiere und „kaum einen Millimeter weiter kommt“. Im Regierungsprogramm stehe, dass es keine Zwei-Klassen-Medizin geben soll und der Patient im Mittelpunkt steht. „Das hat man schon vor 30 Jahren gesagt und geändert hat sich nichts“, so die Diagnose von Grünewald. Er plädiert für eine Aufrüstung des niedergelassenen Bereichs und für eine Verbesserung der Ausbildung – so gebe es noch immer keinen Facharzt für Allgemeinmedizin. Hier fehle es ihm, Grünewald, „massiv an Ehrlichkeit“.

Die Lücken im System

Eine zu hohe Spitalsaufnahmerate und ein unterentwickelter ambulanter Sektor – so lautet die Analyse der OECD, sagte Erwin Rasinger. Ärgerlich wird er, wenn er an das vor vier Jahren erstellte Regierungsprogramm denkt: „Wir sind in wesentlichen Zielen nicht weiter gekommen wie zum Beispiel beim Hausarztmodell. In Österreich ist nichts passiert.“ Im Argen sieht Rasinger speziell die Kinderund Jugendgesundheit. Er führte weiter aus: 70.000 Kinder bekommen nicht die Therapie, die sie benötigen würden. Und: „Wir schaffen seit 20 Jahren keine Kinder-Rehabilitation.“ Ebenso gäbe es kein Kinderhospiz. „Wir haben ein gutes Gesundheitssystem. Aber wir haben Lücken.“ Was nun die Gesundheitsreform anlangt, meinte Rasinger, dass die Ärzte nachweislich seit fünf Monaten nicht im Diskussionsprozess eingebunden seien. „Das schafft ein Klima des Zorns und der Ohnmacht.“ Dass es den Hausarzt auch künftig „in irgendeiner Form“ geben wird, davon ist der Allgemeinmediziner Rasinger überzeugt. Er befürchtet jedoch, dass die Länder ihre Spitalsambulanzen noch weiter ausbauen und es den niedergelassenen Facharzt nicht mehr geben wird. „Ist das nicht ein Wert per se, einen freien, niedergelassenen Arzt zu haben?“, fragte Rasinger, den es „stört, dass wir uns diese Frage in der Gesundheitspolitik nicht stellen“.

In der anschließenden Diskussion meldete sich Norbert Jachimowicz, stellvertretender Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Wiener Ärztekammer, zu Wort. Österreich sei eines der wenigen Länder, in denen es keine Ausbildung in der Lehrpraxis gebe. „Rund zehn bis 15 Millionen Euro pro Jahr sind dafür nötig. Andererseits wird beim Wiener Wilhelminenspital ein Verwaltungsgebäude für 118 Millionen Euro errichtet.“ Grünewald bestätigte, dass es zu wenig Lehrpraxen gibt und auch, dass „die Ausbildung grottenschlecht ist, weiß man seit 30 Jahren“. Bei der Lehrpraxis spieße es sich an der Finanzierung. Sein Vorschlag sei immer ein Drei-Säulen-Modell gewesen: Bund, Länder und Praxisinhaber oder Ärztekammer.

Die Generalsekretärin des Berufsverbandes der österreichischen Psychologen, Martina Krieger, wollte von den Diskutanten wissen, wie es denn um die Implementierung der psychologischen Behandlung als Kassenleistung stehe, um die sie sich nun schon seit einem Jahr bemühe. Rasinger sprach sich für die psychologische Behandlung auf Krankenschein aus. Laut ÖBIG-Studie sei nicht einmal ein Drittel des Bedarfs gedeckt, ergänzte Grünewald. Und: „Es ist realpolitisch schwierig, das zu finanzieren.“

Wie ist es nun um die Wünsche der Gesundheitspolitiker bestellt? Kurt Grünewald wünscht sich, dass das Solidarsystem über die Versicherungspflicht aufrecht bleibt. Eine „qualitativ hochwertige Versorgung unabhängig vom Alter und Einkommen“ bringt Erwin Rasinger in die Abschlussrunde ein. Peter Frigo definiert seinen „Hauptschwerpunkt“ wie folgt: „Unser Gesundheitssystem zu erhalten, wobei wir Prävention als Schwerpunkt haben.“ Damit müsse man speziell bei der Jugend beginnen. Claudia Laschan sieht noch „so viele Dinge, die Kassenleistungen sein müssten“. Durch Umstrukturierungen und inhaltliche Neuorientierungen sollen Ressourcen frei werden, um dies zu finanzieren – so ihr Wunsch.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2012