ELGA Blick ins Ausland: Möglichkeiten und Grenzen

25.09.2012 | Politik


Ein Erfahrungsaustausch darüber, wie die elektronische Gesundheitsakte in anderen Ländern funktioniert, war Ziel der Enquete „ELGA international“, zu der die Ärztekammer Wien eingeladen hatte. So ist beispielsweise das eRezept nicht umsetzbar, wie die Erfahrung aus Deutschland zeigt, und wird daher auch nicht weiter verfolgt.
Von Marion Huber

In einigen anderen Ländern hat man bereits verschiedene E-Health-Anwendungen getestet, überarbeitet, gestoppt oder erfolgreich umgesetzt. Was kann in der Praxis wirklich umgesetzt werden? Was nützt und was verursacht nur zusätzliche Kosten? Bei einer Enquete der Ärztekammer Wien Anfang September kamen Experten aus der Schweiz, Deutschland und Dänemark zu Wort und schilderten ihre Erfahrungen mit E-Health. Zu Beginn der Veranstaltung betonte Univ. Prof. Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer Wien: „Es gibt keine prinzipielle Ablehnung bei der Ärzteschaft, was Computer und Datenübertragung betrifft. Allerdings gibt es eine Fülle von Einwänden und Problemfeldern, die wir bei ELGA erkannt haben.“ Dabei gehe es vorwiegend um die Verpflichtung zur Teilnahme und die Funktionalität.

Können, nicht müssen

In der Schweiz, wo 26 Kantone auch 26 verschiedene Gesundheitssysteme und Gesundheitsgesetze bedeuten, gibt es keine bundeseinheitliche Lösung für E-Health, wie Adrian Schmid, der Leiter des Koordinationsorgans Bund-Kantone „eHealth Suisse“, die Schweizer Herangehensweise erklärte. In den einzelnen Kantonen werden verschiedene, unabhängige Systeme implementiert. Obwohl das Bundesgesetz zum elektronischen Patientendossier ab 2013 im Parlament behandelt werden soll, gebe es „große Hürden und Schwierigkeiten“. Auch hier stellt sich das Finanzierungsproblem in den Arztpraxen – in den ersten 20 Jahren nach Einführung würden die Kosten den Nutzen um 439 Millionen Schweizer Franken übersteigen. Die Freiwilligkeit ist allerdings unumstritten: „Es ist ein Können, nicht ein Müssen“, sagte Schmid. Der Patient muss zuerst schriftlich einwilligen, bevor überhaupt ein Patientendossier erstellt wird.

In Deutschland war die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für 2006 geplant. 2012 – sechs Jahre später – ist der Roll-out für 70 Prozent der Versicherten vorgesehen. Ein Wermutstropfen: Wenngleich verschiedenste Anwendungen durch die neue elektronische Gesundheitskarte abgedeckt werden sollten, ist die bis dato einzige mögliche Anwendung das Versichertenstammdaten-Management. „Damit ist die Gesundheitskarte bislang nur eine teure Version der alten Krankenversicherungskarte“, berichtete Ute Taube, Vorstandsmitglied der Sächsischen Landesärztekammer.

Das eRezept – also die Übermittlung von Verordnungen in maschinell verwertbarer Form – sollte ursprünglich eine der Haupt-Anwendungen der neuen Gesundheitskarte werden. „Heute ist klar, dass das eRezept nicht umsetzbar ist. Es wird daher auch nicht weiterverfolgt“, stellte sie klar. Abgesehen vom hohen Zeitaufwand – jedes Rezept musste einzeln signiert werden – brachte das eRezept in der Testphase keine wirtschaftlichen Vorteile und keine verbesserte Qualität in der Patientenversorgung. Als weitere Schwachstelle stellte sich in der Testphase der Notfalldatensatz heraus. Der Prozess, die Notfalldaten aufzurufen, dauerte pro Patient 40 Minuten. Auch diese Anwendung müsse neu konzipiert werden, so Taube weiter.

„Man braucht viel Zeit“

Für Jens Christian Ehlers, niedergelassener Allgemeinmediziner in Dänemark, ist es nicht überraschend, dass man „in Skandinavien in Sachen E-Health weiter ist als in Österreich“ – die Voraussetzungen seien in Dänemark leichter. Als Beispiel nannte er die offene Haltung der Dänen bezüglich Personen-bezogener Daten. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung würden das Internet nutzen, um sich über das Thema Gesundheit zu informieren; das Gesundheitsportal sundhed.dk registriere fast 30 Millionen Seitenaufrufe pro Jahr. „Das hilft ganz enorm, wenn man so eine Technologie einführen möchte“, so Ehlers. Allerdings lief auch in Dänemark nicht alles von Beginn an rund. „Die Umsetzung ist nicht so einfach, man braucht viel Zeit.“

Nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung war das Problem, sondern vielmehr die ökonomischen Ressourcen. „Am Anfang ist ein absoluter Mehreinsatz nötig, der nicht ausreichend honoriert wird. Argumentiert wird immer damit, dass schlussendlich eine Arbeitserleichterung in der Praxis erzielt wird. Das hilft mir aber nicht, meine Krankenschwester zu bezahlen“, gab er zu bedenken.

Im dänischen System läuft nahezu alles über das Gesundheitsportal; medizinische Daten jedes einzelnen Patienten sind ab 1977 erfasst. Das große Manko: „Wenn es einen Systemausfall oder Stromausfall gibt, dann haben wir ein Problem. Dann müssen wir die Patienten nach Hause schicken“, sagte Ehlers. Und der Datenschutz? Hat man keine Angst vor Missbrauch der gesammelten Daten? „Egal wie man es dreht und wendet, man wird Missbrauch nie ganz verhindern können. Es gibt Vorteile des Systems, aber ganz klar auch Nachteile“, so sein Fazit.

Mit Blick auf die österreichische ELGA ortet Univ. Prof. Dietmar Jahnel, Experte für Verfassungsrecht an der Universität Salzburg, das „Hauptproblem“ des aktuellen Gesetzesentwurfs in der Anwendung des gelindesten Mittels. Für einen zulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Auch wenn das der Fall ist, darf der Eingriff in das Grundrecht nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden. Zwar sei die Begrenzung der Speicherdauer im neuen Gesetzesentwurf für ihn, Jahnel, schon „ein kleiner Erfolg für den Datenschutz“; ob es allerdings die sinnvollste Lösung ist, sei umstritten. Außerdem seien einige Teile des Entwurfs – etwa was die verpflichtende Verwendung von ELGA und die Sorgfaltspflicht anlangt – „ausgesprochen unbestimmt“, so Jahnel. Und weiter: „Daraus abzuleiten, wann der Arzt nun haftet und wann nicht, kann wohl niemand.“

Auch bei der Wahl zwischen Opt in oder Opt out komme das gelindeste Mittel ins Spiel: „Egal, welche der beiden Varianten gewählt wird, das System bleibt lückenhaft. Das bedeutet, man muss sich für den Fall, dass diese Lücke zu Problemen führt, jedenfalls etwas für die Haftung überlegen“, so Jahnel. Und wenn Opt in und Opt out zum selben Ergebnis führen, müsse man aus verfassungsrechtlicher Sicht das „gelindeste Mittel“ – also Opt in anstatt des geplanten Opt out – wählen. Auch stelle sich die Frage, ob ein solches jedenfalls lückenhaftes System den medizinischen Zusatznutzen bringt, der die im Vergleich hohen Kosten rechtfertigt. „Ich glaube, dass die Relation zwischen Kosten und Nutzen dann nicht mehr stimmt“, zeigte sich der Experte überzeugt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2012