ELGA: Grund­le­gend fal­scher Ansatz

25.09.2012 | Politik

Grund­le­gend fal­sche Ansätze – etwa dass ein Sys­tem von mor­gen mit der Tech­no­lo­gie von ges­tern arbei­tet – sieht ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger in der Vor­gangs­weise des Minis­te­ri­ums im Zusam­men­hang mit ELGA.
Von Agnes M. Mühlgassner

Trotz aller Bemü­hun­gen der Ärzte, den Ver­tre­tern des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums nahe zu brin­gen, dass ELGA nicht nur den Zugriff der Pati­en­ten auf deren Gesund­heits­da­ten erleich­tern soll, son­dern auch „ein Arbeits­ge­rät für Ärz­tin­nen und Ärzte ist“, sei dies nicht gelun­gen, wie ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger kürz­lich über 30 Stun­den Exper­ten­ge­sprä­che Bilanz zog.

Seit sie­ben Jah­ren schon wird über die Ein­füh­rung von ELGA (Elek­tro­ni­sche Gesund­heits­akte) dis­ku­tiert; in den letz­ten bei­den Mona­ten schließ­lich habe es end­lich Exper­ten­ge­sprä­che zur Usa­bi­lity und zum Bereich Finan­zi­el­les rund um ELGA gege­ben. Und obwohl von Sei­ten des Minis­te­ri­ums erst einige Män­gel, die die ÖÄK auf­ge­zeigt hat, kor­ri­giert wur­den, werde wei­ter­hin daran fest­ge­hal­ten, das Tele­ma­tik­ge­setz, das auch ELGA umfasst, noch heuer dem Par­la­ment zur Beschluss­fas­sung vorzulegen.

Zwar kon­zi­dierte der ÖÄK-Prä­si­dent, dass es in den Arbeits­grup­pen „kon­struk­tive Gesprä­che“ gege­ben hätte, er schränkte jedoch ein, dass „diese Aspekte bei Wei­tem nicht die Berück­sich­ti­gung gefun­den haben, die sie haben soll­ten“. Und wei­ter: „Wir kön­nen nicht ein Sys­tem der Zukunft andenken, ohne die Tech­no­lo­gie dafür zu verwenden.“

Ein prak­ti­sches Bei­spiel dazu: Die Daten des Pati­en­ten wer­den elek­tro­nisch gesam­melt. Für den Arzt sei es wesent­lich, die Infor­ma­tion aus dem Sys­tem zu extra­hie­ren, die er genau in der Minute, wenn er den Pati­en­ten behan­delt, braucht. Die der­zeit vor­ge­se­hene Spei­cher­form als pdf ermög­licht dies jedoch nicht. „Die Doku­mente müs­sen so gespei­chert wer­den, dass eine Suche durch die Doku­mente hin­durch mög­lich ist“, for­derte Wech­sel­ber­ger. Man benö­tige eine beson­dere Doku­men­ten-Archi­tek­tur, und zwar han­delt es sich dabei um Doku­mente, die „CDA level 3“ (Cli­ni­cal Docu­ment Archi­tec­ture) sind inclu­sive Frei­text­mög­lich­keit oder ent­spre­chend für ELGA adap­tiert „EIS 3 full sup­port“ haben. Wech­sel­ber­ger dazu: „Das Minis­te­rium aner­kennt, dass man das braucht – aber: erst in eini­gen Jah­ren. Wir sehen hier einen Ansatz, der grund­le­gend falsch ist.“ Die Vor­gangs­weise des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums würde dazu füh­ren, dass ELGA der­zeit mit Doku­men­ten, die nicht ziel­ge­rich­tet durch­sucht wer­den kön­nen, zuge­schüt­tet wird.

Noch dazu ist der­zeit ein Groß­teil der öster­rei­chi­schen Kran­ken­an­stal­ten tech­nisch nicht in der Lage, diese Vor­ga­ben zu erfül­len. Denn eine kürz­lich unter den 15 öster­rei­chi­schen Kran­ken­haus­trä­gern durch­ge­führte Umfrage hat erge­ben, dass der­zeit 50 Pro­zent über­haupt nicht in der Lage sind ELGA-taug­li­che Doku­mente ins Sys­tem zu stel­len. Wei­tere 25 Pro­zent arbei­ten mit dem nicht aus­rei­chen­den CDA Level 1‑Standard. „Das bedeu­tet, dass min­des­tens 75 Pro­zent der Doku­mente für die Ärzte nicht nutz­bar sind. Unsere For­de­rung lau­tet daher, die Doku­mente so zur Ver­fü­gung zu stel­len, dass sie für Ärzte nutz­bar sind“, prä­zi­sierte der ÖÄK-Prä­si­dent. Er stellte unmiss­ver­ständ­lich fest, dass man nichts ver­zö­gern und nichts ver­hin­dern wolle; son­dern dass man ein zukunfts­taug­li­ches Arbeits­ge­rät für die Ärz­te­schaft ein­for­dere. „Sonst müllt man ein Sys­tem vom ers­ten Tag an zu.“ In der Ein­füh­rung von ELGA in der jet­zi­gen Form sieht Wech­sel­ber­ger eine „Ver­schwen­dung von Res­sour­cen“. Man müsse das nüt­zen, was die Elek­tro­nik bie­ten kann: „Wir brau­chen eine Such­funk­tion für Pro­fis, für Leute, die täg­lich mit gro­ßen Pati­en­ten­zah­len arbei­ten müs­sen.“ Seine For­de­rung: „Die dazu not­wen­dige Doku­men­ten­struk­tur muss des­halb im ELGA-Gesetz und in Kran­ken­an­stal­ten­ge­setz defi­niert und fest­ge­schrie­ben wer­den und ab dem ers­ten Tag der Anwen­dung Grund­lage der Doku­men­ten­er­stel­lung sein.“

Des Wei­te­ren plä­diert der Ärz­te­kam­mer-Prä­si­dent dafür, sich bei der Ein­füh­rung von ELGA auf wenige Doku­men­ten­ty­pen und Kern­an­wen­dun­gen zu beschrän­ken: Dies soll­ten Labor, Radio­lo­gie, Ent­las­sungs­be­funde sowie die E‑Medikation sein.

Und noch einige andere Punkte sind nach wie vor unge­klärt: Die Frage der Frei­wil­lig­keit ist nicht gelöst. Ebenso ist die Daten­si­cher­heit nach dem vor­lie­gen­den Geset­zes­ent­wurf nicht aus­rei­chend, wie Wech­sel­ber­ger aus­führte: „Es ist keine Ver­schlüs­se­lung der gespei­cher­ten Daten vor­ge­ge­ben und es ist kein Löschen sämt­li­cher Ver­weise und der in ELGA gespei­cher­ten Daten vor­ge­se­hen.“ Das heißt kon­kret: Wenn sich jemand irgend­wann ein­mal für ein Opt out ent­schlie­ßen sollte, blei­ben alle seine Daten wei­ter­hin in ELGA erfasst. Über­dies sei nicht geklärt, wie sicher­ge­stellt wer­den könne, dass nur die­je­ni­gen, die berech­tigt sind, auf die Daten zugrei­fen kön­nen – immer­hin arbei­ten im öster­rei­chi­schen Gesund­heits­we­sen 450.000 Per­so­nen – ohne Pflegekräfte.

Die Finan­zie­rung zählt ebenso zu den offe­nen Fra­gen. In der 15a-Ver­ein­ba­rung, die bis Jah­res­ende umge­setzt wer­den soll, sind 50 Mil­lio­nen Euro für die Län­der vor­ge­se­hen. Wech­sel­ber­ger dazu: „Nach­dem ELGA ein öffent­li­ches Infra­struk­tur­pro­jekt ist, erwar­ten wir uns auch, dass Finanz­mit­tel für den nie­der­ge­las­se­nen Bereich zur Ver­fü­gung gestellt werden.“

Für Wech­sel­ber­ger ist auch klar, dass es ohne eine Pilot­phase nicht gehen wird: „Die E‑Medikation hat uns gezeigt, dass das Pro­gramm untaug­lich ist.“ – Ohne Pilot­pro­jekte wäre man erst zu spät dar­auf gekommen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2012