ELGA: Hier muss nachgebessert werden!

25.10.2012 | Politik

Eineinhalb Jahre hat es – nach der Präsentation der ersten Gesetzesvorlage – gedauert, bis das ELGA-Gesetz nun Anfang Oktober den Ministerrat passiert hat. ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger hat „keine Freude“ mit dem vorliegenden Entwurf, wie er kürzlich vor Journalisten in Wien erklärte. Die ÖÄK fordert Nachbesserungen. Von Agnes M. Mühlgassner

Zwar konnten bei den Expertengesprächen zwischen Gesundheitsministerium und ÖÄK noch einige Mängel beseitigt werden, allerdings hätte es aus Sicht der ÖÄK noch einiger weiterer Verhandlungen bedurft, um die nach wie vor „offenen Baustellen“ (Wechselberger) zu klären. Man werde nun im parlamentarischen Behandlungsprozess darauf drängen, dass es hier noch zu Änderungen komme. Und weiter: „Wir schlagen ein Expertenhearing vor, das ELGA durchaus kritisch abklopfen soll.“

Die Details zur geplanten Einführung der elektronischen Gesundheitsakte sehen wie folgt aus:

Ärzte können freiwillig an ELGA teilnehmen; das Gesetz sieht grundsätzlich ein Verwendungsrecht vor. Allerdings haften Ärzte, wenn sie aufgrund der Nicht-Anwendung von ELGA einen Fehler machen; hier kommt das Ärztegesetz zum Tragen. Verwaltungsstrafen – ursprünglich waren hier 10.000 Euro vorgesehen – wird es nicht geben. Für die Ärzte gibt es eine Verpflichtung zur Speicherung von vier Befunddaten: Entlassungsbriefe aus dem Spital, Labor- und Radiologie-Befunde sowie verschriebene Medikamente. Die Patienten erhalten mittels Bürgerkarte via Internet Zugriff auf ihre eigenen Daten und können auch auf Protokolldaten – wer sich wann welche Befunde angesehen hat – zugreifen.

Für Patienten gilt eine Opt out-Regelung. Das Hinausoptieren ist bei einer Ombudsstelle möglich. Der Patient kann auch Widerspruch gegen die Speicherung von einzelnen Befunden oder Medikamenten einlegen.

Ärzte und Gesundheitseinrichtungen, bei denen sich der Patient für eine Behandlung mittels E-Card angemeldet hat, haben danach 28 Tage Zugriff. Apotheken haben nur Zugriff auf die MedikamentenÜbersicht und nur für den aktuellen Tag. Für Arbeitgeber, Behörden, Versicherungen, Betriebsärzte und Kassen-Chefärzte ist der Zugriff verboten und soll auch technisch nicht möglich sein.

Bis Ende 2013 sollen erste Schritte erfolgen: Das Zugangsportal für die zu speichernden Gesundheitsdaten soll dann existieren sowie eine ELGA-Ombudsstelle. Bis Ende 2014 soll der Hauptverband die technischen Erfordernisse für die E-Medikation einrichten. Ab 2015 müssen öffentliche Spitäler, ab 2016 Apotheken und niedergelassene Ärzte und ab 2017 Privatkrankenanstalten die Gesundheitsdaten ihrer Patienten speichern. Wahlärzte – außer Fachärzte für Radiologie, Labormedizin und Hygiene – müssen grundsätzlich nicht daran teilnehmen, außer der Patient verlangt eine Speicherung der Daten. Für Ärzte, Apotheken und Privatspitäler soll es eine Anschubfinanzierung geben.

Wenn auch „der vorliegende ELGA-Entwurf deutlich besser ist als der ursprüngliche“, wie Wechselberger betont, sieht er die fünf Forderungen der ÖÄK nicht erfüllt.

  • Freiwilligkeit

Die Bürger zu verpflichten, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, bezeichnet ÖÄK-Präsident als „unzeitgemäß“: „Wir hätten uns hier eine Opt in-Lösung gewünscht.“ Deutliche Verbesserungen zum ursprünglichen Entwurf seien insofern gegeben, als es ein „Recht der Ärzte“ sei, die Dokumente in ELGA zu nutzen – sofern der Patient es wünscht. Im ursprünglichen Entwurf hätten die Ärzte ELGA bei jedem Patienten verpflichtend nutzen müssen.

  • Usability

Die Nutzerorientierung sieht Wechselberger „nicht in der Konkretheit gegeben, wie Ärzte das brauchen“. Derzeit ist lediglich eine Suche in den „Metadaten“ nach Autor, Erstellungsdatum und Typ jedoch nicht nach relevanten Gesundheitsinformationen vorgesehen. Erst ab 2018 soll es eine entsprechende Daten-Architektur mit einer Suchfunktion, die es ermöglicht, quer durch alle Dokumente nach speziellen Daten und Werten zu suchen, geben. Die in diesem Zusammenhang vorgesehene Verordnungs- Ermächtigung des Ministers, eine solche Daten-Architektur zur Verfügung zu stellen, reicht nach Ansicht von Wechselberger nicht aus: „Der Minister kann es, muss es aber nicht machen. Wir wollen, dass im Gesetz festgehalten wird, welcher technische Standard notwendig ist.“

  • Datenschutz

Positiv bewertet der ÖÄK-Präsident, dass nun die Daten verschlüsselt werden, ortet aber auch hier noch Mängel, dass dies im Gesetzestext „nicht konkret genug ist“. Massive Kritik übt er daran, dass selbst dann, wenn Bürger hinaus optieren, deren Gesundheitsbefunde weiterhin in ELGA gesammelt und gespeichert werden. „Ich fordere die Parlamentarier auf, hier aktiv zu werden, denn das wäre technisch machbar und zumutbar gewesen“, so Wechselberger.

  • Finanzierung

Diese sei ein „spanisches Dorf“ für den ÖÄK-Präsidenten. Die Unternehmensberatung Hübner & Hübner sieht ein maximales Einsparpotential von 22 Millionen Euro; das Ministerium spricht von 129 Millionen Euro. Auch die kolportierten Kosten von 130 Millionen Euro bis 2017 würden sich nach Ansicht der ÖÄK vervielfachen. Denn allein der Aufwand der Ärzte für die Erstinvestitionen – ohne laufende Kosten – sei mit mindestens 30 Millionen Euro zu veranschlagen. Wechselberger weiter: „Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass ELGA ab 2016 die großen Gewinne machen wird.“ Im Gegenteil: Er habe die Befürchtung, dass die elektronische Gesundheitsakte viel teurer werde als bisher dargestellt.

  • Pilotprojekt

Da man nicht davon ausgehen könne, dass ELGA vom ersten Tag an funktioniere, mache eine Pilotphase durchaus Sinn, meint Artur Wechselberger. „Die Möglichkeit, Tests durchzuführen, wie es im Gesetz heißt, ist uns einfach zu wenig. Man müsste gewisse Regionen für eine gewisse Zeitspanne auswählen, um „draufzukommen, wo die Denkfehler liegen“. Damit könnte man Irrwege und auch Kosten vermeiden.

Wieso die ÖÄK weiterhin auf der Umsetzung dieser fünf Punkte beharrt? Wechselberger dazu: „Die österreichische Bevölkerung hat ein Anrecht auf ein System, das sehr viel Geld kosten wird und weit in die Persönlichkeitsdaten hineinreicht, dass sie das Beste bekommt und nicht das, was gestern möglich war, sondern das, was heute möglich ist – und Gleiches gilt für die Ärzte.“

Reaktionen

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (V), der selbst an den Verhandlungen zu ELGA beteiligt war, sprach von einem „Meilenstein“. Die Gesundheitsakte werde mehr Transparenz bringen und einen Beitrag für das finanzielle Gleichgewicht des Gesundheitssystems leisten, indem Mehrfachbefunde vermieden würden. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer Österreich begrüßten ebenso die Ministerratsvorlage. Kritik kam hingegen von der Opposition. Die Gesundheitssprecherin der FPÖ, Dagmar Belakowitsch-Jenewein, sieht einen „gesundheitspolitischen Skylink“ und ortet „viele Ungereimtheiten und nicht nachvollziehbare Zahlungen“, die noch Staatsanwaltschaft und parlamentarische Untersuchungs-Ausschüsse beschäftigen würden. Ärztesprecher Andreas Karlsböck vertritt die Ansicht, dass ELGA die Patienten „supernackt“ mache; Patientenrechte und Datensicherheit seien „sträflichst vernachlässigt“ worden.

BZÖ-Gesundheitssprecher Wolfgang Spadiut bezeichnete ELGA als „teure Husch-Pfusch-Aktion“, die Grundrechte verletze und Missbrauch „Tür und Tor“ öffne. Die Idee, alle Patientendaten griffbereit zu haben, sei grundsätzlich gut, die Regierungsvariante aber nicht.

Karl Öllinger, Sozialsprecher der Grünen, hält fest, dass man zwar für eine elektronische Gesundheitsdatenspeicherung sei; Patientennutzen und Bürgerrechte müssten aber vor den Interessen der Verwaltung kommen. Er fürchte Missbrauch „von innen und außen“ und wünsche sich eine „echte Wahlmöglichkeit“ für Patienten mit einer Opt in- statt der vorliegenden Opt out-Variante.

Erfreut über die Einigung zeigte sich auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Mit dem ELGA-Gesetz schaffe man die notwendigen Grundlagen für eine österreichweite Umsetzung der E-Medikation, hieß es in einer Presseaussendung. Sollte das Gesetz noch heuer im Parlament beschlossen werden, wäre eine österreichweite Umsetzung der E-Medikation 2014 realistisch. Ähnlich die Reaktion von Max Wellan, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, der davon überzeugt ist, dass „die E-Medikation einen wichtigen Beitrag zu mehr Medikamenten-Sicherheit leisten wird“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2012