Eva­lu­ie­rung der E‑Medikation: Zahl­rei­che Mängel

25.06.2012 | Politik

Einer grund­sätz­lich als posi­tiv zu bewer­ten­den Idee ste­hen bei der E‑Medikation viele schwer­wie­gende Män­gel gegen­über. Exper­ten mah­nen des­we­gen nach der sechs­mo­na­ti­gen Eva­lu­ie­rungs­phase in ihrem Abschluss­be­richt vor einem all­fäl­li­gen Roll-Out ein umfas­sen­den Re-Design ein.
Von Marion Huber

Seit Anfang Juli 2011 ist das Pilot­pro­jekt E‑Medikation in der Eva­lu­ie­rungs­phase. Jetzt – 5.431 aktiv teil­neh­mende Pati­en­ten spä­ter – liegt das Ergeb­nis der wis­sen­schaft­li­chen Eva­lu­ie­rung vor, die von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien gemein­sam mit der Tiro­ler Pri­vat­uni­ver­si­tät UMIT unter der Lei­tung von Univ. Prof. Wolf­gang Dorda von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien durch­ge­führt wurde. Fazit: Einer guten Grund­idee ste­hen viele, teils schwer­wie­gende Män­gel gegenüber.

Im Eva­lu­ie­rungs­zeit­raum von 1. Juli bis 31. Dezem­ber 2011 nah­men in den Pilot­re­gio­nen in Tirol, Ober­ös­ter­reich und Wien ins­ge­samt 5.431 Pati­en­ten sowie 85 Ärzte, 50 Apo­the­ker und 4 Kran­ken­häu­ser aktiv an der E‑Medikation teil. Bei 20.654 Besu­chen wur­den ins­ge­samt 18.310 Ver­ord­nun­gen und 13.797 Abga­ben erfasst. Von 10.563 dabei gemel­de­ten Wech­sel­wir­kungs­war­nun­gen waren 110 schwer; außer­dem gab es 2.314 Dupli­kats­war­nun­gen und 3.693 Inter­vall­war­nun­gen. Damit trat bei etwa jedem zwei­ten Besuch eine Wech­sel­wir­kungs­war­nung, bei jedem sechs­ten eine Inter­vall­war­nung und bei jedem neun­ten Besuch eine Dupli­kats­war­nung auf. Mit 3,5 Pro­zent war der Anteil der OTC-Prä­pa­rate an den Wech­sel­wir­kungs­war­nun­gen über­pro­por­tio­nal hoch.

Geprüft wer­den sollte bei der Eva­lu­ie­rung in ers­ter Linie, ob die defi­nier­ten Pro­jekt­ziele erreicht wur­den – näm­lich die Pati­en­ten­si­cher­heit und die Effek­ti­vi­tät sowie Effi­zi­enz bei der Ver­ord­nung, Abgabe und Ver­ab­rei­chung von Medi­ka­men­ten unter Ein­hal­tung des Daten­schut­zes zu erhö­hen. Durch Befra­gun­gen der Teil­neh­mer und Log-File-Ana­ly­sen wurde die E‑Medikation unter zwei Aspek­ten beleuchtet:

  • Was sind die Aus­wir­kun­gen des Pilot­pro­jekts? Wur­den die vor­ge­ge­be­nen Pro­jekt­ziele erreicht?
  • Was sind Stär­ken und Schwä­chen des Pilot­pro­jekts E‑Medikation? Wel­che Emp­feh­lun­gen kön­nen für den zukünf­ti­gen öster­reich­wei­ten Roll-Out gege­ben werden?

Was das Ziel der Erhö­hung der Pati­en­ten­si­cher­heit anbe­langt, emp­fan­den etwa
70 Pro­zent der teil­neh­men­den Ärzte eine durch die E‑Medikation ermög­lichte voll­stän­dige und aktu­elle Medi­ka­ti­ons­liste als posi­tiv. 78 Pro­zent der Ärzte beur­teil­ten die Wech­sel­wir­kungs­prü­fung als hilf­reich, 81 Pro­zent die Dupli­kats­war­nun­gen. Deut­li­che Män­gel zeig­ten sich aller­dings beim zwei­ten Ziel – der Stei­ge­rung der Effek­ti­vi­tät und Effi­zi­enz bei der Ver­ord­nung, Abgabe und Ver­ab­rei­chung. Durch die aktu­el­len Rah­men­be­din­gun­gen konnte das Poten­tial der E‑Medikation nur teil­weise rea­li­siert wer­den und eine flä­chen­de­ckende Erfas­sung aller Medi­ka­mente war dadurch nicht mög­lich – so das Ergeb­nis der Eva­lu­ie­rung. Ins­ge­samt waren mehr als die Hälfte der Ärzte und knapp 43 Pro­zent der Apo­the­ker mit der Benut­zer­freund­lich­keit ihres E‑Me­di­ka­ti­ons-Moduls und dem damit ver­bun­de­nen Zeit­auf­wand unzu­frie­den. Den Aus­sa­gen der Ärzte zufolge liegt der zusätz­li­che Auf­wand für die erst­ma­lige Regis­trie­rung eines Pati­en­ten bei acht bis elf Minu­ten; der zusätz­li­che Auf­wand für eine Ver­ord­nung bei drei bis vier Minuten.

Män­gel beheben

Aus den Ergeb­nis­sen der Eva­lu­ie­rung konn­ten klare Emp­feh­lun­gen abge­lei­tet wer­den, die im Fall eines öster­reich­wei­ten Roll-Outs der E‑Medikation „jeden­falls beach­tet wer­den soll­ten“, wie es im Abschluss­be­richt heißt. Dar­un­ter sind fol­gende Punkte angeführt:

  • Pra­xis­nahe Ver­tre­ter aller betrof­fe­nen Berufs­grup­pen müs­sen in der Pro­jekt­orga­ni­sa­tion reprä­sen­tiert und ein­ge­bun­den sein. Dabei ist sicher­zu­stel­len, dass diese Berufs­grup­pen die E‑Medikation tat­säch­lich gemein­sam gestalten.
  • Kon­kret bedeute das unter ande­rem die Ein­bin­dung der betrof­fe­nen Berufs­grup­pen in die funk­tio­nale Kon­zep­tion und die Soft­ware-Tes­tung. Auch das wäre – laut Eva­lu­ie­rungs­be­richt – beim Pilot­pro­jekt nicht der Fall gewesen.
  • Die Rück­mel­dun­gen der Benut­zer müs­sen sys­te­ma­tisch erfasst wer­den und es muss ein regel­mä­ßi­ger Erfah­rungs­aus­tausch zwi­schen den Benut­zern, den Pati­en­ten, den Soft­ware­her­stel­lern sowie der Pro­jekt­lei­tung erfolgen.
  • Trans­pa­renz bezüg­lich der Ziele, des Inhalts und der tech­ni­schen Archi­tek­tur der E‑Medikation ist zu schaffen.
  • Die interne Pro­jekt­kom­mu­ni­ka­tion muss ver­bes­sert und alle Pro­jekt­part­ner auf den glei­chen Infor­ma­ti­ons­stand zum Pro­jekt­ab­lauf und zur tech­ni­schen Archi­tek­tur gebracht werden.
  • Wei­ters bedarf es einer kla­ren und durch­setz­ba­ren Gesamtverantwortung.
  • Der zusätz­li­che Zeit­auf­wand, der den Gesund­heits­dienste-Anbie­tern auf­grund der gege­be­nen Rah­men­be­din­gun­gen ent­stan­den ist, muss vor einem Roll-Out auf ein Mini­mum redu­ziert wer­den. Dazu könne man bei der Erfas­sung der Dosie­rung, der dop­pel­ten Prü­fung von Medi­ka­men­ten, der hohen Anzahl an War­nun­gen und der teil­weise unzu­rei­chen­den Inte­gra­tion des E‑Me­di­ka­ti­ons-Moduls ansetzen.
  • Aus­rei­chende Schu­lun­gen aller Gesund­heits­dienste-Anbie­ter zur Hand­ha­bung der Soft­ware und orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­än­de­run­gen müs­sen erfolgen.
  • Außer­dem for­dert der Abschluss­be­richt ein­deu­tig die Wahl­frei­heit zur Teil­nahme für die Patienten.

In Bezug auf die Sys­tem­ar­chi­tek­tur und Soft­ware-Qua­li­tät emp­fiehlt der Bericht, die Kom­ple­xi­tät zu redu­zie­ren und die bestehende Pro­jekt-Zwei­tei­lung durch eine Re-Imple­men­tie­rung zu erset­zen. Dabei ist Prio­ri­tät auf eine ver­bes­serte Soft­ware-Qua­li­tät und Benut­zer­freund­lich­keit sowie kurze Ant­wort­zei­ten zu legen, um den zeit­li­chen Mehr­auf­wand für Ärzte und Apo­the­ker zu minimieren.

Auch bei der Medi­ka­ti­ons­prü­fung sei noch Ver­bes­se­rungs­be­darf gege­ben. So beinhal­tet der Eva­lu­ie­rungs­be­richt Emp­feh­lun­gen zur Ver­ein­fa­chung der Prü­fung und zur Über­ar­bei­tung der Qua­li­tät der zen­tra­len Inter­ak­ti­ons-Daten­bank durch ein Fach­gre­mium. Außer­dem sol­len die Reich­wei­ten­war­nun­gen über­dacht wer­den; in der der­zei­ti­gen Form stehe ihr Nut­zen nicht im Ver­hält­nis zum hohen Zeit­auf­wand für die Beteiligten.

Eine beson­ders klare Emp­feh­lung des Abschluss­be­richts betrifft die recht­li­chen
Aspekte und den Daten­schutz: Der Gesetz­ge­ber muss recht­zei­tig klare recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen für die Teil­nahme und den Zugriff auf die Daten schaf­fen – unter Berück­sich­ti­gung des Daten­schut­zes, wie es heißt.

Alles in allem emp­feh­len die Ver­fas­ser des Eva­lu­ie­rungs­be­richts zwar die wei­tere Ver­fol­gung des E‑Me­di­ka­ti­ons-Pro­jek­tes. Mehr als deut­lich wird darin aber auch betont, dass vor einem öster­reich­wei­ten Roll-Out unbe­dingt ein umfas­sen­des Re-Design unter Berück­sich­ti­gung die­ser Emp­feh­lun­gen erfol­gen muss.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2012