Ärztliche Hausapotheken: Knackpunkt für Patientenversorgung

10.05.2012 | Politik


Ärzte, die sich in ländlichen Gebieten niederlassen wollen, werden immer rarer, weil sie sich im Würgegriff zwischen dem Apothekengesetz und dem Willen einer einwandfreien Patienten-Versorgung sehen. Das hat ernste Folgen für die medizinische Versorgung und damit für die Patienten.
Von Ruth Mayrhofer

Von den knapp 4.000 Kassenärzten für Allgemeinmedizin, die derzeit in Österreich praktizieren, führen mehr als 900 eine ärztliche Hausapotheke. In ländlichen Regionen betreibt etwa jeder zweite Kassenarzt eine solche und trägt somit wesentlich zur Basisversorgung mit Arzneimitteln bei.

Einer Statistik der Österreichischen Ärztekammer zufolge sind in Österreich jedoch derzeit mindestens 86 Arztpraxen in ländlichen Regionen vom Zusperren bedroht. Ein Grund dafür ist die im Apothekengesetz verankerte Regelung, dass, wenn im Umkreis von sechs Kilometern eine öffentliche Apotheke zu finden ist, die entsprechende Ordination bei einer Neuübernahme auf die Führung einer Hausapotheke verzichten muss. Einige Bundesländer wie beispielsweise Tirol werden innerhalb weniger Jahre sogar ein Drittel ihrer Hausapotheken verlieren. Für die betroffenen Ärzte bedeutet das insgesamt eine erhebliche finanzielle Einbuße und damit geht ein zusätzlicher Anreiz, sich niederzulassen, verloren. Durch die in den kommenden Jahren zu erwartende Pensionierungswelle unter Ärzten stehen somit zahlreiche ärztliche Hausapotheken vor dem Aus.

Für die Patienten in oft Infrastruktur-armen Gebieten kommt dies einer Versorgungs-Katastrophe gleich: Besonders ältere, nicht mehr mobile Menschen oder Jungfamilien, die nur über ein Auto verfügen, werden von einer effizienten und qualitativ hochstehenden medizinischen Versorgung, die man „im besten Gesundheitswesen der Welt“ (Zitat: Bundesminister Alois Stöger) eigentlich erwarten können sollte, quasi abgeschnitten.

Die Bürger in den betroffenen Regionen werden daher nicht nur große Abstriche bei ihrer medikamentösen Nahversorgung hinnehmen müssen, sondern in weiterer Folge zwangsläufig unter einem gravierenden Ärztemangel zu leiden haben. Die von der ÖÄK im Sinn der Patienten und Ärzteschaft angestrebte Lösung des Problems, nämlich eine friedliche Koexistenz von Hausapotheken und öffentlichen Apotheken, die nach Auffassung der ÖÄK sehr wohl nebeneinander agieren und auch wirtschaftlich bestehen könnten, wird von der Österreichischen Apothekerkammer seit Jahren blockiert.

Kein Wunder also, dass es derzeit aufgrund dieser Entwicklung in allen ländlichen Ecken Österreichs gärt und der Unmut der Ärzte wächst. Die ÖÄK hat deshalb unter anderem ein „Manifest zur Gefährdung der landesmedizinischen Versorgung“ verabschiedet. Darin appellieren die in der ÖÄK vertretenen Hausapotheken-führenden Ärztinnen und Ärzte „dringend an den Gesetzgeber, die bestehende Rechtslage zu entschärfen und den Weiterbestand ärztlicher Hausapotheken in ländlichen Regionen zu sichern“. Zuvor hatte ÖÄK-Präsident Walter Dorner neben vielen anderen Maßnahmen der ÖÄK bereits in einem persönlichen Schreiben Gesundheitsminister Alois Stöger dringend ersucht, „die Notbremse zu ziehen und durch eine Änderung des Apothekengesetzes die wohnortnahe Arzneimittelversorgung auf dem Land langfristig zu gewährleisten“. Vergeblich.

Bevölkerung agiert immer kämpferischer

Mittlerweile nimmt die Diskussion immer größere Ausmaße an. Die Bürger wehren sich in zunehmendem Maß und mit immer drastischeren Maßnahmen gegen die quasi Zwangsabschaffung ärztlicher Hausapotheken und damit die mittelfristig reale Gefahr der Schließung von Ordinationen in ihren Wohnorten. Bürgermeister aus den verschiedensten Bundesländern haben – in Vertretung der jeweiligen Bürger ihrer Gemeinden – bereits seit 2006 entsprechende Resolutionen ohne jeden Erfolg verabschiedet. Aber auch die Bürger selbst geben sich zunehmend kämpferisch und treten mit den Landesverantwortlichen in Verbindung, um das Anliegen einer guten Patientenversorgung in ländlichen Gebieten zu transportieren.

Nur ein Beispiel dazu: Juliane Grubelnik aus Oberösterreich ist als eine von Vielen – wegen der Schließung zweier ärztlicher Hausapotheken in Scharnstein/OÖ aufgrund der Apothekengesetz-Regelung – besonders im Interesse der Aufrechterhaltung der ärztlichen Versorgung älterer Menschen sehr engagiert.

Was Grubelnik besonders stört: „Für die gesundheitliche Versorgung der 5.000 Bewohner Scharnsteins gibt es zwei Ärzte in der Gemeinde, einer mit 62 und der zweite mit etwa 55 Jahren. Sie deckten den Bedarf der Kranken mit ihren Hausapotheken, hatten bei ihren Hausbesuchen stets das Richtige zur Hand und man konnte in der Ordination gleich das verordnete Medikament bekommen. Viele Einheimische haben sich in den letzten Jahrzehnten bemüht, die Bewilligung für eine Apotheke zu erlangen, wurden aber mit dem Hinweis auf die gut versorgten Ärzte immer mangels Bedarf abgewiesen. Völlig überraschend gelang es jetzt der Tochter des Apothekers aus der Nachbargemeinde Pettenbach, Scharnstein zum Standort einer neuen Apotheke zu erwählen…“

Überwiegend großes Verständnis

Die Briefe der Betroffenen an Landesregierung, Wirtschaftskammer und andere Interessensvertretungen wie die Ärztekammern treffen bei den Adressaten auf großes Verständnis. Ausnahme: die Landesgeschäftsstelle Oberösterreich der Österreichischen Apothekerkammer, die in einem Schreiben darauf verweist, dass einerseits betroffene Patienten sich an ihre Apotheke zwecks Hauszustellung wenden können, andererseits ohnedies jeder Arzt verpflichtet ist, „einen Notfallkoffer mit Medikamenten mit sich zu führen, um Erste Hilfe leisten zu können…“. Dahingegen formuliert etwa Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl in seinem Schreiben an Juliane Grubelnik: „Soweit es uns möglich ist, werden wir Bestrebungen unterstützen, die gewährleisten sollen, dass ein besserer Medikamentenservice für die ländliche Bevölkerung eingerichtet wird.“ Auch Josef Ratzenböck, Landeshauptmann a.D. und Landesobmann des oberösterreichischen Seniorenbundes, stellt in einem Brief an Grubelnik fest, dass er „sehr für die Erhaltung der Hausapotheken“ eintritt. So weit, so gut. Insgesamt kann auf Landesebene aufgrund der gesetzlichen Situation jedoch keine Änderung herbeigeführt werden. Der sprichwörtliche Ball liegt beim Gesundheitsministerium und damit bei Gesundheitsminister Alois Stöger.

Die ÖÄZ wollte daher von Gesundheitsminister Alois Stöger wissen, wie er zu diversen Fragen dieses Themenkreises steht, etwa wie er das Manifest beurteilt, wie er die Situation des drohenden Ärztemangels in ländlichen Bereichen entschärfen will, wie er zum Vorschlag der ÖÄK steht, dass Hausapotheken und öffentliche Apotheken sehr wohl nebeneinander existieren könnten, und ob er die daraus resultierende Schlechterstellung der Patienten im vielzitierten „besten Gesundheitswesen der Welt“ tatsächlich gut heißt. Aber bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe gab es trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellungnahme.

Interview – Otto Pjeta

„Interessenskonflikte offenlegen!“

Otto Pjeta, Referent für Hausapotheken der ÖÄK, sieht derzeit wenig Chancen auf Änderungen in punkto Hausapotheken, solange Entscheidungsprozesse nicht transparent gemacht werden, wie er im Gespräch mit Ruth Mayrhofer erklärt.

ÖÄZ: Die derzeitige Situation ist nicht im Sinne der Patienten, aber offenbar politisch festgefahren. Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine Änderung herbeigeführt werden?

Pjeta: Da die Vorteile der ärztlichen Hausapotheke auf der Hand liegen und auch von den Patienten laufend unterstützt werden, dürfte der Grund für die Untätigkeit anderswo beheimatet sein. Das Lobbyisten-Gesetz ist in Bezug darauf ebenfalls kein Hoffnungsschimmer. Es ist sicher der überproportionale Einfluss der Apotheker auf die Politik, dass die Interessen der landärztlichen Versorgung die politischen Parteien nicht interessiert. Eine Offenlegung aller Interessenskonflikte im Gesundheitsministerium würde eine große Hilfe sein.

Wie erklären Sie sich, dass Bundesminister Stöger dieses doch sehr wichtige Thema auf der gesundheitspolitischen Agenda offenbar nicht quasi ‚weiter vorne‘ angesiedelt hat?
Minister Stöger wird scheinbar, wenn man seine Argumentation hört, von seinen Mitarbeitern schlecht beraten. Am Ende des Tages bleibt aber die Verantwortung für Wartezeiten, unsinnige Autokilometer zur Beschaffung von Medikamenten und das Vergessen auf die nicht mehr so mobilen Senioren, die von ihrem Umfeld abhängig sind, beim Gesundheitsminister hängen. Ich hoffe, die Betroffenen müssen ihm kein ‚Denkmal‘ zu setzen.

Sollte in absehbarer Zeit keine befriedigende Lösung gefunden werden: Welche Maßnahmen werden die Ärztekammern beziehungsweise die ÖÄK setzen?
Wir haben uns für eine flächendeckende Versorgung immer eingesetzt. Es wäre an der Zeit, dass vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels und der Ignoranz der Gesundheitspolitiker Überlegungen angestellt werden, dieses Prinzip der Verantwortung für „alle“ zu verlassen. Die Folge wäre tatsächlich eine Zweiklassenmedizin. Aber so viele Schachzüge kann eine Regierung nicht im Voraus denken. Diesen Weitblick vermisse ich in der Gesundheitspolitik seit längerer Zeit. Die Mütter und Väter des ASVG wären ob dieser Entwicklung sicher entsetzt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2012