7. aks Som­mer­schule: Stan­dar­di­sierte Medizin?

15.08.2012 | Politik


Die Gefahr einer Stan­dar­di­sie­rung der Medi­zin sieht der Medi­zin­ethi­ker Univ. Prof. Gio­vanni Maio von der Uni­ver­si­tät Frei­burg. Im Rah­men der 7. aks Som­mer­schule Mitte Juli in Bre­genz refe­rierte er über den Spa­gat zwi­schen Ethik und Wirt­schaft­lich­keit im ärzt­li­chen All­tag.

Von Agnes M. Mühlgassner

Die gegen­wär­tige Medi­zin solle in Stan­dards auf­ge­hen – so lau­tete die Ana­lyse des Medi­zin­ethi­kers Univ. Prof. Gio­vanni Maio vom Insti­tut für Ethik und Geschichte in der Medi­zin an der Uni­ver­si­tät Frei­burg anhand der der­zei­ti­gen Ten­den­zen im Gesund­heits­we­sen. Die gegen­wär­tige Ent­wick­lung in der Medi­zin fasste er mit fol­gen­den Schlag­wor­ten zusam­men: die Zeit fällt der Öko­no­mie zum Opfer; Ver­nach­läs­si­gung der Bezie­hung zwi­schen Arzt und Pati­ent, öko­no­mi­sche Über­for­mung des genuin Ärzt­li­chen, Ent­wer­tung der Ärzte und Ärz­tin­nen, Depro­fes­sio­na­li­sie­rung der Ärz­te­schaft sowie mas­kierte Entsolidarisierung.

Dass die Öko­no­mie grund­sätz­lich einen Stel­len­wert habe, bestritt der Experte nicht, er stellte jedoch klar: „Die Öko­no­mie ist die Die­ne­rin der Medi­zin, die ihr zu hel­fen hat.“ Mitt­ler­weile sei es jedoch so, dass die Öko­no­mie quasi die Loko­mo­tive sei, die sage, was sich ren­tiere – dazu zähl­ten auch die Stei­ge­rungs­ra­ten, anhand derer vor­ge­ge­ben werde, wie viele Ein­griffe zu machen sind. „Das eigent­lich Ärzt­li­che wird ent­wer­tet“, so die Ana­lyse des Ethi­kers. Mit der Öko­no­mie sei über­dies eine „immense Doku­men­ta­ti­ons­wut“ aus­ge­bro­chen: „Alles wird kon­trol­liert“, so der Experte. Anstelle des empa­thi­schen Enga­ge­ments sei die unpar­tei­ische Dienst­leis­tung getre­ten. Maio spricht in die­sem Zusam­men­hang von „salon­fä­hig gemach­ter Teil­nahms­lo­sig­keit“. Gute Medi­zin jedoch ent­stehe aus einer Ver­bin­dung zwi­schen Kön­nen und Sein, weil „guten Hän­den ein Geist zugrunde liegt, dem man trauen kann“, so der Experte.

Die Poli­tik hin­ge­gen glaube, aus Pati­en­ten Kun­den machen zu kön­nen und ver­kaufe dies den Men­schen unter dem Begriff Frei­heit. Aller­dings werde damit „alle Ver­ant­wor­tung dem Pati­en­ten über­ge­stülpt“. Hin­ter den Begrif­fen Mün­dig­keit und Frei­heit ver­berge sich in Wirk­lich­keit poli­tisch gewoll­ter Rück­zug. Kunde zu sein heiße, „auf der Hut sein müs­sen“, resü­mierte Maio, der es als Zumu­tung bezeich­nete, als Pati­ent in der Not auf der Hut sein zu müssen.

Die Fol­gen: Es wird künf­tig nicht mehr allen gehol­fen, son­dern nur noch dort, wo es sich ren­tiert – so die düs­tere Pro­gnose des Medi­zin­ethi­kers. Was auch weit­rei­chende Kon­se­quen­zen nach sich zieht, wie er erläu­terte: näm­lich eine gute Pati­en­ten­se­lek­tion zu errei­chen, die für gute Sta­tis­ti­ken sorgt und Pati­en­ten, denen man auch zusätz­li­che Leis­tun­gen ver­kau­fen kann. Maio wei­ter: „Der Markt zieht die Ver­sor­gung der Pati­en­ten vor, die ‚gut‘ lös­bare Pro­bleme haben.“

Worum es im ärzt­li­chen Beruf nach Ansicht des Exper­ten wirk­lich geht? „Der Wert und Kern lie­gen darin, dass sich ein pro­fes­sio­nel­ler Hel­fer eines ande­ren Men­schen in sei­ner gan­zen Per­son annimmt.“ Und wei­ter: „Wenn aber die Öko­no­mie alles dik­tiert, erstickt man die Seele der Medizin.“

In der anschlie­ßen­den Podi­ums­dis­kus­sion, bei der die künf­ti­gen Arbeits­be­din­gun­gen von Ärz­tin­nen und Ärz­ten im Mit­tel­punkt stan­den, stellte der Vor­arl­ber­ger Ärz­te­kam­mer-Prä­si­dent Michael Jonas die Sinn­haf­tig­keit des EMS-Tests als Zulas­sungs­kri­te­rium zum Medi­zin­stu­dium in Frage. So habe Vor­arl­berg in ganz beson­de­rem Maß mit Nach­wuchs­pro­ble­men zu kämp­fen, da der Anteil derer, die beim Auf­nah­me­test bestehen, seit der Ein­füh­rung immer wei­ter zurück­gehe. Um hier gegen­zu­steu­ern, habe man spe­zi­elle Vor­be­rei­tungs­kurse – die im Übri­gen auch tat­säch­lich Wir­kung zei­gen – ein­ge­führt. Aller­dings: nach Ansicht von Jonas nur die zweit­beste Lösung. Am bes­ten wäre jedoch die Ein­füh­rung eines ver­pflich­ten­den Pfle­ge­prak­ti­kums, noch bevor man mit dem Medi­zin­stu­dium beginnt.

ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger spannte den Bogen noch wei­ter, indem er ganz gene­rell bes­sere Aus­bil­dungs- und Arbeits­be­din­gun­gen für Ärz­tin­nen und Ärzte for­derte, „damit es für Jung­me­di­zi­ner auch einen Anreiz gibt, in Öster­reich zu blei­ben“. Des Wei­te­ren zeigte er sich auch über­zeugt davon, dass der Prä­ven­tion und der Reha­bi­li­ta­tion künf­tig ein wesent­lich grö­ße­rer Platz ein­ge­räumt wer­den müsse.

Breit gefä­cher­tes Angebot

Der The­men­bo­gen der dies­jäh­ri­gen Som­mer­schule spannte sich von Kar­dio­lo­gie, Sexu­al­me­di­zin über Arbeits­me­di­zin bis hin zu Radio­lo­gie, Ortho­pä­die und Rheu­ma­to­lo­gie. Durch das große Inter­esse an der Ver­an­stal­tung sieht sich Kon­gress­lei­ter Rudolf Brug­ger in sei­nem Kurs bestä­tigt: „Pra­xis­nahe und breit gefä­cherte Fort­bil­dung fin­det ange­sichts der zuneh­mend belas­ten­den Arbeits­be­din­gun­gen in den Ordi­na­tio­nen gro­ßes Inter­esse.“ Die The­men seien all­tags­nah gewe­sen und hät­ten trotz­dem gleich­zei­tig einen sehr hohen wis­sen­schaft­li­chen Hin­ter­grund gehabt.

Das Ele­ment ‚gesund­heits­po­li­ti­sche Dis­kus­sion‘ im Rah­men der Som­mer­schule will Brug­ger – selbst All­ge­mein­me­di­zi­ner in Bre­genz – auf jeden Fall auch nächs­tes Jahr bei­be­hal­ten: „Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wis­sen eine offene und öffent­li­che stan­des­po­li­ti­sche Dis­kus­sion zu schät­zen.“ Diese wird sich 2013 – neben The­men­schwer­punk­ten wie bei­spiels­weise Schmerz oder Sucht – „ver­stärkt an junge Ärz­tin­nen und Ärzte rich­ten“ – soviel steht für den Kon­gress­lei­ter heute schon fest.

Die 8. aks-Som­mer­schule fin­det vor­aus­sicht­lich von 18. bis 20. Juli 2013 statt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2012