4. Sym­po­sium „Arzt sein in Zukunft“: Durch Aus­tausch gewinnen

10.02.2012 | Politik



Bereits zum vier­ten Mal kamen hoch­ran­gige Ver­tre­ter des Gesund­heits­we­sens aus Deutsch­land und Öster­reich in Wien zusam­men, um sich über den der­zei­ti­gen Stand der Freund­schafts­ver­träge aus­zu­tau­schen und über aktu­elle gesund­heits­po­li­ti­sche Pro­bleme, die beide Staa­ten betref­fen, zu dis­ku­tie­ren.

Von Marion Huber

Wie wich­tig es ist, über den Tel­ler­rand hin­aus­zu­bli­cken und Erfah­run­gen in ande­ren Län­dern zu sam­meln, betonte ÖÄK-Prä­si­dent Wal­ter Dor­ner in sei­nem Eröff­nungs-State­ment beim 4. Wie­ner Sym­po­sium der ÖÄK unter dem Titel „Arzt sein in Zukunft“. Er zeigte sich erfreut dar­über, dass öster­rei­chi­sche Absol­ven­ten des Medi­zin­stu­di­ums diese Gele­gen­heit, die ihnen durch die Freund­schafts­ver­träge und das Ius migrandi gebo­ten wird, gerne nut­zen: „Das Inter­esse, die Wei­ter­bil­dung in Deutsch­land zu absol­vie­ren, ist nach wie vor unge­bro­chen.“

Aus­bil­dung in Deutschland

Die zahl­rei­chen Ver­tre­ter der Poli­tik, der Lan­des­ärz­te­kam­mern, der Kran­ken­haus­ge­sell­schaf­ten und der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung aus den neuen deut­schen Bun­des­län­dern, die wie in den Jah­ren zuvor auch heuer wie­der am Sym­po­sium teil­nah­men, bestä­tig­ten die Erfolgs­ge­schichte der öster­rei­chisch-deut­schen Zusam­men­ar­beit. Aus sei­ner ganz per­sön­li­chen Erfah­rung schil­derte Robert Schachin­ger, Fach­arzt für plas­ti­sche und rekon­struk­tive Chir­ur­gie in Ried in Ober­ös­ter­reich, das Erfolgs­mo­dell, sich in Deutsch­land wei­ter­zu­bil­den. Nach sei­nem Tur­nus in Salz­burg ging er – was 1999 noch alles andere als gang und gäbe war – nach Deutsch­land und absol­vierte dort die Fach­arzt-Aus­bil­dung, bevor er wie­der nach Öster­reich zurück­kehrte und sich als Wahl­arzt nie­der­ließ. Damals war auch die Unter­stüt­zung und Infor­ma­tion von Sei­ten der Ärz­te­kam­mer mit der heu­ti­gen Situa­tion nicht zu ver­glei­chen. „Man konnte mir nicht viel sagen und hel­fen, obwohl man sich bemühte. Ich musste also selbst Mit­tel und Wege fin­den, um in Deutsch­land Fuß zu fas­sen“, blickte er zurück. Die Infor­ma­tion, die Schachin­ger damals auf eigene Faust suchen musste, bie­tet die ÖÄK jun­gen Ärz­ten mitt­ler­weile an, erklärte Dor­ner: „Ihnen ist heute Tür und Tor geöff­net.“ Dass Erfah­run­gen im Aus­land viel Wert sind, davon zeigte sich Schachin­ger über­zeugt: „Die Zeit in Deutsch­land war sehr berei­chernd. Ich hatte gro­ßes Glück, in einem klei­nen Team arbei­ten zu kön­nen.“ Das bedeu­tete zwar einer­seits lange Arbeits­zei­ten, aber ande­rer­seits müsse man die Arbeit schließ­lich auch ler­nen. „So konnte und durfte ich viel ler­nen. Das hat mich in mei­nen Fol­ge­stel­len weit nach vorne gebracht. Ich kann jeden, der sich ent­schließt, ins Aus­land zu gehen, nur noch mehr dazu moti­vie­ren. Man kann nur davon pro­fi­tie­ren!“ – so sein Resümee.

Dem schloss sich Theo­dor Wind­horst, Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer West­fa­len-Lippe, im Rah­men der ers­ten Podi­ums­dis­kus­sion des Tages an: „Wir kön­nen im gegen­sei­ti­gen Aus­tausch nur gewin­nen.“ Den Erfolg die­ses Pro­gramms belegte er mit Zah­len: „Wir haben 2011 etwa 100 Kol­le­gen aus Öster­reich ermög­licht, eine Stelle in Nord­rhein-West­fa­len anzu­neh­men.“ Auch in Meck­len­burg-Vor­pom­mern ist man bemüht, die guten Bezie­hun­gen zu Öster­reich auf­recht­zu­er­hal­ten, wie Hanns-Diet­hard Voigt, Vor­sit­zen­der der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft Meck­len­burg-Vor­pom­mern bestä­tigte: „Der Aus­tausch bringt jun­gen Ärz­ten Erfah­run­gen, die sie sonst nicht gemacht hät­ten. So kön­nen wir euro­päi­sches Zusam­men­wach­sen leben.“

Dass viele Ärzte nur zur Aus­bil­dung nach Deutsch­land gehen und danach nach Öster­reich zurück­keh­ren, bestä­tigte Mar­tin Andreas, Jung­ärz­te­re­fe­rent der Ärz­te­kam­mer für Wien. Die Zahl der­je­ni­gen, die ihre Aus­bil­dung in Deutsch­land absol­vie­ren, ist genauso groß wie die Zahl derer, die als Nume­rus-clau­sus-Flücht­linge zum Stu­dium nach Öster­reich kom­men. „Aber auch der Nume­rus clau­sus sagt nicht aus, dass jemand ein guter Arzt wird“, kri­ti­sierte der ÖÄK-Prä­si­dent. Andere Kri­te­rien wie etwa die soziale Kom­pe­tenz seien es, die Aus­schlag gebend dafür sind. Karl­heinz Kux, Kam­mer­amts­di­rek­tor der ÖÄK, betonte in sei­nem Vor­trag den Ethos der Ärz­te­schaft und deren Regeln, human, ethisch und sozial zu han­deln: „Es ist das Wesen des Arzt­be­ru­fes, Men­schen zu hel­fen. Aus der indi­vi­du­el­len Ver­ant­wor­tung für den Pati­en­ten wird eine soziale gesell­schaft­li­che Funk­tion der Ärz­te­schaft und der Ärz­te­kam­mern. Denn sie haben die Kom­pe­tenz, das Anse­hen, die Auto­ri­tät und die Glaub­wür­dig­keit ein sozia­les Gewis­sen zu sein. Und die Ärz­te­schaft braucht die­ses große soziale Enga­ge­ment auch im eige­nen Inter­esse, damit die Medi­zin nicht ganz unter die Domi­nanz der Wirt­schaft gerät.“

Medi­zin ver­sus Ökonomisierung

In der zwei­ten Podi­ums­dis­kus­sion, die sich mit der sozia­len Kom­pe­tenz der Ärzte befasste, bestä­tigte Erik Boden­dieck, Vize-Prä­si­dent der Säch­si­schen Lan­des­ärz­te­kam­mer, dass der Para­dig­men­wech­sel von der Medi­zin hin zur Gesund­heits­wirt­schaft immer mehr Kon­flikt­po­ten­tial bie­tet: „Die Ärzte kön­nen der Auf­gabe als Anwalt des Pati­en­ten nicht mehr nach­kom­men, weil sie an der Gän­gel­schnur der Öko­no­mie gehal­ten wer­den.“ Die Ent­wick­lung hin zur Gewinn­ma­xi­mie­rung führe zu einem Kon­flikt mit dem, was Ärzte als Eid geleis­tet haben; für diese Ent­wick­lung seien die Ärzte nicht geschaf­fen und aus­ge­bil­det. „Die­sen Kon­flikt muss man besei­ti­gen und dem Arzt – wohl­wis­send um die öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen – wie­der Raum geben“, so Boden­dieck. Auch Wind­horst kri­ti­sierte diese Ten­denz vehe­ment: „In dem Moment, wo wir Pati­en­ten zu Kun­den ter­mi­no­lo­gie­ren, alles öko­no­mi­sie­ren und quan­ti­fi­zie­ren und aus der Zitrone immer mehr her­aus­quet­schen, geht die Nähe zum Pati­en­ten ver­lo­ren – Empa­thie, die da war, wird erschla­gen.“

Dabei sei das Arzt-Pati­en­ten­ver­hält­nis das zen­trale Gut, so Boden­dieck: „Der Arzt-Beruf ori­en­tiert sich am Pati­en­ten.“ Dem pflich­tete auch Wind­horst bei: „Eigent­lich ist klar, wo wir Ärzte ste­hen – auf der Seite des Pati­en­ten, als Hel­fer und Hei­ler, jedoch sicher nicht als Dienst­leis­ter.“ Anstatt den Pati­en­ten aber in den Mit­tel­punkt zu stel­len, gebe es eine Ver­la­ge­rung des Arzt­be­ru­fes – „Nach dem Para­dig­men­wech­sel kommt mitt­ler­weile zuerst die Öko­no­mie und erst dann der Mensch“, gab er zu beden­ken: „Alles muss nur noch wirt­schaft­lich, aus­rei­chend, not­wen­dig und zweck­mä­ßig sein, aber nicht mehr. Das ist ein rie­si­ges Manko!“ Und Wal­ter Dor­ner ergänzte: „Wenn nur noch die Öko­no­mie ent­schei­det, wird auf die Qua­li­tät ver­ges­sen. Und zur Zeit wird die Qua­li­tät mit Füßen getre­ten.“ Seit 15 Jah­ren ver­lange die Ärz­te­kam­mer etwa, die Leis­tun­gen für den nie­der­ge­las­se­nen Bereich zu erhö­hen, statt­des­sen gebe es aber wei­tere Ein­spa­run­gen. „Irgend­wann ist das Ende der Fah­nen­stange erreicht, wo Ein­spa­run­gen nicht mehr mög­lich sind“, brachte es der ÖÄK-Prä­si­dent auf den Punkt. Ärzte wür­den heute nur noch als Kos­ten­ver­ur­sa­cher gese­hen, aber es werde dar­auf ver­ges­sen, dass der ärzt­li­che Beruf ein unend­li­cher Wirt­schafts­fak­tor ist, so Dor­ner. Und wei­ter: „Das ist der fal­sche Weg.“ In einer Zeit, in der der Ärz­te­man­gel über­hand nimmt, sollte man diese „fal­schen Wei­chen­stel­lun­gen behe­ben und Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, um ver­nünf­tig arbei­ten, aus­bil­den und sich wei­ter­bil­den zu kön­nen“, so Wind­horst. Denn spe­zi­ell für die neue Gene­ra­tion der Ärzte gebe es auch ein Leben neben dem Beruf.

Fle­xi­bi­li­tät gefragt

Der Frage „Was wol­len junge Ärzte der Zukunft?“ wid­mete sich auch der Vor­trag von Frank Ulrich Mont­go­mery, Prä­si­dent der deut­schen Bun­des­ärz­te­kam­mer, am zwei­ten Tag des Sym­po­si­ums. Man müsse sich fra­gen, woran es liegt, dass von den rund 440.000 Ärz­ten in Deutsch­land im Jahr 2010 nur etwa 333.000 berufs­tä­tig waren. So gebe es zwar immer mehr Ärzte, gleich­zei­tig aber einen zuneh­men­den Ärz­te­man­gel. Diese Glei­chung zu lösen, sei ein­fach: „Es ist ein nor­ma­ler Trend, dass alle weni­ger arbei­ten wol­len. Wäh­rend man frü­her lebte, um zu arbei­ten, wol­len die jun­gen Ärzte von heute beim Arbei­ten auch leben.“ Außer­dem seien 50 Pro­zent der Ärzte und sogar zwei Drit­tel der Medi­zin­stu­den­ten weib­lich. Mont­go­mery dazu: „Und Frauen leis­ten – aus legi­ti­men Grün­den – weni­ger Arbeits­zeit. Fle­xi­bi­li­tät ist hier gefragt. Man muss die Ängste vor Neuem über­win­den.“ Und wei­ter: „Es muss eine Alter­na­tive zu voll­kom­me­ner Nie­der­las­sung oder Anstel­lung geben. Viele junge Ärzte, ins­be­son­dere auch Frauen, wol­len das zeit­li­che und öko­no­mi­sche Risiko einer Nie­der­las­sung heute oft nicht mehr ein­ge­hen.“ Zusam­men­ar­beits­for­men wie die MVZs (Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­tren) in Deutsch­land seien eine Option; im Rah­men die­ser Koope­ra­tion kann einer­seits die Frei­be­ruf­lich­keit erhal­ten und ande­rer­seits gleich­zei­tig eine Anstel­lung ermög­licht wer­den. „Es stellt sich nicht die Frage, ob Team­wor­ker oder Ein­zel­kämp­fer. Die Frage ist viel eher, ob unter die­sen Umstän­den über­haupt noch jemand arbei­ten will!“, resü­mierte er.

Grup­pen­pra­xen in Österreich

Über Grup­pen­pra­xen als Zusam­men­ar­beits­form in Öster­reich berich­tete Tho­mas Holz­gru­ber, Kam­mer­amts­di­rek­tor der Ärz­te­kam­mer für Wien, in sei­nen Aus­füh­run­gen. So gibt es in Wien der­zeit 61 fach­glei­che Grup­pen­pra­xen mit Kas­sen­ver­trä­gen. Im Gegen­satz zu den MVZs ist es in Grup­pen­pra­xen aber nicht mög­lich, Ärzte anzu­stel­len – einer der Gründe, wes­halb diese Koope­ra­ti­ons­form nicht für jedes medi­zi­ni­sche Fach gleich attrak­tiv ist. Helga Azem, Bun­des­fach­grup­pen­ob­frau für Augen­heil­kunde und Opto­me­trie in der ÖÄK, hat selbst den Schritt in eine Grup­pen­pra­xis gewagt und ihn nicht bereut: „Das Modell ist zwar in den Köp­fen der Kol­le­gen noch in Kin­der­schu­hen, ich würde aber auch heute wie­der eine Grup­pen­pra­xis grün­den.“

„Mehr Augen­merk!“

Das Bewusst­sein für die Gesund­heit der Augen in der Öffent­lich­keit zu stär­ken, ist das Ziel, das sich Exper­ten bei einer Podi­ums­dis­kus­sion im Rah­men des 4. ÖÄK-Sym­po­si­ums setz­ten. „Durch die ganz­heit­li­che Betrach­tung eines Pati­en­ten ist ein Augen­arzt in der Lage, auch sys­te­mi­sche All­ge­mein­erkran­kun­gen, die sich im Auge mani­fes­tie­ren, zu erken­nen“, betonte Helga Azem, Bun­des­fach­grup­pen­ob­frau für Augen­heil­kunde und Opto­me­trie in der ÖÄK und Prä­si­den­tin der Öster­rei­chi­schen Oph­thal­mo­lo­gi­schen Gesell­schaft. Hier­für sei auch die Ver­net­zung der Oph­thal­mo­lo­gen mit ande­ren Fach­dis­zi­pli­nen Aus­schlag gebend, denn so könn­ten Res­sour­cen und Syn­er­gie­ef­fekte genutzt wer­den. „Wir legen aber beson­de­ren Wert dar­auf, dass Dia­gnos­tik und The­ra­pie trotz der Zusam­men­ar­beit allein dem Augen­arzt vor­be­hal­ten sein müs­sen“, erklärte Univ. Prof. Susanne Bin­der, Vor­stand der Abtei­lung für Augen­heil­kunde an der Kran­ken­an­stalt Rudolfs­tif­tung in Wien. Denn in der Augen­heil­kunde seien die Fol­gen der Öko­no­mi­sie­rung beson­ders zu spü­ren. „Dadurch, dass Berufs­grup­pen mit nie­de­rer Qua­li­fi­ka­tion in die Medi­zin ein­drin­gen, geschieht eine Ent-Pro­fes­sio­na­li­sie­rung“, kri­ti­sierte Azem: „Die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Gesund­heits­be­ru­fen ist zwar wich­tig, muss jedoch im Rah­men ihrer Kom­pe­tenz und Befug­nis blei­ben.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2012