West Nil Virus: Gefahr durch Stechmücken?

10.04.2012 | Medizin

Auch wenn 80 Prozent der Betroffenen keine Symptome aufweisen, kann hinter einem vermeintlichen grippalen Infekt oder einer FSME ein West Nil Virus stecken. In einigen europäischen Staaten konnten bereits Infektionen mit dem West Nil Fieber nachgewiesen werden; in naher Zukunft könnte auch Österreich betroffen sein.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, dass Insekten lediglich in tropischen Ländern Infektionskrankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber übertragen, tragen auch die heimischen Gelsen Krankheitserreger in sich. Möglicherweise könnte sich in naher Zukunft das sogenannte West Nil Virus, das durch unterschiedliche Stechmücken-Arten übertragen wird, verbreiten; es konnte bereits hierzulande nachgewiesen werden. „Es gibt bereits Fälle toter Vögel, darunter auch Falken, die aufgrund der Infektion mit dem West Nil Virus starben. Wir rechnen damit, dass wenn nicht heuer, dann in den nächsten ein bis drei Jahren die ersten Humanerkrankungen auftreten werden“, sagt der Infektiologe Univ. Prof. Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Humanmedizin bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES).

In Österreich wurden auch Menschen bereits mit dem West Nil Virus infiziert. Das konnte in einer Länder-übergreifenden Studie von Baxter BioScience für die Jahre 2006 bis 2010 gezeigt werden. „0,5 Prozent der rund 1.000 untersuchten Blutspenden wiesen Antikörper auf. Das bedeutet: Es gibt schon infizierte Menschen, auch wenn wir noch keinen dokumentierten, neuroinvasiven Fall haben“, so Allerberger. Auch in anderen europäischen Staaten konnten Infektionen mit dem Virus nachgewiesen werden. In einigen Ländern kam es limitiert immer wieder zu Krankheitsausbrüchen; in Europa beispielsweise in Griechenland und Rumänien mit jeweils etwa 200 Fällen. Seinen Namen erhielt das West Nil Virus durch seinen Entdeckungsort, den West Nil-Distrikt in Uganda, wo es im Jahr 1937 erstmals beschrieben wurde. Durch die weltweite Verbreitung und Zunahme der Stechmücken vergrößerte sich auch das Vorkommen des Virus. Nach wenigen Fällen in Asien, Afrika und Teilen Südeuropas traten im Jahr 1999 zum ersten Mal nachgewiesene Infektionen in den USA auf, vermutlich eingeschleppt durch infizierte Mücken in einem Passagierflugzeug. „Zunächst waren Vögel tot von den Bäumen gefallen, dann folgten erste Todesfälle in New York, die sich auf mehrere Bundesstaaten ausweiteten und zu großer Verunsicherung führten. Man hat begonnen, alle Blutspenden auf das Virus zu scannen und auf Grundlage dieser Daten konnten wichtige Erkenntnisse über die Krankheit gewonnen werden“, sagt Allerberger. Besonders in den Jahren 2002 und 2003 kam es in den USA zu einer Epidemie mit etwa 5.800 Krankheitsfällen und rund 600 Toten. Bis zum Jahr 2007 führte das West Nil Virus in den USA jährlich zu rund 100 bis 200 Todesfällen, bis es zu einem Absinken der Zahl auf jährlich rund 50 kam – vermutlich durch ein gestiegenes Bewusstsein für die Gefahren durch Stechmücken und damit einhergehenden Schutzmaßnahmen wie etwa der Verwendung von Anti-Mücken-Mitteln.

Jeder Fünfte zeigt Symptome

Die Infektion mit dem West Nil Virus muss nicht unbedingt zu Symptomen führen: Bei etwa 80 Prozent der Infizierten kommt es – wie bei vielen Infektionskrankheiten – zu keinerlei Krankheitsanzeichen. Etwa jeder Fünfte, der durch einen Mückenstich mit dem Virus angesteckt wurde, zeigt ein Grippe-ähnliches Bild mit dem sogenannten West Nil Fieber, das nach einer Inkubationszeit von drei bis 14 Tagen überein bis drei Wochen auftritt und durch unspezifische Symptomatik mit Fieber, Kopf und Muskelschmerzen, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellung gekennzeichnet ist. Gelegentlich können auch rotfleckigknotige Hautausschläge auftreten. Meist klingen die Symptome nach wenigen Tagen ohne Therapie ab. „Das West Nil Virus ist ein RNA-Virus aus der Gruppe der Flaviviren, dessen Substanz instabil ist. Sobald die ersten Fieberzeichen auftreten, wird das Virus bei den meisten Infizierten von Abwehrstoffen im Körper abgetötet“, erklärt Allerberger. Der Rückschluss auf West Nil Fieber erfolgt oft nicht, da der Arzt nicht aufgesucht und/oder die Symptome für einen grippalen Infekt oder Frühsommer-Meningoenzephalitis
(FSME) gehalten werden.

Bei weniger als einem Prozent – etwa einem von 150 Infizierten – kommt es aber zu neuroinvasiven Krankheitsformen. Unter Beteiligung des zentralen Nervensystems kann das West Nil Virus zu einer lebensbedrohlichen Enzephalitis oder Meningitis sowie zu schlaffen Lähmungen – ähnlich wie bei Poliomyelitis – führen, da es in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Auch können Krämpfe, Nackensteifheit, Verwirrtheit oder sonstige Nervenausfälle auftreten. Die neurologischen Krankheitszeichen können sich wie bei FSME nach einigen Wochen ausschleichen, auf Dauer bleiben oder tödlich enden. Zur Risikogruppe zählen vor allem ältere Menschen und Personen, die sich besonders viel im Freien aufhalten und daher häufiger von Mücken gestochen werden. Die Therapie des West Nil Fiebers erfolgt symptomatisch, Virusspezifische Behandlungsmethoden gibt es derzeit nicht. Impfstoffe sind in Entwicklung; bisher ist jedoch noch keiner zugelassen.

Mücken-Überwachungssystem

Eine Übertragung des West Nil Virus durch zwischenmenschliche Kontakte ist
nicht möglich. Allerdings gab es in den USA beschriebene Fälle, bei denen das Virus über Bluttransfusionen weitergegeben wurde. Aus diesem Grund stehen Blutspenden unter genauer Beobachtung. „In Staaten, in deren Nachbarländern Krankheitsfälle aufgetreten sind, muss laut EU-Recht entweder jede Blutspende hinsichtlich des West Nil Virus gescreent oder ein Überwachungssystem für Stechmücken eingeführt werden. Österreich fällt unter diese Regelung, da im Jahr 2011 drei Fälle in Ungarn und 14 in Italien aufgetreten sind“, erklärt Allerberger. Die Diagnose des Virus im Blut wird allerdings durch die Gegenwart von kreuzreaktiven Flavivirus-Antikörpern bei FSME-geimpften Personen verkompliziert, die falsch-positive Resultate ergeben. Aufgrund der hohen FSME-Durchimpfungsrate funktioniert der Virusnachweis nur mit kostenaufwändigen PCR-Systemen, weshalb man sich in Österreich für ein Überwachungssystem der Mücken entschieden hat.

Österreichweit erhebt die AGES zweimal jährlich an ein bis zwei Stellen je Bundesland das Vorkommen von Stechmücken. In der Mücken-Hochsaison von Mitte Juli bis Ende Oktober werden Insekten eingefangen und untersucht. „Wir konnten mit der Asiatischen Buschmücke eine neue Spezies in der Südsteiermark und in Kärnten nachweisen. Das West Nil Virus wird aber von verschiedenen Mückenarten, auch von den bisher als harmlos geltenden, heimischen Gelsen, übertragen“, sagt Allerberger.

Der natürliche Wirt des West Nil Virus sind Vögel, vor allem Rabenarten. Zwischen Vögeln wird das Virus meist durch Mückenarten übertragen, die Menschen nicht stechen. Allerdings gibt es auch Stechmückenarten, die an Menschen und anderen Säugetieren wie zum Beispiel an Pferden Blut saugen und dabei Krankheitserreger verteilen. Diese sind für das West Nil Virus Fehlwirte, die zwar erkranken können, das Virus jedoch nicht weiter verbreiten.

Tipp:
Informationsfolder zum West Nil Virus können kostenlos bei der AGES entweder telefonisch (050555-35501) oder per E-Mail (karin.krivan@ages.at) bestellt werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2012