Tagesschläfrigkeit: Wenn der Schlaf übermannt

10.11.2012 | Medizin

Etwa zehn bis 20 Prozent der Österreicher leiden unter Hypersomnien. Neben einer Vielzahl an möglichen Ursachen zählen Müdigkeit und Schläfrigkeit aber auch zu häufigen Begleitsymptomen von anderen Krankheitsbildern. Darüber hinaus kann die Tagesschläfrigkeit auch Medikamenten-induziert sein.Von Elisabeth Gerstendorfer

Ungewolltes Einschlafen oder Einnicken am Tag, die Schwierigkeit, tagsüber wach zu bleiben oder das Gefühl, trotz ausreichender Schlafdauer permanent müde zu sein – das sind typische Kennzeichen für Hypersomnien. Je nach Definition sind etwa zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung von der sogenannten Tagesschläfrigkeit betroffen. Bei einer Umfrage der österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung gab jeder Fünfte der 1.000 Befragten an, immer wieder Schwierigkeiten zu haben, sich tagsüber wach zu halten. Jeder Zehnte ist schon einmal unfreiwillig eingenickt.

„Tagesschläfrigkeit ist kein kleines Problem. Der persönliche Leidensdruck ist sehr groß, da die Betroffenen einschlafen, obwohl sie nicht wollen, und ihnen das im persönlichen Umfeld sehr unangenehm ist“, sagt Ao. Univ. Prof. Birgit Högl, Oberärztin an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Man unterscheidet zwischen den Schweregraden mild, mäßig und schwer. „Milde Tagesschläfrigkeit beschreibt eine gering erhöhte Einschlafbereitschaft, etwa bei einer längeren Zugfahrt mit wenig Aufmerksamkeitserfordernis. Mäßig umfasst Situationen, wo man wach sein sollte, etwa beim Lenken eines Fahrzeugs, das heißt Situationen, die zwar monoton sind, aber eine hohe Aufmerksamkeit erfordern“, so Högl. Ist der Schlafdrang so groß, dass Betroffene auch in aktiven Situationen, etwa mitten im Gespräch, während dem Essen oder bei körperlicher Betätigung, einschlafen, spricht man von schwerer Tagesschläfrigkeit.

Die häufigste Ursache für Hypersomnien ist das verhaltensinduzierte Schlafmangelsyndrom. „Viele Betroffene schlafen in der Nacht weniger als sie eigentlich bräuchten. Häufig kommt dies bei Personen vor, die mehrere Jobs bewältigen, versuchen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, jemanden pflegen oder weite Wege zur Arbeit zurücklegen müssen. Wenn man beispielsweise neun Stunden arbeitet mit etwa 1,5 Stunden  Wegzeit pro Strecke, bleibt wenig Zeit, zuschlafen“, sagt Högl. Vor allem beruflich Selbstständige, Manager, Personen, die im Schichtdienst arbeiten, junge Akademiker oder Ärzte an Universitätskliniken mit Forschung, Lehre und Patientenversorgung zählen laut Högl zu den Risikogruppen für das Schlafmangelsyndrom.

Vielfältige Ursachen

Eine andere mögliche Ursache ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom, das durch Atemstillstände während des Schlafs und damit zusammenhängenden Durchschlafstörungen gekennzeichnet ist. In der Folge kann es neben der ausgeprägten Schläfrigkeit während des Tages unter anderem zu unruhigem Schlaf sowie Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen bis hin zu depressiven Verstimmungen kommen. „Klassischerweise denkt man beim Schlafapnoe-Syndrom an übergewichtige, laut schnarchende Männer. Das ist ein Klischee, das zwar zutreffen kann. Es soll aber nicht davon ablenken, dass es häufig untypische Fälle gibt“, sagt Högl.

Die Tagesschläfrigkeit kann darüber hinaus als Neben- oder Wechselwirkung Medikamenten-induziert sein. Weniger oft sind neurologische Störungen der Schlaf-Wach-Regulation Ursache von Tagesschläfrigkeit, etwa Narkolepsie, bei der es zu häufigen Schlafattacken mit einem plötzlichen Auftreten von REM-Schlaf im Wachzustand kommt. „Neurologische Störungen der Schlaf-Wach-Regulation können sich bereits im Kindesalter manifestieren und sind manchmal der Grund, dass Kinder in der Schule nicht wachbleiben können. Ein frühes Erkennen ist notwendig, damit das Umfeld entsprechend informiert werden kann“, so Högl.

Bei der Diagnose ist vor allem eine umfassende Anamnese gefragt. „Wichtig ist die Frage danach, wie sich der Betroffene am Tag nach zu wenig oder nach gestörtem Schlaf fühlt. Die Zahl der Stunden, die jemand schläft, allein ist wenig aussagekräftig“, sagt Univ. Prof. Josef Zeitlhofer, Leiter des Schlaflabors an der Universitätsklinik für Neurologie im Wiener AKH. Zwar bräuchte der Durchschnittserwachsene circa sechs bis acht Stunden Schlaf, um fit und ausgeschlafen zu sein. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung brauchen jedoch weniger als sechs Stunden Schlaf und zehn bis 15 Prozent müssen mehr als acht Stunden schlafen, um leistungsfähig zu sein. Abgeklärt werden sollte auch, ob der Patient, wenn er von „Müdigkeit“ spricht, tatsächlich eine vermehrte Einschlafneigung meint und sich nicht wachhalten kann, oder ob er von einer allgemeinen Ermüdbarkeit spricht, die von Tagesschläfrigkeit abgegrenzt werden muss.

Bei der Diagnostik spielen subjektive Angaben der Betroffenen daher mindestens eine so große Rolle wie objektive Messungen. „Zur Abklärung gibt es eine Reihe an sehr hilfreichen Müdigkeitsskalen, etwa die Stanford Sleepiness Scale, die subjektiv die Schläfrigkeit in verschiedenen beschriebenen Situationen erfassen. Auch vorgedruckte oder selbst angefertigte Schlaftagebücher, in denen Patienten festhalten, wann sie schlafen gehen, wie lange sie zum Einschlafen brauchen, wie oft sie aufwachen usw., unterstützen in der Diagnostik“, so Zeitlhofer. Die Beobachtung des eigenen Schlafes mit einem Tagebuch über einen Zeitraum von vier Wochen kann auch therapeutisch hilfreich sein, da die Patienten merken, dass es auch Tage gibt, an denen Tagesschläfrigkeit weniger auftritt.

Ergänzend zu den subjektiven Einschätzungen des Patienten sollten auch objektive Faktoren einbezogen werden. Zeitlhofer: „Im EEG und im EOG können Zeichen von neurophysiologischer Seite des Schlafes auftreten. Im EEG könnte etwa eine abweichende Verteilung der Alpha-Aktivität festgestellt werden. Betroffene haben außerdem bei normalem Blick langsamere Pulbus-Bewegungen, sogenannte slow eye movements, auch der Lidschlag ist verändert.“ Bei der Differentialdiagnostik ist auf medikamentös bedingte Müdigkeit beziehungsweise Schläfrigkeit zu achten, sowie auf eine Schilddrüsenunterfunktion und andere internistische (wie zum Beispiel niedriger Blutdruck, Anämie), konsumierende (zum Beispiel Tumore) oder neurologische Erkrankungen (zum Beispiel Fatigue bei Multipler Sklerose, Chronic Fatigue Syndrom, Depression), die zu einem erhöhten Schlafdrang führen können.

Die Therapie erfolgt Ursachenspezifisch; auf Schlafmittel allein sollte verzichtet werden. „Schlafmittel sollten nur verschrieben werden, wenn das Einschlafen gestört ist, und dann aufgrund des Abhängigkeitspotentials zeitlich beschränkt“, sagt Zeitlhofer. Gängige Einschlafhilfen sind Halcion, Solpetal aber auch pflanzliche Substanzen wie Passionsblume, Melisse oder Hopfen, beispielsweise in Teeform. Zur Schlafhygiene empfiehlt Zeitlhofer, sich darüber hinaus an die sogenannten zehn Gebote des Schlafs zu halten, zu denen etwa zählt nur kleine Mengen Alkohol vor dem Schlafengehen zu trinken, nicht zu viel zu essen, aufputschende Getränke wie Kaffee und Energy Drinks zu vermeiden sowie regelmäßige Bewegung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2012