Radialispunktion für Koronarangiographie: Alternative oder Standard?

25.02.2012 | Medizin

Beim STEMI-Patienten sollte bei einer Koronarangiographie der Zugang über die A. radialis nicht mehr als Alternative, sondern als Standard angesehen werden, sie die Empfehlung einer italienischen Forschergruppe. Bei bestimmten Patientenkollektiven zeigt sich im Vergleich zum Zugang über die A. femoralis eine geringere Morbidität und Mortalität.
Von Irene Mlekusch

Im Rahmen der perkutanen Koronareingriffe gilt der Zugang über die A. femoralis als der klassische Weg. Bei vertretbaren Komplikationsraten gab es lange Zeit keinen alternativen Zugang. Erst 1962 erfolgte die Darstellung der Koronarien erstmals über die A. brachialis, welche zunächst noch operativ freigelegt und eröffnet, später dann punktiert wurde. Der Zugang über die A. brachialis führt aber aufgrund der empfindlichen benachbarten Strukturen zu deutlich mehr Komplikationen als der transfemorale Zugang. Erst 1989 wurde ein weiterer akzeptabler Zugangsweg beschrieben, die transradiale Punktion. Einige aktuelle Studien befürworten die A. radialis als Pforte für den Herzkatheter, da sich bei bestimmten Patientenkollektiven eine geringere Morbidität und Mortalität im Vergleich zum Zugang über die Femoralarterie gezeigt haben.

„Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt schneiden über den Radialiszugang insgesamt besser ab“, fasst Univ. Prof. Georg Delle-Karth, stellvertretender ärztlicher Leiter des Herzkatheterlabors an der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Wien, die Ergebnisse der noch nicht publizierten RIFLE STEACS-Studie zusammen, die am TCT (Transcatheter Cardiovascular Therapeutics) 2011 in San Francisco präsentiert wurden. Zusammenfassend empfiehlt die italienische Forschergruppe, den Zugang über die A. radialis bei STEMI-Patienten nicht mehr als Alternative in Betracht zu ziehen, sondern zum Standard zu machen. Auch die 2011 in Lancet publizierte RIVAL-Studie zeigte eine deutlich reduzierte Eventrate sowie seltenere Blutungskomplikationen bei dieser Patientengruppe. „Vorteile bringt die Radialispunktion auch bei der angiographischen Darstellung von Mammaria-Bypässen“, so Delle-Karth. Und weiter: „Je älter allerdings die Patienten sind, umso schwerer wird der Zugang über die A. radialis, da sich der Eintrittswinkel in den Truncus brachiocephalicus mit zunehmendem Alter verändert.“ Auch Patienten mit ausgeprägter cerebraler arterieller Verschlusskrankheit sind nicht für einen Herzkatheter mit Radialispunktion geeignet.

„An der Abteilung für Kardiologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Wien ist die A. femoralis der Routinezugang. Viele Zentren stellen sich allerdings schon um, da die Patienten die Radialispunktion aufgrund der rascheren Mobilisierung vorziehen“, erklärt Delle-Karth. Die Radialispunktion kommt ursprünglich aus den Niederlanden und hat sich in Europa und Kanada verbreitet. „In den USA beträgt der Anteil der Radialispunktionen für Herzkatheter unter zehn Prozent“, weiß Univ. Prof. Otmar Pachinger, Leiter der klinischen Abteilung für Kardiologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Innsbruck. An der Innsbrucker Klinik wird die A. radialis im Rahmen von Kathetereingriffen zu etwa 30 Prozent punktiert. Pachinger weist außerdem darauf hin, dass eine Lernkurve von mehr als 100 Interventionen notwendig ist; trotzdem bleibt die Erfolgsrate insgesamt geringer. „Es ist wichtig, dass vor allem junge Interventionisten beide Zugänge beherrschen, um individuell entscheiden zu können“, betont Pachinger.

Obwohl die Radialis-Angiographie im Vergleich zum klassischen Zugang technisch höhere Ansprüche an den Interventionisten stellt und der Patient auch unter erfahrenen Händen einer längeren Durchleuchtungs- und Untersuchungszeit ausgesetzt ist, ist diese Art des Eingriffs als besonders Patienten-freundlich zu sehen. Geringe Blutungskomplikationen und ein Zeitgewinn, da technische und manuelle post-interventionelle Kompressionsprozeduren überflüssig werden, führen ebenso zu einem höheren Patientenkomfort, einer geringeren Schmerzhaftigkeit und rascheren Mobilisation. „Aufgrund der zahlreichen Verschlusssysteme sind die Blutungskomplikationen aber auch bei der Femoralispunktion weitgehend reduziert“, merkt Pachinger an. Er sieht in der Radialispunktion in erster Linie einen ökonomischen Hintergedanken, da der Herzkatheter auf diese Art im Prinzip zu einem tagesklinischen Eingriff wird und der Patient noch am selben Tag entlassen werden kann. Um die weitere Behandlung abzuklären, muss der Patient jedoch neuerlich ins Spital kommen.

Pachinger fasst die Vorteile des transradialen Zuganges wie folgt zusammen: „Die Radialispunktion ist bei adipösen Patienten ebenso von Vorteil wie bei einem durch eine paVK erschwerten femoralen Zugang. Auch für Patienten mit erhöhter Blutungsneigung oder bei einem rein diagnostischen Herzkatheter sollte die A. radialis als Punktionsstelle gewählt werden.“ Da Gefäßprothesen im Beckenbereich, Gefäßkinkings oder abdominelle Aortenaneurysmen bei einem transfemoralen Kathetereingriff zu erheblichen Schwierigkeiten führen können, ist auch in diesen Fällen der transradiale Zugang eine hervorragende Alternative.

Trotz aller Vorteile ist der routinemäßige Einsatz der Radialispunktion bei etwa zehn Prozent kontraindiziert. Einarmige Patienten, Patienten mit M. Raynaud oder Vaskulitis kommen ebensowenig in Frage wie Patienten mit Mehrfach-Bypässen. Die selektive Intubation der kontralateralen A. mammaria stellt häufig ein technisches Problem dar, wenn der Katheter über die A. radialis eingeführt wird. „Postinterventionelle Komplikationen wie ein Verschluss der A. radialis sind bei suffizientem Hohlhandbogen fast immer asymptomatisch“, berichtet Delle-Karth aus der Praxis. Die Anzahl der postinterventionellen Radialisverschlüsse korreliert der Literatur zu Folge mit der verabreichten Heparindosis. Einige Studien konnten Okklusionen vorwiegend bei Frauen und sehr Lumen-schwachen Gefäßen beobachten. Häufig werden spontane Reperfusionen innerhalb von sechs Monaten beschrieben.

Technische Komplikationen

Pachinger zählt die technischen Komplikationen des Zugangs über die Armarterie auf: „Die Radialispunktion kann der Femoralispunktion nicht 1:1 gleichgesetzt werden, da gewisse Instrumente nicht über die Schleuse in der A. radialis eingeführt werden können wie zum Beispiel eine intraaortale Ballonpumpe oder Schleusen mit einem Durchmesser von mehr als acht French.“ Beispielsweise kann eine Rotablation mit großen Bohrköpfen nicht über einen transradialen Zugang durchgeführt werden. Auch bei Verwendung eines intravaskulären Ultraschalls, bei Klappeninterventionen oder im Rahmen der Elektrophysiologie ist die Femoralispunktion die Methode der Wahl. Abgesehen von den Punktions- und Schleusen-technischen Einschränkungen werden beim Einsatz der Radialispunktion zusätzliche technische Voraussetzungen an die Angiographie-Anlage gestellt, da der C-Bogen etwas lateral ausgefahren werden können muss. Bei Akutinterventionen ist laut Pachinger durch eine Femoralispunktion ein besserer Support gewährleistet und die Durchleuchtungszeit kürzer.

Delle-Karth fordert: „Präinterventionell sollte trotz mangelnder Sensitivität ein Allen-Test durchgeführt werden, um eine ausreichende Kollateralisierung bei Verschluss der A. radialis zu gewährleisten.“ Bei dieser klinischen Untersuchung werden die beiden Unterarmarterien am Handgelenk des Patienten gleichzeitig komprimiert, bis es distal im Handflächen- und Fingerbereich zu einer deutlichen Abblassung kommt. Im Anschluss wird zunächst der radiale und dann nach abermaliger simultaner Kompression die ulnare Kompression gelöst und beobachtet, ob die Rekapillarisierung den gesamten Handbereich erfasst oder nur auf der ipsilateralen Seite auftritt. Um die provozierte Ischämie zu verstärken, können zusätzlich Faustschlüsse verlangt werden. Rötet sich die Hand nicht innerhalb von zehn Sekunden, deutet das auf keine oder eine nur insuffiziente Kollateralversorgung durch die Gegenseite hin. Pachinger sieht die Problematik der Radialispunktion eher bei geschlängelten Gefäßverläufen oder anatomischen Varianten im Bereich der Armarterien. „Ein präinterventioneller auffälliger Allen-Test ist nicht unbedingt ein Hindernis“, erklärt er. „Bei Blutdruckdifferenzen kann ein Pulsstatus Durchblutungsstörungen im Bereich der Armarterien aufzeigen und auch die Anlage eines Pulsoxymeters kann weitere Hinweise in Bezug auf die Durchblutungssituation liefern“, ergänzt Delle-Karth.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2012