Medizinische Trainingstherapie: Training als Medikament

10.03.2012 | Medizin



Ausdauer- und Krafttraining verbessern nicht nur die Rehabilitation speziell bei Patienten mit COPD und Rheuma. Bei onkologischen Patienten kann sie darüber hinaus körperliche Schwächen, die durch den Fortschritt der Krankheit oder die Therapiewirkungen auftreten, minimieren.

Von Elisabeth Gerstendorfer

Körperliche Fitness ist nicht nur ein wesentlicher Faktor, um Gesundheit zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen. In Form der Medizinischen Trainingstherapie (MTT) kann gezielt auf den Patienten abgestimmtes Training von Kraft und Ausdauer auch den Krankheitsverlauf, die Rehabilitation und damit die Lebensqualität der Patienten maßgeblich beeinflussen. „Ziel der Medizinischen Trainingstherapie ist, dass sich im Körper Veränderungen zeigen, die die Leistungsfähigkeit und die Muskelfähigkeit verbessern. Prinzipiell ist sie bei jedem einsetzbar, der eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit aufweist“, sagt Karin Vonbank, Leiterin der Ambulanz für Sport- und Leistungsmedizin von der Abteilung Pulmologie an der Universitätsklinik Innere Medizin II in Wien. Nach einem gemeinsam mit dem Patienten erstellten Trainingsplan werden Kraft, Koordination, Gleichgewicht, Ausdauer, Haltung oder Flexibilität teils gerätegestützt, teils durch Sportarten wie Nordic Walking, Laufen oder Ergometer-Fahrradfahren trainiert.

Verbesserung bei COPD-Patienten

Besonders effektiv ist die Medizinische Trainingstherapie bei pulmologischen Patienten, vor allem im Rahmen der COPD-Rehabilitation. „Viele Studien belegen, dass Ausdauer- und progressives Krafttraining zu einer Verbesserung für COPD-Patienten beitragen, insbesondere in Bezug auf die Atemnot. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass regelmäßiges Training die Anzahl und die Dauer der Spitalsaufenthalte reduziert. Auch die Mortalität ist vom Trainingszustand abhängig: je höher die Leistungsfähigkeit, desto besser ist das Überleben“, sagt Vonbank. Bei Patienten mit Lungenerkrankungen spielt das respiratorische Muskeltraining eine wichtige Rolle.

Dauer, Intensität und Häufigkeit des Trainings bestimmt vor allem der IST-Zustand des Patienten, der zunächst mittels Maximalbelastungstest am Ergometer erhoben wird. Meist erfolgt das auf dem Fahrradergometer, besser noch mittels Spiroergometrie, um auch den Gasaustausch im Organismus zu messen. „Das Trainingsprogramm orientiert sich daran, was der Patient beim Belastungstest erreichen kann. Daraus leitet sich ab, mit welcher Belastung und wie lange der Patient trainieren soll und in welchem Zeitraum eine Steigerung erfolgen soll“, so Vonbank. Kriterium ist die maximale Sauerstoffaufnahme, das heißt wie viel Sauerstoff der Körper im Zustand maximaler Belastung verwerten kann (ml/Min.). Die Intensität des Trainings sollte mindestens 50 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme betragen. Ein Training mit hoher Intensität (80 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme) hat bei milder COPD größere physiologische Effekte als ein Training mit niedriger Intensität (40 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme) – das geht aus einer Metaanalyse von Puhan et al. (2005) hervor, in der insgesamt 15 Studien zur Medizinischen Trainingstherapie von COPD-Patienten einbezogen wurden. Sie zeigten auch, dass Intervalltraining bei COPD-Patienten in fortgeschrittenen Stadien signifikant größere Verbesserungen in der Gesundheits-bezogenen Lebensqualität erzielt als Dauerleistungstraining.

Rheuma: gute Evidenz

Gut belegt sind die Effekte der Medizinischen Trainingstherapie auch bei rheumatischen Erkrankungen. „Im Speziellen gibt es gute Evidenz bei rheumatoider Arthritis, Morbus Bechterew und Osteoporose. Normalerweise ist im akuten Stadium Vosicht geboten, aber auch hier gibt es eine Studie, die klinische Vorteile bei akuten Schüben von Patienten mit rheumatoider Arthritis gezeigt hat“, sagt Univ. Doz. Edmund Cauza, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin am Herz-Jesu-Krankenhaus in Wien. Cauza untersuchte über einen Zeitraum von sechs Monaten den Einfluss von kombiniertem Ausdauer- und Krafttraining auf die Krankheitsaktivität von Patienten mit rheumatoider Arthritis. In der Fall-Kontroll-Studie mit insgesamt 40 Patienten – 20 davon in der Fallgruppe – absolvierten die Teilnehmer zweimal pro Woche 15 Minuten Ausdauertraining am Fahrrad-Ergometer, wobei der Trainingsumfang alle vier Wochen um fünf Minuten gesteigert wurde. Das Krafttraining bestand zu Beginn aus zwei Sätzen je Muskelgruppe und Woche und wurde alle sechs Wochen um einen Satz gesteigert.

Auch in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass sich die Lebensqualität der Patienten in der Trainingsgruppe signifikant verbesserte. Nach der Trainingsperiode zeigte sich keine radiologische Progression, die Krankheitsaktivität verbesserte sich um 13 Prozent. Während in der Kontrollgruppe keine Änderungen festgestellt wurden, kam es in der Trainingsgruppe zu einer signifikanten Reduktion von Schmerzen und auch die globale Krankheitsbeurteilung verbesserte sich. In der maximalen Wattleistung konnte eine Steigerung um zehn Prozent erzielt werden, bei der aeroben Leistungsfähigkeit um elf Prozent. Auch die Maximalkraft stieg signifikant. „In der Behandlung rheumatoider Arthritis nimmt die Medizinische Trainingstherapie einen besonderen Stellenwert ein, da sie dem Verlust an Muskelmasse entgegenwirkt und die kardiovaskuläre Fitness verbessert“, sagt Cauza.

Onkologie: körperliche Schwäche minimieren

Die Medizinische Trainingstherapie wird aber nicht nur eingesetzt, um eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit zu erwirken, sondern auch um die aktuelle Fitness bei massiven Erkrankungen zu erhalten – etwa bei onkologischen Patienten. „Das Ziel der Trainingstherapie bei Patienten mit Krebserkrankungen ist, körperliche Schwächen, die durch den Fortschritt der Krankheit oder die Therapiewirkungen auftreten, zu minimieren. Im Optimalfall haben die Patienten keinen Rückgang in der Leistungsfähigkeit und können sie stabil halten“, sagt Univ. Doz. Valentin Leibetseder, Facharzt für medizinische Leistungsphysiologie in Wien. Besonders die Chemotherapie führt dazu, dass Patienten signifikant an körperlicher Fitness verlieren. „Es ist wichtig, dass man sensibel mit sich selbst umgeht, indem man Trainingspausen zulässt und nicht streng nach Trainingsprotokoll vorgeht. Wenn man einen schlechten Tag hat, ist das ein Zeichen des Körpers, dass man Ruhe braucht“, so Leibetseder. Gemeinsam mit Psychologen hat er ein Trainingstagebuch entwickelt, in dem Patienten ihr aktuelles Befinden eintragen können, indem sie beispielsweise auf einer Skala einschätzen, wie müde sie sind oder wie sie sich fühlen. Wer die vordefinierte Punktzahl von 25 unterschreitet, sollte das Training an diesem Tag auch einmal auslassen. „Karzinom-Patienten sollte ein Trainingstagebuch begleiten. Medizinische Trainingstherapie ist wie ein Medikament, das man dosieren muss. Je kränker und/oder älter jemand ist, desto genauer muss die Dosierung erfolgen“, sagt Leibetseder.

Die Effekte der Medizinischen Trainingstherapie bei onkologischen Patienten sind gut untersucht. Gezeigt werden konnte beispielsweise, dass Übelkeit weniger häufig auftritt, die Stimmungslage verbessert werden kann und dass sogar die Chemotherapie besser anschlägt. Auch die Karzinom-Rezidivrate ist geringer. Schließlich wird auch dem bei Krebspatienten auftretenden Erschöpfungssyndrom mit gezieltem Ausdauer- und Krafttraining effizient entgegengewirkt.

Meist keine Kostenübernahme

Trotz der mehrfache nachgewiesenen positiven Effekte ist die Medizinische Trainingstherapie nicht sehr verbreitet. „Lege artis sollte eigentlich jeder Arzt eine Trainingstherapie empfehlen – auch als Sekundärprophylaxe. Das findet aber nicht statt“, sagt Leibetseder. Der Grund dafür liegt vor allem in den Kosten: Die stationäre Medizinische Trainingstherapie wird zwar übernommen – besonders bei Herzpatienten funktioniert das sehr gut -, für die ambulante Rehabilitation gibt es aber kein flächendeckendes Angebot, nur in Einzelfällen anhand bestimmter Vereinbarungen mit der Kasse. Immer wieder gebe es Bestrebungen und Ansätze, dass Versicherungen die Kosten zum Teil übernehmen, allerdings ist das Ausmaß bisher gering. Laut dem Experten sind daher Strukturen gefragt, in denen die Medizinische Trainingstherapie von Ärzten vorgeschlagen oder als belegte wirkungsvolle therapeutische Maßnahme von der Kasse eingefordert werden. Notwendig wären auch organisierte Umstände, die die Compliance unterstützen wie Trainingsgruppen oder regelmäßige Kontakte zum Spezialisten. Leibetseder weiter: „Für viele Patienten ist das Spüren ihrer körperlichen Schwäche der Hauptleidensdruck. Sie merken, dass sie eingeschränkt sind und haben das Bedürfnis, Leistungssteigerungen zu erzielen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt.“ Der Motivationscharakter der Medizinischen Trainingstherapie sei daher sehr gut, bleibe aber nur dann so, wenn das Training der individuellen Belastbarkeit entspreche. „Wenn Patienten das Training nicht durchhalten können, sinkt die Compliance. Die meisten aber, die begonnen haben, merken, dass es ihnen gut geht und sind auch bereit, weiterzumachen“, ergänzt Karin Vonbank.

Medizinische Trainingstherapie – die Details

Medizinische Trainingstherapie ist gezieltes Ausdauer- und Krafttraining zur Rehabilitation oder Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit. Besonders effektiv ist sie bei chronsichen Lungen-, Rheuma- und Krebserkrankungen.

In zahlreichen Studien konnte bei Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität durch die Medizinische Trainingstherapie belegt werden, ebenso wie eine Stärkung bei der Krankheitsbewältigung.

Die wichtigsten Effekte:

  • Pulmologische Patienten: besonders effektiv bei COPD-Patienten. Geringere Mortalität, Reduktion von Anzahl und Dauer der Spitalsaufenthalte, Empfinden von Atemnot verbessert.
  • Rheumatologische Patienten: besonders effektiv bei rheumatoider Arthritis, Morbus Bechterew und Osteoporose. Verbesserung der Krankheitsaktivität, Reduktion des Schmerzes.
  • Onkologische Patienten: Stabilisierung der körperlichen Leistungsfähigkeit, weniger häufige Übelkeit, Verbesserung der Stimmungslage, Verminderung des Erschöpfungsgefühls, besseres Anschlagen der Chemotherapie, geringere Karzinom-Rezidivrate.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2012