Lyme-Borreliose: Schwierige Diagnose

10.06.2012 | Medizin

Schätzungsweise bei jedem 20. Zeckenstich kommt es zu einer Infektion mit Lyme-Borrelien. Wird die Serologie ohne klinischen Verdacht eingesetzt, kann es zu Problemen bei der Interpretation der Ergebnisse kommen. Denn selbst der Nachweis von spezifischen Antikörpern im Blut ist kein Beweis für eine aktuelle Lyme-Borreliose.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Zecken können verschiedene Krankheitserreger auf den Menschen übertragen. Am häufigsten ist die Infektion mit Lyme-Borrelien: Etwa jede fünfte Zecke in Österreich trägt diese Bakterien aus der Gruppe der Spirochäten in sich. Laut Schätzungen kommt es bei jedem 20. Zeckenstich zu einer Infektion mit den Spirochäten, die zum Krankheitsbild Lyme-Borreliose führen kann. Die Lyme-Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die Haut, Nervensystem, Muskel- und Skelettsystem sowie seltener Herz und Augen und sehr selten auch andere Organe befällt. Die ersten Anzeichen können erst Wochen nach dem Zeckenstich auftreten. „Bleiben frühe Krankheitserscheinungen, die gewöhnlich an der Haut lokalisiert sind, unbehandelt, können Wochen bis Monate später Symptome an anderen Organen auftreten“, sagt Univ. Prof. Gerold Stanek, Facharzt für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien.

Laut WHO beträgt die jährliche Inzidenzrate in Österreich 300 pro 100.000 Einwohner; die Dunkelziffer liegt – laut Stanek – vermutlich höher. „Das komplexe Krankheitsbild und die Schwierigkeit, manche Krankheitserscheinungen der Lyme-Borreliose, insbesondere die Gelenkserkrankungen von ursächlich anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen, erschweren jedoch die Datenerhebung“, sagt der Experte. Die Diagnose erfolgt primär nach dem Krankheitsbild. Dabei ist die einzige Manifestation, die klinisch einwandfrei diagnostiziert werden kann, das typische Erythema migrans (EM), die lokale Hautinfektion durch Lyme-Borrelien. Wie Stanek weiter ausführt, ist auch „die Lyme-Neuroborreliose für den erfahrenen Neurologen gewöhnlich kein diagnostisches Problem. Hier unterstützt das Labor zum Beispiel durch den Nachweis von intrathekal gebildeten Antikörpern gegen die Borrelien“.

Serologie richtig interpretieren

Bei der Serodiagnostik hat sich ein Zwei-Test-Verfahren etabliert. Dabei wird eine im ersten Test ermittelte positive oder grenzwertige lgM- und/oder lgG-Antikörper-Konzentration – meist mit ELISA oder Chemilumineszenz – mit einem zweiten Test, Westernblot oder Line-Blot, auf ihre Spezifität überprüft. „Die Serodiagnostik ist beim typischen Erythema migrans nicht zweckmäßig und kann darüber hinaus in mehr als der Hälfte der Fälle negativ ausfallen“, so Stanek. Bei allen anderen Krankheitsbildern der Lyme-Borreliose wie Lyme-Neuroborreliose, der Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) sowie Arthritis ist der Nachweis insbesondere von spezifischen IgG-Antikörpern ein wichtiger Bestandteil der Diagnose. Der direkte Erregernachweis gelingt am besten beim typischen Erythema migrans, ist aber laut Stanek „gerade da unnötig“. Bei Verdacht auf Lyme-Arthritis sollte die Polymerasekettenreaktion (PCR) eingesetzt werden, um im Gelenkspunktat – meist sind einzelne große Gelenke betroffen – Borrelien-DNS zu detektieren. „Goldstandard zum sicheren Nachweis einer aktiven Infektion wäre die Anzüchtung von Borrelien aus Haut, Blut, Liquor cerebrospinalis oder anderem Gewebe eines Patienten“, betont Stanek. Allerdings beherrschen diese aufwendige Nachweismethode gewöhnlich nur Referenz-Laboratorien und ihre Sensitivität sei darüber hinaus mit Blut-, Liquor- und Gelenkspunktat-Proben sehr gering.

Die Borrelien-Serologie ohne klinischen Verdacht einzusetzen, kann Probleme bei der Interpretation der Ergebnisse verursachen. Stanek dazu: „Selbst wenn spezifische Antikörper im Blut nachgewiesen werden, ist das kein Beweis für eine aktuelle Lyme-Borreliose.“ Auch nach einer erfolgreich behandelten systemischen Lyme-Borreliose könnten insbesondere lgG-Antikörper gegen Lyme-Borrelien über Jahre nachgewiesen werden. Dazu komme die stille Infektion ohne Krankheitszeichen: Ein großer Teil der gesunden Personen mit häufigem Zeckenkontakt wie etwa Jäger, habe Serum-Antikörper.

Umso wichtiger ist die Kenntnis der Krankheitserscheinungen, allen voran das Erythema migrans, auch als „Wanderröte“ bekannt, das bei 80 Prozent der Patienten nach einer Inkubationszeit von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen nach dem Zeckenstich auftritt. Beim Erythema migrans handelt es sich um eine sich zentrifugal um die Stichstelle ausbreitende Hautrötung, die meist keine nennenswerten lokalen Symptome verursacht und unbehandelt über Wochen bis Monate wachsen kann. Es kann von milden Allgemeinsymptomen wie Krankheitsgefühl, Fieber, Kopfschmerzen, Nackensteifheit, sowie Gelenks- und Muskelschmerzen begleitet sein und ist selbstlimitierend. Bei mehr als 80 Prozent der Patienten bleibt es die einzige klinische Erscheinung.

Ohne entsprechende Behandlung der Infektion kann es aber zu einer Ausbreitung der Spirochäten in andere Gewebe kommen. Vom ursprünglichen Erythem ausgehend können infolge einer hämatogenen Ausbreitung der Lyme-Borrelien auch multiple Erytheme auftreten, die unabhängig von der Zeckenstichstelle an verschiedenen Hautstellen entstehen. Seltener beobachtet wird das Borrelien-Lymphozytom, ein schmerzloser blauroter Knoten oder Plaque, der sich oft am Ohrläppchen, am Ohrrand, an der Brustwarze oder am Skrotum befindet und häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen festzustellen ist. Unter den disseminierten Infektionen, denen nicht notwendigerweise ein Erythema migrans vorausgehen muss, ist die Lyme-Neuroborreliose die häufigste Manifestation, die sich als milde aseptische Meningitis, isolierte einseitige oder beidseitige Fazialis-Parese oder als Entzündung von anderen Hirnnerven sowie als schmerzhafte Meningo-Radikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom) zeigt.

Monate bis Jahre nach der Infektion können späte Manifestationen an Haut, Gelenken oder Nervensystem auftreten. Die häufigste und in Europa schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannte Form ist die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA), eine chronisch-progressive, fibrosierende Hauterkrankung. „Die Acrodermatitis tritt gewöhnlich an den Streckseiten der Extremitäten auf, zunächst als teigige Hautschwellung oder blaurote Verfärbung, gefolgt von Atrophie, welche die Haut sehr zart und durchscheinend macht“, erläutert Stanek. Diese Hautschädigungen werden – den Aussagen des Experten zufolge – oft als Resultat vaskulärer Insuffizienz, Lymphödem oder Alterserscheinung „falsch interpretiert“.

Zur Therapie eignen sich vor allem Penicillin, Tetrazyklin, Cephalosporine der dritten Generation sowie Azithromycin bei Empfindlichkeit gegenüber den erstgenannten. Lyme-Borrelien haben eine natürliche Resistenz gegenüber Fluorchinolonen, Fosfomycin, Rifampicin und Cephalosporinen der ersten Generation. Von der in den USA praktizierten Vorgangsweise, nach einem Zeckenstich prophylaktisch Antibiotika zu verabreichen, rät Stanek ab. „Sobald jedoch Verdacht auf Lyme-Borreliose besteht, sollte mit der entsprechenden Therapie begonnen werden.“

Europa: mindestens fünf Borrelien-Arten

Während in den USA nur eine Borrelien-Art, nämlich Borrelia burgdorferi sensu stricto, Lyme-Borreliose verursacht, sind es in Europa mindestens fünf Arten, die zu den unterschiedlichen klinischen Manifestationen der Lyme-Borreliose führen können. Die häufigsten Krankheitserreger darunter sind Borrelia afzelii und Borrelia garinii. Übertragen werden sie vor allem durch den gemeinen Holzbock, Ixodes ricinus (in Nordosteuropa auch durch Ixodes persulcatus), der die Erreger über das Blut von Wirtstieren aufnimmt und bis zur nächsten Blutmahlzeit in seinem Darm trägt. Beim Zeckenstich sucht die Zecke eine geeignete Hautstelle, schlitzt die Haut mit den Skalpellartigen Mundwerkzeugen auf und führt den gezahnten Rüssel in die Wunde. Je nach Entwicklungsstadium (Nymphe, adulte Zecke) saugt die Zecke zwei bis neun Tage, bis sie schließlich vollgesogen abfällt. „Die Übertragung der Borrelien geht langsam vor sich, sie dauert etwa 24 Stunden. Je früher die Zecke entdeckt und entfernt wird, desto besser“, betont Stanek. Dies erfolgt am besten durch die Entfernung mit einer geeigneten Pinzette.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2012