Kalzifizierende Tendinopathie: Zuerst abwarten

10.05.2012 | Medizin

Nicht nur der Schmerz ist es, der den Patienten mit kalzifizierender Tendinopathie zu schaffen macht, sondern auch der gestörte Nachtschlaf. Die Indikation zur Operation ist generell zurückhaltend zu stellen, da es immer wieder zu Spontanheilungen kommt.
Von Irene Mlekusch

Intensive, quälende Schmerzen in der Schulter, die überwiegend nachts oder bei Überkopf- und Drehbewegungen auftreten, können der erste Hinweis auf Kalkablagerungen im Schultergelenk sein. Univ. Prof. Veronika Fialka-Moser, Vorstand der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Medizinischen Universität Wien zählt auch eingeschränkte Beweglichkeit zu den typischen Symptomen einer kalzifizierenden Tendinopathie. Einfache Bewegungen wie etwa das Anziehen einer Jacke können bereits zu heftigen Schmerzen führen. Dabei ist es nicht nur der Schmerz, der den Patienten zu schaffen macht, sondern auch der gestörte Nachtschlaf. Priv. Doz. Franz Kralinger, Leiter der Schulterambulanz der Universitätsklinik für Unfallchirurgie an der Medizinischen Universität in Innsbruck, macht darauf aufmerksam, dass die Erkrankung schubweise verläuft und es vor allem in der Akutphase zu einer Sehnenschwellung und Bursitis kommen kann, wodurch in weiterer Folge ein Engpass-Syndrom entsteht. „Wenn der Kalk resorbiert wird oder sich aufbaut, sind die Schmerzen für den Patienten am größten“, erklärt Kralinger.

Die akuten entzündlichen Beschwerden werden durch Calciumhydroxyapatit-Kristalle verursacht, die vorwiegend in der Supraspinatus-Sehne eingelagert sind. Im Bereich der Schulter können aber auch andere Sehnenansätze wie die des M. infraspinatus oder jene des M. subscapularis betroffen sein. Man geht davon aus, dass rund 2,5 Prozent der Bevölkerung Kalkablagerungen in der Schulter haben, aber nicht zwingend darunter leiden müssen. Anlagebedingt sind vor allem diese Sehnen schlecht durchblutet. Durch die spezielle Anatomie des Schultergelenkes kommt es bei kleinen Infarkten gleich zu einer Sauerstoffunterversorgung der Sehnenzellen, die sich in weiterer Folge in Knorpelzellen und schließlich in Kalk umwandeln. „Die Ursache für die Erkrankung ist multifaktoriell“, sagt Kralinger. Die Erkrankung tritt vermehrt im Rahmen von degenerativen Schultererkrankungen, bei Patienten mit Diabetes mellitus, bei Frauen sowie bei Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen auf. Fialka-Moser sieht auch in falschen Bewegungsmustern und Haltungsstörungen eine mögliche Ursache. Des Weiteren könnten Überkopftätigkeiten in Beruf und Freizeitsport wie zum Beispiel Volleyball die Entwicklung einer sogenannten Kalkschulter begünstigen. „Es handelt sich allerdings eindeutig um eine Erkrankung des mittleren Lebensalters“, so Kralinger.

Diagnostisch – sind sich die Experten einig – stehen die klinische Untersuchung,
Röntgen und Ultraschall im Vordergrund. „Mit der Sonographie können Defekte in der Rotorenmanschette besonders gut dargestellt und die Strukturen unter Bewegung abgebildet werden“, weiß Kralinger. Die MR-Tomographie spielt in der Diagnostik der Tendinitis calcarea eine untergeordnete Rolle.

Laut Kralinger kommt ein aufsteigendes Behandlungskonzept mit dem Ziel der Durchblutungsverbesserung zum Einsatz. Vor allem in der ersten Erkrankungsphase können Behandlungen wie Elektro- und Ultraschalltherapie oder Druckpunktmassagen die lokale Durchblutung wieder anregen. Ist der Schmerz allerdings zu stark, muss eine Behandlung mit Analgetika und NSAR weiteren Therapien vorausgehen. Auch der Einsatz von Kryotherapie kann Erleichterung bringen. Ist eine rasche Schmerzlinderung notwendig, um einer längeren Unbeweglichkeit des Schultergelenks vorzubeugen, kann die Infiltration von Kortikosteroiden hilfreich sein. Sobald die Schmerzen nachlassen, kann mit der Bewegungstherapie begonnen werden, die je nach Bedarf mit Elektro- und Ultraschallbehandlungen unterstützt wird.

Beide Experten befürworten die Stoßwellentherapie. Die therapeutischen Vorhersagen über den Erfolg der Lithotripsie sind schwierig. Wird sie ohne örtliche Betäubung durchgeführt, kann die Behandlung schmerzhaft sein. Trotz allem liegt die Erfolgsquote der Stoßwellentherapie bei 30 bis 70 Prozent. Kralinger nennt als weitere therapeutische Maßnahme das Needling unter Ultraschallsicht: „Bei dieser Technik werden bewusst mikroskopisch kleine Verletzungen verursacht, die eine Resorption der Kalkablagerungen fördern sollen.“

Die Indikation zur Operation ist generell zurückhaltend zu stellen, da es immer wieder zu Spontanheilungen kommt. „Die Behandlung der kalzifizierenden Tendinopathie ist langwierig. Trotzdem wird der Patient nie zur Operation gedrängt“, so Kralinger. Erst bei großem Leidensdruck wird die Arthroskopie als therapeutische Option angeboten. Postoperativ ist eine begleitende Bewegungstherapie unerlässlich, um die Mobilität im Schultergelenk wiederherzustellen. Bezüglich der postoperativen Rezidivrate meint Kralinger: „Ein Rezidiv nach dokumentierter, das heißt im Röntgen nach drei Monaten vollständiger Kalkentfernung ist sehr unwahrscheinlich.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2012