Chronisches Schmerzsyndrom: Botox verstärkt Wirkung

25.03.2012 | Medizin

Bei Schmerzen, an denen der Sympathikus beteiligt ist, kann die Sympathikus-Blockade mit Hilfe von Lokalanästhetika, Opioiden oder neurolytischen Substanzen oft viel effektiver sein als Analgetika. In der unteren Extremität kann die Wirksamkeit von Lokalanästhetika durch den Zusatz von Botulinumtoxin A deutlich verlängert werden.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Rund 1,5 Millionen Österreicher über 16 Jahren leiden an einem chronischen Schmerzsyndrom: Sie empfinden Schmerzen, obwohl die eigentlich auslösende ursprüngliche Ursache nicht (mehr) vorhanden ist. Trotz dieser Zahlen ist der Stellenwert von chronischen Schmerzen gering. „Im Zentrum steht nach wie vor der Akutschmerz. Die Auftrittshäufigkeit chronischer Schmerzsyndrome wird weit unterschätzt, da sie als Krankheit in keiner regulären Statistik aufgeführt sind“, sagte Univ. Prof. Hans Georg Kress, Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien und Präsident des Dachverbandes der Europäischen Schmerzgesellschaften (EFIC) anlässlich einer Pressekonferenz zum 16. Internationalen Wiener Schmerzsymposium.

Trotz des hohen Gesundheits-ökonomischen und sozialen Impacts von chronischen Schmerzen – laut Kress viel höher als etwa bei kardiovaskulären Erkrankungen – sei in der Politik und bei den Entscheidungsträgern aus dem Gesundheitswesen kaum ein Bewusstsein für Schmerzpatienten vorhanden. „Personelle und finanzielle Ressourcen für Forschung und Behandlungsmethoden sind lange nicht so verfügbar wie für andere Erkrankungen, die deutlich seltener auftreten. Wie müssen uns an internationalen Vorbildern orientieren, die schon einen Schritt weiter sind“, so Kress. In den USA gibt es Schmerzmedizin etwa als Sonderfach, ebenso in Deutschland. In der Türkei wird seit mehr als einem Jahr sogar ein eigener Zusatz-Facharzt in Algologie angeboten. Hierzulande kann eine Spezialisierung mit dem ÖÄK-Diplom „Spezielle Schmerztherapie“ nachgewiesen werden.

Viele der Verfahren, die in den vergangenen Jahren für die Behandlung von chronischen Schmerzsyndromen entstanden sind, können und sollten aber nur von spezialisierten Schmerztherapeuten mit entsprechender Expertise korrekt ausgeführt und technisch gut dokumentiert werden. Ein solches aufgrund der möglichen Komplikationen sehr schwieriges, aber wirksames Verfahren ist die Blockade des lumbalen Sympathikus. Kress: „Chronische Schmerzen können unterteilt werden in Schmerzen, bei denen der Sympathikus nicht involviert ist und solche mit offensichtlicher Sympathikus-Beteiligung, dem sogenannten sympathisch unterhaltenen Schmerz. Das sind chronische Schmerzzustände, die von einer Überaktivität des sympathischen Nervensystems begleitet sind.“ Der sympathisch unterhaltene Schmerz tritt etwa beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CPRS) in Armen und Beinen – früher auch als Morbus Sudeck bezeichnet -, bei Gürtelrose, Phantomschmerzen, bestimmten Gesichtsschmerzen im Innervationsareal des Trigeminus oder der Ischämie-Schmerz bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit auf.

Die Methode der Sympathikus-Blockade ist minimal-invasiv und kann zur Diagnose eingesetzt werden: Reagiert jemand bei Blockade der Sympathikus-Ganglien mit einer lang anhaltenden Schmerzerleichterung, liegt ein sympathisch unterhaltener Schmerz zugrunde. Viel wichtiger ist aber ihre Therapiewirkung, die oft effektiver ist als die übliche, relativ stark dosierte pharmakologische Analgetika-Gabe. Die Blockade erfolgt durch Injektion von Lokalanästhetika, Opioiden oder neurolytischen Substanzen unter Röntgen- oder CT-Kontrolle oder durch Hitzeläsion. „Lokalanästhetika wirken oft nur wenige Stunden. War die Blockade vorübergehend erfolgreich, kann eine dauerhafte Blockade entweder durch neurolytische Substanzen, welche die Nerven denaturieren, oder durch ein Thermoläsionsverfahren durchgeführt werden“, sagte Kress.

Botox verlängert Wirkung

Besonders dann, wenn die unteren Extremitäten betroffen sind, ist die Sympathikus-Blockade im Bereich der Lendenwirbelsäule wirksam: Der Patient erfährt eine deutliche Schmerzlinderung oder ist sogar schmerzfrei. Neue Untersuchungen, die kürzlich beim 16. Internationalen Wiener Schmerzsymposium vorgestellt wurden, zeigen eine deutliche Verlängerung der Wirksamkeit von Lokalanästhetika durch Zusatz von Botulinumtoxin A. In einer aktuellen Studie konnte durch die lumbale Sympathikus-Blockade mit einer Kombination von Botulinumtoxin A und Bupivacain bei Therapie-refraktären CPRS-Patienten eine mittlere Dauer der Schmerzfreiheit von 71 Tagen erreicht werden. Unter der Standard-Blockade mit Bupivacain allein hält die Wirkung weniger als zehn Tage an. Der genaue Wirkungsmechanismus dieser Verlängerung ist noch unklar. „Bei der Sympathikus-Blockade bewegt man sich in einem sehr sensiblen Bereich. Wird die Technik nicht richtig ausgeführt, kann das zu Komplikationen führen. Das Verfahren ist deshalb ein gutes Beispiel für die große Bedeutung von Qualitätssicherung in der Schmerztherapie“, betonte Kress.

Nicht immer wirken Schmerztherapien bei Patienten gleich: So subjektiv das individuelle Schmerzempfinden ist, so unterschiedlich ist auch die Wirksamkeit der Behandlungsmethoden. Ursache dafür ist häufig die Variationsbreite des menschlichen Genoms, die in der Schmerztherapie künftig eine große Rolle spielen soll. „Es gibt circa 400 bis 500 bekannte Gene, die am Schmerzempfinden beteiligt sind; auch Mutationen dieser Gene, die eigentlich bei jedem Menschen auftreten, haben einen Einfluss. Die Tatsache, dass wir diese Mechanismen immer besser verstehen, eröffnet erstmals die Perspektive, in Zukunft für die unterschiedlichen Genotypen maßgeschneiderte Therapien und Präventionsprogramme zur Verfügung zu haben“, sagte Prof. Jörn Lötsch vom Institut für Klinische Pharmakologie/Klinikum und Fachbereich Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main. Die Erkenntnisse zur genetischen Disposition werden vor allem bei den Patienten untersucht, die aufgrund von Erbkrankheiten gar keine Schmerzen empfinden. Lötsch: „Jene Gene, die den Schmerz ausschalten, geben essentiellen Aufschluss darüber, was wir in der Schmerztherapie anvisieren sollten. Derzeit gibt es aber noch nicht genug verschiedene Analgetika, um entsprechend der Genotyp-Bestimmung gezielt zu behandeln. Innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre wird sich das jedoch ändern.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2012