Ärz­te­tage Vel­den 2012: Pati­ent Cyber-Besserwisser

15.07.2012 | Medizin

Neben dem Abhän­gi­gen, dem For­de­rer, dem Ableh­ner und dem Selbst­de­struk­ti­ven gibt es auch einen rela­tiv neuen Pati­en­ten­ty­pus: Jener, der bereits mit einer selbst gestell­ten Dia­gnose zum Arzt kommt. Gezielte Tech­ni­ken, die den Umgang mit schwie­ri­gen Pati­en­ten erleich­tern, kön­nen bei den 15. Ärz­te­ta­gen in Vel­den Ende August erlernt wer­den.
Von Verena Ulrich

Univ. Prof. Ulrike Wil­lin­ger von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Neu­ro­psy­cho­lo­gie Wien wird sich bei den 15. Ärz­te­ta­gen in Vel­den Ende August dem Umgang mit her­aus­for­dern­den Pati­en­ten wid­men. Die Exper­tin wird spe­zi­fi­sche Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten bezie­hungs­weise Per­sön­lich­keits­stö­run­gen von Pati­en­ten prä­sen­tie­ren und gezielte Tech­ni­ken für die erfolg­rei­che Betreu­ung vorstellen.

Zunächst wird ana­ly­siert, um wel­che Art von schwie­ri­gen Pati­en­ten es sich han­delt, da sich die Ver­hal­tens­mus­ter oft wie­der­ho­len. In der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur der Psy­cho­the­ra­pie wer­den schwie­rige Pati­en­ten nach Gro­ves wie folgt typi­siert: der Abhän­gige, der For­de­rer, der Ableh­ner, der Selbstdestruktive.

Der abhän­gige Pati­ent hat einen unstill­ba­ren Hun­ger nach Auf­merk­sam­keit. Er hört nicht auf zu reden und schüt­tet dem Arzt sein Herz aus. Man­che die­ser Pati­en­ten haben in ihrem sozia­len Umfeld keine Ansprech­part­ner, andere haben psy­chi­sche Pro­bleme. Hin­ter die­sem Ver­hal­ten ste­hen oft lebens­ge­schicht­lich begrün­dete Ver­nach­läs­si­gungs- und Trennungsängste.

Bei den For­de­rern han­delt es sich um Pati­en­ten, die ihrer Mei­nung nach nicht jene Auf­merk­sam­keit für ihre Krank­heit erhal­ten, die sie ihr selbst bei­mes­sen. Das reicht sogar soweit, dass etwa Rech­nun­gen nicht bezahlt wer­den oder ver­sucht wird, mit juris­ti­schen Mit­teln Druck aus­zu­üben. Diese Pati­en­ten lei­den meist an einem Man­gel an Selbstwertgefühl.

Die Ableh­ner besu­chen die Pra­xis immer wie­der mit neuen Sym­pto­men und neuen Krank­hei­ten. Die­ses Ver­hal­ten ist nicht immer unter den Begriff „Hypo­chon­drie“ zu sub­su­mie­ren, weil die Pati­en­ten auch vom Arzt abhän­gig sein kön­nen und Angst haben, die Bezie­hung zu ihm zu ver­lie­ren. Hin­ter­grund die­ser Ver­hal­tens­weise ist eine starke inner­li­che Ver­bin­dung des Pati­en­ten zum Arzt. Bio­gra­phisch ent­springt diese Stö­rung oft einem häu­fi­gen Wech­sel von Bezugs­per­so­nen und der dar­aus resul­tie­ren­den Angst, ver­las­sen zu werden.

Die selbst­de­struk­ti­ven Kran­ken sehen in der Selbst­zer­stö­rung den ein­zi­gen Weg zur Selbst­be­haup­tung. Häu­fig han­delt es sich um Men­schen, die in der Kind­heit miss­han­delt wur­den. Oft zei­gen sie selbst aggres­si­ves Ver­hal­ten oder pro­vo­zie­ren den Arzt so weit, dass es zu unan­ge­mes­se­nen Reak­tio­nen kommt. In sol­chen Fäl­len wäre eine psych­ia­tri­sche Behand­lung indiziert.

Ein rela­tiv neuer Pati­en­ten­ty­pus, über den viele Ärzte kla­gen, ist jener, der sich bereits selbst dia­gnos­ti­ziert hat. Diese Pati­en­ten schla­gen ihre Sym­ptome in diver­sen Such­ma­schi­nen im Inter­net nach und kom­men schon mit kon­kre­ten Behand­lungs­wün­schen zum Arzt. Der Pati­ent glaubt, bes­ser über seine Krank­heit Bescheid zu wis­sen als der Arzt und lässt sich nur schwer vom Gegen­teil über­zeu­gen. In die­sem Fall ist viel Geduld und Diplo­ma­tie gefragt. Bes­ser­wis­se­rei geht oft ein­her mit man­geln­dem Selbst­wert­ge­fühl, das nur durch Hin­hö­ren und Bestä­ti­gen auf­ge­wer­tet wer­den kann. Nur mit Tole­ranz, Gelas­sen­heit und Ver­ständ­nis kann der Arzt mit sei­nen Argu­men­ten durch­drin­gen. Mit For­mu­lie­run­gen wie „gut, dass Sie sich schon erkun­digt haben, aber …“ erhält der Pati­ent im ers­ten Satz­teil Recht und der Arzt hat im zwei­ten Satz­teil die Mög­lich­keit, die Tat­sa­chen zu erklären.

Für den Umgang mit dem schwie­ri­gen Pati­en­ten kann es auch hilf­reich sein, im Gespräch zu ver­su­chen, die Ursa­chen von bestimm­ten Ver­hal­tens­wei­sen zu klä­ren. Oft hat der Pati­ent im Laufe sei­ner Kran­ken­ge­schichte schon schlechte Erfah­run­gen gemacht oder ist auf­grund von einer chro­ni­schen Erkran­kung und lan­gen Spi­tals­auf­ent­hal­ten bereits frus­triert. Es muss auch immer hin­ter­fragt wer­den, ob sich hin­ter dem Sta­tus des schwie­ri­gen Pati­en­ten andere Stö­run­gen und Krank­heits­bil­der wie depres­sive Ver­stim­mungs­zu­stände oder Dro­gen- und Alko­hol­ab­hän­gig­keit ver­ber­gen. In die­sem Fall sollte der Arzt eine beglei­tende psy­chi­sche The­ra­pie anordnen.

Stra­te­gien für den rich­ti­gen Umgang

Gezielte Ver­än­de­run­gen im Ver­hal­ten und in der Kom­mu­ni­ka­tion kön­nen dazu bei­tra­gen, mit schwie­ri­gen Pati­en­ten bes­ser umge­hen zu kön­nen. Ganz gene­rell ist es wich­tig, dem Pati­en­ten gegen­über eine pro­fes­sio­nelle Grund­hal­tung ein­zu­neh­men und emo­tio­nale Distanz zu schaf­fen. Ein mög­lichst wert­freies Ver­hal­ten ist nötig, um eine neu­trale Gesprächs­ba­sis zu schaf­fen. Bewährte Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­ken wie gedul­di­ges Zuhö­ren, einen zeit­li­chen Rah­men für die Behand­lung set­zen, Miss­ver­ständ­nisse durch Nach­fra­gen ver­mei­den, Ein­be­zie­hen des Pati­en­ten in Ent­schei­dungs­pro­zesse und direk­tes Anspre­chen von Schwie­rig­kei­ten kön­nen hel­fen, Pro­bleme von Beginn an zu ver­mei­den. Gege­be­nen­falls muss das gesamte Ordi­na­ti­ons­team ein­be­zo­gen und geschult wer­den. Es kann hier­bei durch­aus sinn­voll sein, einen gemein­sa­men Gesprächs­leit­fa­den zu entwickeln.

Soll­ten sich die Pro­bleme nicht lösen las­sen, ist es sinn­voll, den Arzt­wech­sel aktiv anzu­spre­chen. Pati­en­ten schät­zen es, wenn Ärzte ihre Gren­zen ken­nen und es ist nie aus­ge­schlos­sen, dass die schwie­rige Bezie­hung auf per­sön­li­cher Dis­har­mo­nie basiert.

15. Ärz­te­tage in Velden

Datum: 26.8. bis 1.9.2012
Nähere Infor­ma­tio­nen und Anmel­dung unter www.arztakademie.at/velden

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2012