23. Grazer Fortbildungstage: Depression: Viel zu oft unerkannt

25.09.2012 | Medizin


Depression: Viel zu oft verkannt

Anstelle der Diagnose „ Depression“ geben viele Betroffene oft an, ein Burnout zu
haben – es wird versucht, etwas Anderes verantwortlich zu machen als den Feind im eigenen Körper. Jede zweite Depression wird nicht entdeckt; die Ursachen dafür sind vielfältig, erfährt man in einem Vortrag bei den diesjährigen Grazer Fortbildungstagen
Anfang Oktober.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Die Depression gilt in den Industriestaaten mittlerweile als Volkskrankheit Nummer 1. Zwar gibt es keine genauen Zahlen; Schätzungen zufolge sind aber circa fünf Prozent der Bevölkerung akut betroffen. Etwa jeder Fünfte wird einmal im Laufe seines Lebens depressiv. Trotz massiver Beeinträchtigungen der Lebensqualität bis hin zu Suizidalität bleibt jede zweite klinische Depression unerkannt. Häufige Ursache ist die Angst der Patienten vor einer psychiatrischen Diagnose, die sich auf die Bereitschaft, einen Arzt aufzusuchen, auswirkt.

Nach wie vor haftet psychischen Erkrankungen ein negatives Stigma an. Bei ärztlichen Untersuchungen werden daher meist nur die körperlichen Zeichen der Depression präsentiert. Symptome, die mit einer psychischen Erkrankung assoziiert sind, wie Niedergeschlagenheit, Interesselosigkeit oder Libido- und Sexualstörungen werden hingegen nicht erwähnt. „Die meisten Menschen kommen mit Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen. Erst an vierter oder fünfter Stelle werden vielleicht Schlafstörungen genannt. Damit ist oft die Chance vertan, dass auch an andere als körperliche Ursachen gedacht wird“, sagt Univ. Doz. Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Wien; sie befasst sich bei den diesjährigen Grazer Fortbildungstagen im Rahmen eines Vortrags mit diesem Thema. Die von den Patienten geschilderten Beschwerden werden meist symptomatisch behandelt, die zugrundeliegende Depression bleibt hingegen unentdeckt. Schmitz: „Häufiges Problem ist, dass selbst wenn man aktiv fragt, falsche Antworten gegeben werden können. Bei jeder Krankheit sollte aber eine mögliche psychische Ursache bedacht werden.“

Schwierig ist das Erkennen auch dann, wenn die Depression eine somatische Erkrankung begleitet. Körperliche Erkrankungen und Depressionen gehen häufig Hand in Hand; besonders bei fehlgelaufener Krankheitsbewältigung oder sehr schweren Erkrankungen kann es zum typischen „Gefühl der Leere“ kommen. Aufgrund der starken körperlichen Symptome tritt es aber in den Hintergrund. Gut bekannt ist das mögliche Auftreten von Depressionen hingegen bei Tumorpatienten, bei denen Depressionen durch eine erhöhte Sensibilität kaum mehr übersehen werden.

Burnout: höhere Akzeptanz

Eine entscheidende Rolle für das Erkennen der Depression spielt das soziale Umfeld. Ratschläge bei Krisen oder andauernder Traurigkeit wie „Da muss man durch“ oder „Reiß‘ dich zusammen“ verstärken bei den Betroffenen das Gefühl, psychische Symptome dem Arzt gegenüber nicht zu erwähnen. Statt eine Depression in Betracht zu ziehen, werden vor allem gegenüber Freunden und Bekannten gesellschaftlich akzeptierte Diagnosen – allen voran das Burnout-Syndrom – als Grund für die eigene Befindlichkeit genannt. „Man spricht im Moment vor allem deshalb ständig von Burnout, weil es einfacher ist, den Arbeitgeber als Problem zu sehen als die eigene Schwäche oder Persönlichkeit. Letztlich wird versucht, etwas Anderes verantwortlich zu machen als den Feind im eigenen Körper“, erklärt Schmitz. Speziell Männer bevorzugen Burnout als Label für ihre Symptome – ihnen fällt es im Vergleich zu Frauen deutlich schwerer, sich psychische Probleme einzugestehen.

Neben Schamgefühl und Angst kann aber auch Unkenntnis die Ursache dafür sein, dass Patienten dem Arzt nichts über ihre Gemütsveränderungen erzählen. „Vor allem bildungsferne Schichten kennen das Prinzip der Depression nicht immer. Sie wissen gar nicht, dass ihre Symptome Teil eines Krankheitsbildes sind und interpretieren die Depression als starke Stimmungsschwankung“, berichtet Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker, Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie und Sozialpsychiatrie Innsbruck. Fleischhacker sieht die Gründe für die unerkannte Depression nicht nur in der mangelhaften Akzeptanz, sondern auch in einer fehlerhaften Diagnostik. „Sehr viele praktische Ärzte, Internisten und Gynäkologen, die häufig mit depressiven Patienten zu tun haben, können gut damit umgehen und erkennen Hinweise. Das hängt aber sehr von der Ausbildung ab“, so Fleischhacker. Diagnostische Fehler können aber auch in die andere Richtung passieren, sodass zwar die Depression erkannt wird, aber gleichzeitig auftretende sematische Krankheiten nicht festgestellt werden. Fleischhacker: „Ein typisches Beispiel ist Diabetes, der oft gemeinsam mit Depression auftritt. Wird eine Depression diagnostiziert, wird kaum daran gedacht, den Blutzuckerspiegel zu messen.“

Chronifizierung bis hin zum Suizid

Schon wenige gezielte und einfache Fragen in der Anamnese helfen, Hinweise auf eine Depression zu erkennen, etwa „Haben Sie das Gefühl, Ihr Leben sei leer?“ oder „Fühlen Sie sich hilflos?“. Gefragt werden sollte beispielsweise auch, ob sich die Stimmung des Patienten in den vergangenen Wochen verändert hat, ob er weniger Lebensfreude hat und ob er tendenziell schlechter aufgelegt ist. Spezielle Depressions-Screenings unterstützen die Grobdiagnostik. Die Patienten selbst können etwa mit dem WHO-Fünf-Fragebogen zum Wohlbefinden schon mit fünf einfachen Fragen eine erste Selbsteinschätzung treffen. Darin wird vom Patienten angekreuzt, wie oft er in den letzten beiden Wochen „froh und guter Laune“, „ruhig und entspannt“, „aktiv und voller Energie“, „beim Aufwachen frisch und ausgeruht“ und wie oft „der Alltag voller interessanter Dinge“ war. Je häufiger die beschriebenen Gefühle zutreffen, desto höher ist die Punktzahl, unter einer Punktzahl von 13 wird ein Arztgespräch empfohlen.

Bleibt die Depression unerkannt, kann es zu Chronifizierung bis hin zum Suizid kommen. „Parallel dazu sind die Betroffenen zahlreichen Untersuchungen unterworfen, da versucht wird, die Ursache ihrer häufig unspezifischen Beschwerden festzustellen. Das kann zu Sekundärkomplikationen aus Untersuchungen sowie zu Fehlbehandlungen führen“, erklärt Fleischhacker. Wird etwa die Schmerzsymptomatik mit Analgetika behandelt, kann neben Nebenwirkungen wie Gastritis auch eine Analgetika-Abhängigkeit auftreten. Nicht zu vernachlässigen sind die Leidenszustände der Betroffenen, die oft in Arbeitsunfähigkeit münden. „Die meisten Frühpensionen entstehen durch Depressionen. In vielen Fällen könnte man im Vorfeld viel rascher und besser unterstützen, wenn die Depression früher erkannt wird“, resümiert Schmitz.

Details zum Kongress

23. Grazer Fortbildungstage;
veranstaltet von der Ärztekammer für Steiermark

8. bis 13. Oktober 2012
www.grazerfortbildungstage.at

Informationen und Anmeldung:
Ärztekammer für Steiermark
E-Mail: fortbildung@aekstmk.or.at
Tel.: 0316/8044-37/-32/-33