Medizinische Versorgung auf einem Flugzeugträge: Für alle Fälle gerüstet

10.02.2011 | Service

Ein Flugzeugträger ist eine Kleinstadt auf See mit strengen Sicherheitsvorschriften und Verhaltensregeln, wahrscheinlich auch einer der sichersten Plätze der Welt mit hervorragender medizinischer Betreuung, wie ein Erlebnisbericht auf der USS Harry S. Truman, einem Flugzeugträger der US-Navy, zeigt.
Von Alfred Wand*

Die USS Harry S. Truman (CVN 75) ist der neunte von derzeit elf durch Kernkraft angetriebenen Flugzeugträgern der US-Navy. Zwei Kernreaktoren können das 100.000 Tonnen schwere Schiff auf mehr als 30 Knoten (entspricht etwa 55 km/h) beschleunigen. Um sich die Dimension eines derartigen Schiffes vorstellen zu können: Die Länge beträgt 335 Meter, die größte Breite des Flugdeckes 78 Meter. Vier Schiffsschrauben liefern eine Wasserverdrängung von 97.000 Tonnen. Die Höhe des Schiffes von der Wasserlinie nach oben erstreckt sich über 20 Stockwerke. Täglich werden ungefähr 18.000 Mahlzeiten für die rund 5.000 Menschen an Bord – davon sind 25 Prozent Frauen – serviert.

Der Heimathafen der USS Harry S. Truman ist Norfolk/Virginia. Das Schiff wurde 1993 vom Stapel gelassen und am 25. Juli 1998 in Betrieb genommen. Mehr als 80 Kampfflugzeuge und Hubschrauber an Bord sind das Kernstück des Nuklearträgers und als sogenannte Speerspitze der US-Navy zu sehen. Aufgrund des Nuklearantriebes beträgt die theoretische Einsatzdauer des Schiffes mehr als zehn Jahre. Aber ungefähr alle sechs Monate läuft der Träger seinen Heimathafen an, um die Schiffsmannschaft beziehungsweise Flugzeugbesatzungen auszutauschen. Abgesehen von erforderlichen Nahrungsmitteln und Flugzeugtreibstoff arbeitet der Flugzeugträger vollständig unabhängig von der Außenwelt.

Seit Juli 2010 befindet sich die USS Harry S. Truman im Einsatz im Indischen Ozean beziehungsweise im Persischen Golf. Ihre Hauptaufgaben sind die Luftraumüberwachung von Krisenregionen wie etwa Afghanistan ebenso wie die Beobachtung und Bekämpfung der Piraterie vor Ostafrika. Begleitet und unterstützt wird der Flugzeugträger von vier Kampfschiffen der US-Navy sowie von einem Atom-U-Boot der US-Navy.

Fliegen einmal anders

Der Autor dieses Beitrags hatte die Möglichkeit, mit einem Versorgungsflugzeug vom Typ C 2 Greyhound der US-Navy an Bord der USS Harry S. Truman zu gelangen und einige Tage den Betrieb und Ablauf beobachten zu können. Sehr eindrucksvoll war schon zu Beginn der dreistündige Flug mit der Transportmaschine vom Marinestützpunkt in Bahrain (Fliegen im wahrsten Sinne des Wortes! Eingeklemmt im dunklen Bauch des Flugzeuges zwischen Frachtpaletten und Marinepersonal, ausgestattet mit Schwimmweste und „Survival kit“ für den Fall eines Absturzes …) mit anschließender Landung auf dem Träger (Abbremsen des Flugzeuges von 290 km/h in drei Sekunden durch ein Seil, das durch einen am Heck ausgeklappten Haken getroffen werden musste; dies gelang auch beim zweiten Durchgang nach einmaligem Durchstarten …).

Die Begrüßung an Bord der USS Harry S. Truman war herzlich. Besonders hervorzuheben ist die Freundlichkeit und Professionalität der Besatzung, welche auf sämtliche Fragen ausreichende Antworten lieferte und auch eine Besichtigung praktisch des gesamten Flugzeugträgers ermöglichte – einschließlich des Flugbetriebes an Bord sowie Katapultstarts und Hakenlandungen. Sowohl der kommandierende Admiral als auch verschiedene Flugzeugstaffelkapitäne standen bereitwillig für Fragen zur Verfügung.

5.000 Personen Besatzung

Auffällig war sicherlich das jugendliche Alter der Schiffsbesatzung und der Flugzeugbesatzungen (zwischen 20 und 30 Jahren), aber auch der relativ hohe Anteil an weiblichem Personal (etwa 25 Prozent; einschließlich Pilotinnen von Kampfjets). Bei mehr als 5.000 Mann (und Frau) Besatzung, die auf relativ engem Raum lebt und arbeitet, ist es auch naheliegend, dass medizinische und zwischenmenschliche Probleme entstehen. Daher war es natürlich interessant, wie damit umgegangen wird.

An Bord der USS Harry S. Truman befindet sich eine medizinische Versorgungseinheit – man kann von einem Krankenhaus sprechen, das der Autor besichtigen durfte. Der diesbezüglich leitende Offizier Dr. Wells (ein ausgebildeter Facharzt für Innere Medizin) führte den Autor durch diese Station und erörterte den Ablauf ebendort. Das ärztliche Personal der US-Navy trägt zur Erkennung nicht eine Äskulapnatter an der Uniform, sondern deren Zeichen stellt ein Eichenblatt mit einem Samenkorn dar: in goldener Farbe auf der blauen Uniform der US-Navy. Sämtliche Ärzte an Bord haben sich verpflichtet, für eine bestimmte Zeit bei der US-Navy zu arbeiten; davon teilweise auf See, teilweise an Land in Marinekrankenhäusern. An Bord der USS Harry S. Truman finden sich Fachärzte für Chirurgie (Allgemein-, Unfall- und Dentalchirurgie), Innere Medizin und Psychiatrie aber auch Allgemeinmediziner. Diese sind zusammen mit medizinischem Fachpersonal für die Versorgung von allen gesundheitlichen Problemen an Bord zuständig. An erster Stelle stehen dabei Verletzungen – angefangen von einfachen Blessuren bis zu Knochenfrakturen; gefolgt von Infekten – besonders der oberen Atemwege oder Gastroenteritiden – sowie psychischen Alterationen – Depressionen und der sogenannte Lagerkoller wegen der Isolation an Bord und der Trennung von Familie und Heimat.

Zahnbehandlungen werden ebenso wie Appendektomien, Hernienoperationen und die operative Versorgung von Knochenfrakturen an Bord durchgeführt. Nur in sehr schweren Fällen, die nicht auf See behandelt werden können, wird der Betroffene mit einem Hubschrauber oder einer C 2 Greyhound auf einen Stützpunkt an Land geflogen. Täglich werden rund 50 bis 60 Patienten ambulant versorgt. Stationär können ebenso etwa 50 Patienten behandelt werden; auch eine Isolierstation für ansteckende Krankheiten ist vorhanden. Man kann sagen, dass an Bord die medizinische Ausstattung eines typischen österreichischen Landeskrankenhauses vorliegt – einschließlich Röntgenabteilung und Labor.

Während eines halbjährigen Einsatzes eines Flugzeugträgers auf See erfolgen etwa 10.000 ambulante beziehungsweise stationäre Behandlungen, 24.000 Medikamenten- verschreibungen, 30.000 Laboruntersuchungen und 310 chirurgische Eingriffe. Nur rund 30 bis 50 Patienten müssen auf Grund der Schwere der Erkrankung oder Verletzung an Land transportiert werden. An Bord ist die Einhaltung von strikter Hygiene erforderlich – wie etwa die Händedesinfektion im Speisesaal – und es gilt ein absolutes Alkoholverbot.

Überwältigt von den Eindrücken auf See, gestaltete sich auch noch die Abreise spektakulär: mit einer C 2 Greyhound-Transportmaschine in einem Katapultstart mit einer Beschleunigung von 0 auf 300 km/h in drei Sekunden …

*) Dr. Alfred Wand ist Facharzt für Dermatologie in Wr. Neustadt; E-Mail: alfred@wand.cc

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2011