ÄKVÖ Medikamente und Suchtgifte im Straßenverkehr: Gefährlicher Mix

25.05.2011 | Service



Rund 70 Prozent derjenigen, die sich in Substitutionsbehandlung befinden, halten sich nicht an das vorgeschriebene ärztliche Regime. Inwieweit Fahrzeuglenker unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss in der Lage sind, ein Fahrzeug zu lenken, war Hauptthema eines Symposiums der ÄKVÖ.

Von Raimund Saam*

Ein Prozent der Bevölkerung ist opiatabhängig, aber immerhin 11.000 Süchtige stehen unter Substitutionstherapie. Es ist anzunehmen, dass viele dennoch zumindest zeitweise ein Kraftfahrzeug lenken. Gefährlich wird es dann, wenn sich die Patienten nicht an das vorgegebene Therapieschema halten und zusätzliche Suchtgift-Medikamente eingenommen werden.

Der Chefarzt des Roten Kreuzes, Leonidas Lemonis, der ein großes Drogenrehabilitationszentrum leitet, konnte nachweisen, dass Patienten nach einem einjährigen stationären Aufenthalt und Drogenfreiheit selbst und für das Therapiezentrum rund 660.000 Kilometer unfallfrei gefahren sind.

Univ. Prof. Ilsemarie Kurzthaler von der Neurologischen Universitätsklinik in Innsbruck stellte in einer Studie fest, dass Cannabis dosisabhängig zu verschiedenen psychischen Veränderungen führen kann: Bei 7mg kommt es zu einer deutlichen Wahrnehmungsstörung, bei 14mg zu Verwirrtheit. Im Unterschied zum Alkohol werden erlernte Aufgaben vergessen; die Kritikfähigkeit bleibt erhalten. Es tritt ein sogenanntes Demotivationssyndrom („Wurschtigkeits-Standpunkt“) ein, der in Konfliktsituationen die Unfallgefahr deutlich erhöhen kann. Besonders das Mischen mit anderen Substanzen wie Alkohol oder Benzodiazepinen ist sehr gefährlich und erhöht die Unfallhäufigkeit um mehr als das Dreifache als bei reinem Alkoholgenuss.

Frau Univ. Prof. Gabriele Fischer von der Universitätsklinik für Psychiatrie am AKH Wien konnte in Studien beweisen, dass Patienten mit illegalem Drogenkonsum eine deutliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit aufweisen. Insbesondere kommt es zu einer deutlichen Verlängerung der Reaktionsfähigkeit. Werden jedoch Patienten mit einer gleichbleibenden Erhaltungstherapie mit Methadon und Buprenorphin (Substitutionstherapie) ohne Zusatzkonsum getestet, findet man kaum Unterschiede zu gesunden Testpersonen. Jedoch kommt es immer wieder vor, dass unter einer Substitutionstherapie eine Begleitdroge eingenommen wird, wobei insbesondere Benzodiazepine die Fahrtüchtigkeit drastisch beeinträchtigen.

Karl Wohak von der Schmerztherapiestation am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien wies eindringlich darauf hin, wie schwierig die Situation auch im Bereich der Schmerztherapie ist. Die größte Problematik liegt darin, dass eine Unsumme von Zusatzmedikamenten (OTC-Präparate, Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel etc.) eingenommen wird. Auch bei homöopathischen Medikamenten handelt es sich um alkoholhältige Zubereitungen, die dann mit der anderen Medikation einen wesentlichen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit haben.

In Österreich gilt für Opioid-Patienten folgender Konsensus: Sowohl der Arzt als auch der Patient müssen der Überzeugung sein, dass es möglich ist, ein Fahrzeug zu lenken; das muss auch ständig wieder neu überprüft werden und der Patient muss auch jedes Mal, wenn er sich hinter das Steuer setzt, sich selbst hinterfragen, ob er zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht zu müde ist, einen Infekt hat oder durch irgendeine sonstige Erkrankung beeinträchtig ist. Wichtig ist deshalb die ausdrückliche Aufklärung des Patienten durch den Arzt, eine genaue Dokumentation, Fahrtests oder verkehrspsychologische Testungen. Weiters wäre es wünschenswert, dass die Industrie jene Medikamente kennzeichnet, die die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen.

Laut einer Statistik des Bundesministeriums für Inneres wurden im Jahr 2010 insgesamt 1.094 Drogenlenker gefasst; um 16 Prozent mehr als 2009. Dem gegenüber stehen jedoch rund 40.000 Alkolenker, wobei sich darunter aber auch Fahrer befinden, die eine Mischung aus Drogen und Alkohol konsumiert haben.

Kritisch bemerken Polizeichefarzt Reinhard Fous sowie Polizeijuristin Nedbal-Bures, dass der Gesetzgeber bei klinischen Untersuchungen keine Angaben über den Umfang und deren Inhalt vorgibt. Dennoch sind diese Ergebnisse Ausschlag gebend dafür, ob der Führerschein oder Mopedausweis entzogen werden kann. Die Polizei benötigt unbedingt ein Testverfahren, das das Erkennen von Symptomen einer Suchtgiftbehandlung erleichtert.

Rechtlich sind die Folgen nach Drogenkonsum auf keinen Fall eindeutig, wie ÖAMTC-Jurist Martin Hoffer betont. Sein Forderungskatalog umfasst mehrere Dinge. Bei der Verschreibung von Medikamenten sollten Ärzte und Apotheker dazu verpflichtet werden, die negative Auswirkung auf die Fahrtüchtigkeit dem Patienten mitzuteilen. Entsprechende Warnhinweise sollte es auf den Packungen geben. Kommen Drogen als Medikamente zum Einsatz (zum Beispiel in der Schmerztherapie), sollte im Rahmen eines Unfalls eine genaue Dokumentation vorliegen, damit dem Fahrer keine Sanktionen wegen unerlaubten Fahrens unter Drogeneinfluss drohen.


*) Prof. MR Dr. Raimund Saam ist Pressereferent der ÄKVÖ

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2011