US-Gesundheitswesen: Rückenwind für Abtreibungsgegner

10.06.2011 | Politik

Schwangerschaftsabbrüche sind in den USA seit Jahrzehnten ein Reizthema. Auch derzeit erhitzen sich die Gemüter: Die erstarkten Republikaner wollen das Leben der Ungeborenen strenger schützen und scheuen dabei auch vor drastischen Methoden nicht zurück.
Von Nora Schmitt-Sausen

Die Stimme der jungen Frau überschlägt sich fast: „Stop abortion now“, schreit sie mit schriller Stimme. „Stop abortion now.” Dazu schwenkt sie ein Schild durch die Luft auf dem steht: „Babies have no choice“. Szenen wie diese sind exemplarisch. Sie gehören seit Jahren zum gesellschaftlichen Leben in den USA. Vehemente Abtreibungsgegner verschaffen sich vor Kliniken, Gerichten oder am Regierungssitz in Washington lautstark Gehör. Auch aktuell kochen die Wogen wieder hoch. Die Republikaner nutzen ihre wieder gewonnene politische Stärke, um die Abtreibungsdebatte neu anzufachen. Für sie ist der Schutz des ungeborenen Lebens oberstes Gebot. Demokraten unterstützen dagegen mehrheitlich das Recht der Mutter auf Entscheidungsfreiheit. So auch Präsident Barack Obama. Doch das Klima für drakonische Gesetze gegen Abtreibungen ist in diesem Jahr so gut wie selten zuvor.

Seit der Wahl im vergangenen Herbst sitzen im Repräsentantenhaus, einer von zwei Kammern des amerikanischen Kongresses, mehr Abtreibungsgegner als in den vergangenen Jahren. An ihrer Spitze steht ein prominenter Kopf: John Boehner, der einflussreiche Sprecher des Hauses. Er ist ein ausgewiesener Vertreter des sogenannten „ProLife“-Lagers. Boehner stimmte für jedes Anti-Abtreibungsgesetz, das in den vergangenen Jahren auf den Tisch kam. Der 61-Jährige ist Aktivist in Anti-Abtreibungsbewegungen, dekoriert mit Auszeichnungen von Organisationen, die teils radikal für das ungeborene Leben kämpfen. „Ich habe immer geglaubt, dass Leben mit der Empfängnis beginnt. Ich war immer der Ansicht, dass Abtreibung falsch ist und sich dagegen auszusprechen war niemals schwierig. Es ist eine moralische Haltung, die ich sehr stark fühle“, sagt Boehner, der in einer Familie mit zwölf Kindern groß geworden ist. Respekt vor dem Leben sei für ihn nie eine politische Position gewesen. „Es ist einfach das, was ich bin.“

Doch die Debatte ist längst zum Politikum geworden. Bei den jüngsten Verhandlungen um den Haushalt war der staatliche Zuschuss für die Einrichtung „Planned Parenthood“ ein zentraler Streitpunkt. Die Organisation versorgt amerikanische Frauen seit 90 Jahren mit Rezepten für empfängnisverhütende Mittel, klärt auf, berät und bietet Krebsvorsorge an. Die US-amerikanische Regierung fördert die Einrichtung mit etwa 360 Millionen Euro jährlich. Lediglich drei Prozent der Service-Leistungen von „Planned Parenthood“ gehen in Beratung bei Abtreibungen, wofür staatliches Geld allerdings nicht benutzt werden darf. Auf diese Regelung einigten sich Demokraten und Republikaner bereits vor geraumer Zeit. Dennoch: Die Konservativen sehen in der Organisation eine staatlich finanzierte Abtreibungsmaschinerie. Viele in der „ProLife“-Bewegung vertreten die Ansicht, dass Verhütungsmittel wie die Anit-Baby-Pille eine Form von Abtreibung sind.

Die Vorstöße der Republikaner in Washington sind zahlreich: Sie wollen Spät-Abtreibungen ab der 20. Woche verbieten. Lautstark machen sie Front gegen den staatlich gelenkten Versicherungsmarkt, der sich im Zuge der Gesundheitsreform neu bildet. Sie wollen verhindern, dass die angebotenen Versicherungspolizzen Kostenübernahmen für Abtreibungen beinhalten. Und weiter: Die Konservativen haben vor, Unternehmen von Steuerbegünstigungen auszuschließen, wenn diese ihren Arbeitnehmern Versicherungspläne anbieten, die Abtreibungsservice beinhalten. Krankenhäusern soll in Einzelfällen das Recht eingeräumt werden, Frauen eine Abtreibung zu verweigern – selbst im Fall eines medizinischen Notfalls. Kliniken, die Abtreibungen anbieten, wollen die Republikaner die öffentlichen Mittel streichen. Die Reaktionen der Demokraten auf die Initiativen der vergangenen Wochen sind deutlich: Kaliforniens Senatorin Barbara Boxer bezeichnete die Vorschläge als „extrem“. Sie sieht Gesundheit und Leben von Frauen gefährdet.

Noch drastischer als in Washington geht es in einigen Bundesstaaten zu. Hat dort ein republikanischer Gouverneur das Sagen, ist sein Spielraum für strikte Gesetze groß. 29 von 50 Amtsinhabern sind gegen Abtreibung. Das Resultat: Viele Staaten legen Frauen Steine in den Weg, die sich gegen das Kind entscheiden wollen oder müssen und auf legalem Weg eine Abtreibung anstreben. Sie werden genötigt, sich die Ultraschall-Geräusche des Ungeborenen anzuhören oder bekommen Bilder von abgetöteten Föten vorgelegt. Einen der bislang drakonischsten Schritte hat nun der konservative Südstaat South Dakota gemacht, der bereits seit Jahren für seine restriktive Haltung bekannt ist. Frauen müssen ab Juli mindestens 72 Stunden über ihre Entscheidung nachdenken, bevor ein Eingriff gestattet wird – 48 Stunden mehr als sonst in den USA. In dem 800.000-Einwohner-Staat gibt es nur eine Klinik, an der Abtreibungen überhaupt durchgeführt werden. Noch prekärer: Kein Arzt ist in diesem Bundesstaat bereit, Abtreibungen vorzunehmen. Einmal in der Woche fliegt die Klinik deshalb Ärzte aus dem Nachbarstaat Minnesota ein. Nicht nur die Wartezeit erschwert den Schwangeren die Entscheidung, sondern auch der Zwang, bestimmte Beratungszentren aufzusuchen. Diese werden von Anti-Abtreibungsgruppierungen betrieben. Selbst Frauen, die Opfer von Vergewaltigung und Inzest geworden sind, bleibt diese Prozedur nicht erspart.

Die Diskussion über Abtreibung ist in den USA eine emotional geführte Debatte über Ideologien, Prinzipien und Werte. Die breite Bevölkerung ist ihrer inzwischen müde. Doch die politische Klasse wird dafür sorgen, dass sie in absehbarer Zeit kein Ende nimmt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2011