Präimplantationsdiagnostik: Das ungeborene Kind als Produkt?

15.07.2011 | Politik

Mit der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik würde man sich radikal von der Kultur der bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen verabschieden. Es zeigt sich, wie sehr der Mensch darauf angewiesen ist, im Bewusstsein zu leben, dass sein Sein Schicksal und nicht Auswahl ist.
Von Giovanni Maio*

Noch vor wenigen Jahren war man sich weitgehend einig über die ethische und rechtliche Verurteilung der Präimplantationsdiagnostik. Seit einiger Zeit nun ist eine Tendenz zur Liberalisierung zu verzeichnen, und dies nicht nur in Österreich, sondern auch in der Bundesrepublik und in der Schweiz. Die zunehmende Befürwortung der Präimplantationsdiagnostik von weiten Kreisen unserer Gesellschaft sollte hellhörig machen und die Frage aufwerfen, wie es denn kommen kann, dass der moderne Mensch glaubt, es sei sein gutes Recht, das vorgeburtliche Leben erst zu testen, bevor man sich seiner annimmt.

Wir leben in einer Zeit, die für das Ungeplante keinen Sinn mehr zu haben scheint. Das einfach Gegebene darf nicht mehr sein; alles möchte der moderne Mensch selbst planen und in die Hand nehmen bis hin zu seinen Nachkommen. Dieses Denken ist am Ende infiltriert durch einen ökonomisch-rationalistischen Blick. Fast scheint es, als würde ein Qualitätsmanagementdenken, das ursprünglich aus den Wirtschaftswissenschaften kommt, auch auf den innersten Bereich des Menschen übertragen, nämlich dort, wo zwei Menschen sich für einen neuen Menschen entscheiden. Innerhalb dieser Logik der Qualitätskontrolle sollen alle vorhandenen Selektionsmittel ausgeschöpft werden, um nur jene Kinder zu bekommen, die sich die Erwachsenen ausgesucht haben. Der Wunsch der Eltern soll entscheiden, welcher Mensch leben darf und welcher nicht.

Veränderte Einstellung

Im Zuge einer solchen Selektions- und Machbarkeitslogik verändert sich unsere Einstellung zu uns selbst. Kinder werden damit immer mehr als Produkte begriffen, die man bestellt, nach Qualitätskriterien prüft und bei Nichtgefallen auch wieder abbestellt. Verloren geht das Gefühl der Dankbarkeit für das werdende Kind; die Dankbarkeit wird ersetzt durch die Angst, die Angst der nicht ausreichenden Kontrolle. Das Kind wird somit zum Resultat der je eigenen Überprüfungskriterien, als ein Produkt, das man nur annimmt, wenn es den vorgegebenen Ansprüchen und Qualitätsstandards auch genügt. Nichts anderes geschieht bei der Präimplantationsdiagnostik; hier werden Embryonen nur auf Probe gezeugt, und erst die Qualitätsprüfung in Form des Gentests entscheidet darüber, ob man das Produkt annimmt oder bei mangelnder Qualität eben zurückgibt. Das Gravierende daran ist die sukzessive Umdefinition der verantwortungsvollen Elternschaft.

So zeigen viele Studien, dass die allergrößte Mehrheit von Frauen ihre Entscheidung, eine Pränataldiagnostik vorzunehmen, als verantwortungsbewusste Entscheidung wertet, weil es ihnen als unverantwortlich erschiene, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen. Und mit jeder Ausweitung der Möglichkeiten der vorgeschalteten Qualitätsprüfung wird das Diktat zur Vermeidung von Leben, das nicht den gewünschten Anforderungen entspricht, noch weiter zunehmen. Je mehr diese Techniken Eingang finden, umso mehr wird es rechtfertigungsbedürftig, wenn man das gegebene Leben in seinem So-sein akzeptiert. Was induziert durch die Technik und als Resultat eines Machbarkeitsglaubens am Ende entsteht, ist eine radikale Abwehr des Gegebenen, ein Blindwerden für den Sinn des Ungeplanten.

Wenn die weitere Etablierung der vorgeburtlichen Diagnostik dazu führt, dass die Existenz eines Menschen nicht mehr als ein unhinterfragt Gutes betrachtet wird, sondern wenn diese Existenz als solche schon die Frage aufwirft, ob es verantwortungsvoll war, sie nicht vorher eliminiert zu haben, dann erahnen wir, wie verhängnisvoll die Wucht sein kann, mit der man den Nachkommen das Schicksal des So-seins abspricht.

Wie sehr sich so ein Selektionsdenken bereits fest etabliert hat, zeigt sich an dem weit verbreiteten Argument, mit der Präimplantationsdiagnostik könne man einen Schwangerschaftsabbruch verhindern. Wenn man so argumentiert, setzt man fälschlicherweise voraus, dass der Abbruch sozusagen die logisch zwingende Reaktion auf ein Kind mit Gendefekt ist. Wenn man nun den Gendefekt allein als Rechtfertigungsgrund für das Ausselektieren nimmt, so fällt man unweigerlich ein Unwert-Urteil über das Leben des Embryos und damit zugleich auch über all die Menschen, die diese Krankheit haben. Die gängige Argumentation, dass man mit der Präimplantationsdiagnostik einen Abbruch verhindern könne, geht von einer Selbstverständlichkeit des Abbruchs als sozusagen regulären und zwingenden Umgang mit genetisch vorbelasteten Kindern aus, was eine Geringschätzung dieses Lebens bedeutet und daher in hohem Maße problematisch ist.

Die gegenwärtigen Debatten um die Präimplantationsdiagnostik verfangen sich in einer Bestätigung und Rechtfertigung des Faktischen. Viel zu wenig wird gewagt, drei Schritte zurückzugehen, um darüber zu reflektieren, welche Grundeinstellung zum Menschen bereits verkörpert ist. Was man mit der etwaigen Zulassung der Präimplantationsdiagnostik definitiv etablieren würde, ist nicht weniger als die radikale Verabschiedung einer Kultur der bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen. Die zentrale und unartikulierte Grundeinstellung lautet, dass es in jedem Fall besser ist, ein Mensch mit Behinderung sei nicht. Eine solche implizite Bewertung ist aber nicht hinnehmbar, weil sie der unhintergehbaren Grundeinsicht widerspricht, dass jeder Mensch – ganz gleich, welche genetische Ausstattung er hat – in gleicher Weise Selbstzweck ist und nicht Opfer eines fremden Kalküls werden darf.

Technische Errungenschaften werden immer als neue Freiheiten gepriesen und vermarktet. Aber es wird versäumt, zu erkennen, dass dies Freiheiten sind, die auf Kosten eines Anderen erobert wurden: Freiheit, echt Freiheit kann nur die sein, die mit dem Anderen und nicht auf Kosten eines anderen Menschen erworben wird. Es ist aber nicht „nur“ die Freiheit des verworfenen Embryos oder des getöteten Kindes, die hier missachtet wird. Am Ende wird sogar die Freiheit derer in Mitleidenschaft gezogen, die die Selektion im Reagenzglas oder Mutterleib überlebt haben. Die für das Überleben ausgesuchten Embryonen werden später in dem Bewusstsein leben müssen, dass sie gezeugt, aber zunächst nicht angenommen wurden. Ein nicht sichtbarer Genbefund hätte ihre Tod bedeutet. Das Bewusstsein eines Menschen, dass seine Eltern fest entschlossen waren, ihn zu verwerfen, wenn er einen Gendefekt gehabt hätte, wird zu dem Grundgefühl einer lediglich bedingten Annahme führen.

Der nicht verworfene Embryo wird später wissen, dass er lebt, nicht etwa weil er einzigartig ist, sondern weil er eine Prüfung bestanden hat. Die Vorstellung, dass seine Eltern sich ein Leben mit ihm als einem behinderten Kind nicht zumuten wollten, wäre eine Hypothek, weil der Gedanke aufkommen könnte, seinen Eltern irgendwann möglicherweise nicht mehr zu genügen, wenn er krank werden sollte. Hierin zeigt sich, was der Preis der Aufgabe einer bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen wäre. Es zeigt sich, wie sehr der Mensch darauf angewiesen ist, im Bewusstsein zu leben, dass sein Sein Schicksal und nicht Auswahl ist.

Auswahl statt Schicksal?

Aus diesen Überlegungen sollte deutlich werden, was es bedeutet, wenn man – wie bei der Präimplantationsdiagnostik – das Schicksal durch die eigene Auswahl ersetzt. Bei der Präimplantationsdiagnostik wird das Gegebensein des Seins abgelehnt und stattdessen die menschliche Planung eingeführt. Mit der Einführung der Planungs- und Qualitätskontrolle wird aber unweigerlich die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Menschen aufgehoben. Selbst für den Fall, dass die Qualitätsprüfung gut ausgeht, muss der überlebte Embryo und Mensch mit dem Bewusstsein leben, dass er am Anfang seiner Existenz nicht als unverfügbar galt, sondern dass man sich dort in radikaler Weise seiner bemächtigt hat und ihn für absolut verfügbar angesehen hat. Mehr noch: Er lebt jetzt eben nicht aufgrund seiner Unverfügbarkeit, sondern aufgrund eines bestimmten Qualitätsmerkmals – und das ist ein gewichtiger Unterschied. Dies macht nochmals deutlich, in welcher Weise die Vorstellung, dass die Anfangsbedingungen des Menschen Schicksal sind, ein Segen für den Menschen sein kann. Denn wenn die Bedingungen des eigenen Seins nicht Schicksal sondern Ergebnis einer menschlichen Entscheidung wären, dann würde das Sein des Menschen seinen Charakter als Gabe verlieren.

Das eigene Sein ist dann nicht mehr das selbstverständlich Gegebene, das allein in seinem Sein einen Wert hat, sondern es wird durch die Wahl der Eltern zu einem Resultat. Das Resultat aber ist nicht mehr das fraglos Gültige, weil es ja ein anderes, ein „besseres“ Resultat hätte sein können, wenn man es nur so gewollt hätte. Mit der Verabschiedung des Schicksalhaften gäbe man zugleich auch die Unbefangenheit auf, mit der man sich des Menschen annimmt. Hieraus wird deutlich, dass wir das ungeborene Kind nicht als Produkt betrachten dürfen, das wir uns nach unseren Auswahlkriterien aussuchen, sondern dass jedes Kind eine Gabe ist, die wir nicht prüfend, sondern in Dankbarkeit empfangen.


*) Univ. Prof. Dr. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte in der Medizin/Freiburg; E-Mail: maio@ethik.uni-freiburg.de

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2011