Pilotprojekt E-Medikation: Analysieren und adaptieren

15.07.2011 | Politik


Ganz im Zeichen des Pilotprojekts E-Medikation stand eine Podiumsdiskussion, die von der Karl-Landsteiner-Gesellschaft Mitte Juni in Wien veranstaltet wurde. Durch den von der ÖÄK geforderten Stopp des Projekts erhielt die Debatte eine ganz besondere Dynamik.

Von Marion Huber

Warum wurde das Projekt E-Medikation ursprünglich ins Leben gerufen? Mit dieser Frage eröffnete Volker Schörghofer vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger die Veranstaltung zum Thema „Pilotprojekt E-Medikation: Wirkung und unerwünschte Nebenwirkungen“, zu der die Karl-Landsteiner-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer Österreich eingeladen hatte. Die Patienten vor unerwünschten Effekten einer Polypragmasie zu schützen, sei der Grund für dieses Projekt gewesen, betonte er in seinem Impulsreferat. „Enttäuschend“ sei für ihn, dass die ÖÄK das „gemeinsame Projekt“ nun mit einstimmigem Beschluss gestoppt habe. Auch Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer zeigte sich „überrascht“ darüber, wie Österreich mit diesem Thema umgeht. In dieselbe Kerbe schlug auch Johann Maier, der Vorsitzende des österreichischen Datenschutzrates: Auch wenn das Projekt datenschutzrechtlich genau zu prüfen sei, wie er später in der Diskussion anmerkte, halte er „die Debatte, wie sie gerade von Ärzten geführt wird, für absolut unverständlich“.

Vehementer Widerspruch zu diesen Vorwürfen kam von Univ. Doz. Robert Hawliczek von der Ärztekammer Wien: „Die Patientensicherheit ist für uns Ärzte die höchste Priorität. Zu behaupten, dass sich die Ärzte querlegen oder Maßnahmen zur Patientensicherheit behindern und sogar verhindern würden, ist absolut skurril.“

Dass der Schritt, den Stopp des Projekts zu beschließen, keinesfalls leichtfertig gesetzt wurde, betonte Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien. Die Rechtsunsicherheit durch die Auftragsvergabe und der Beschluss des Bundesvergabeamts seien aber Grund genug gewesen, zu handeln: „Man kann bei aller Wertschätzung von Projektpartnern den Beschluss des Bundesvergabeamts nicht ignorieren und so weitermachen, als wäre nichts geschehen.“

„Sehr, sehr kritisch“ beurteilte auch der Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte in Wien, Norbert Jachimowicz, das Projekt in der derzeitigen Pilotphase: „Es ist auf alle Fälle noch großer Veränderungsbedarf gegeben.“ Und dass Ärzte nun aufgerufen werden, Einzelverträge mit den Software-Herstellern abzuschließen, sei ein „reines Umgehungsgeschäft“, das die ÖÄK ablehne. Auch Otto Pjeta, Referent für Hausapotheken in der ÖÄK, sieht diese Vorgehensweise äußerst kritisch: „Man muss uns zugestehen, dass wir uns Sorgen darüber machen, welche Rechtsfolgen das haben wird. Schließlich geht der Arzt damit ein großes Abhängigkeitsverhältnis ein.“

Von einem generellen „Boykott“ (Jachimowicz) könne also nicht im Geringsten die Rede sein, was auch Hawliczek betonte: „Es gibt keinen Boykott der Ärzte. Wir wollen warten, bis die bestehende Rechtsunsicherheit geklärt ist – nicht mehr und nicht weniger.“ Mit Nachdruck unterstrich Jachimowicz, dass das Projekt zwar ausgesetzt sei, die Gespräche aber fortgeführt werden: „Es ist nicht der Fall, dass ab jetzt Sprachlosigkeit zwischen dem Hauptverband und der ÖÄK herrscht – im Gegenteil, die Kommunikation geht weiter!“ Dem pflichtete auch Holzgruber bei: „Kein Mensch hat gesagt, dass wir aufhören, die Probleme auszudiskutieren; im Gegenteil: es sind so viele, dass es schon genug Stimmen gibt, die sagen, dass es komplett neu aufgesetzt werden muss.“

Nutzen für Patient und Arzt

Das Projekt brauche keine unnötige Eile, sondern durchdachtes Handeln, so Jachimowicz. „Es muss nützen und uns Ärzten helfen, nicht Ordinationsabläufe verzögern und belasten.“ Zielführender wäre es daher, abzuklären, wo wirklich Unterstützung gebraucht wird. „Das Projekt ist nur dann eine Hilfe für uns Ärzte, wenn die administrative Arbeit dadurch erleichtert wird. Denn wir wenden uns nun einmal lieber unseren Patienten zu als dem Computer. Und erst wenn wir diesen Weg gefunden haben, ist das Projekt ein Vorteil“, so sein Fazit.

Und dass es an technischen Schwierigkeiten – etwa was die Interaktionsprüfung und die Medikamentendosierung angeht – in der Pilotphase nicht mangelt, ist unbestritten: „Die Probleme, die gerade im technischen Bereich bisher festgestellt wurden, müssen unbedingt beseitigt werden wenn die E-Medikation ein Erfolgsprojekt werden soll. Eine genaue Evaluierung ist deshalb absolut notwendig“, zeigte sich Johann Maier überzeugt. Auch Susanne Herbek, Geschäftsführerin der ELGA GmbH, weiß um die „technischen Kinderkrankheiten“: „An diesen technischen Fehlern muss gearbeitet werden. Daher wurde mit der Evaluierung nicht mit 1. April, also ab dem Zeitpunkt, wo die ersten Systeme bei den Nutzern verwendet wurden, begonnen, sondern erst mit 1. Juli. Die Monate April, Mai und Juni dienten dazu, solche Fehler zu erkennen und zu analysieren.“ In einem neuen Release der Anfangs-Software seien ein Großteil dieser Implementierungs-Probleme bereits bearbeitet worden. Herbek dazu: „Hier gab es eine enge Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft. Auch wenn Rückmeldungen kritisch waren, trugen sie zur Verbesserung des Systems bei.“ Und es sei auch wichtig, dass verschiedene Berufsgruppen zum Wohl des Patienten zusammenarbeiten. Bei ELGA und E-Medikation bewege man sich schließlich im Spannungsfeld zwischen dem individuellen Datenschutz und dem Wunsch, möglichst vollständiger Informationen für den Arzt, wie Herbek weiter ausführte. Denn die erhöhte Transparenz, auch für Patienten, sei in diesem System etwas Neues und müsse daher in der Diskussion ein wichtiger Punkt sein.

Bei der Evaluierung soll anhand von 21 Kriterien der Erfolg des Projekts und seine Performance gemessen werden. Parallel zur wöchentlichen Information über die Beteiligung und die technischen Daten wird mit Hilfe eines Fragebogens die Zufriedenheit der Teilnehmer evaluiert, so Herbek. „Aus diesen Schlussfolgerungen wird man eine Menge lernen. Und man macht Pilotprojekte schließlich auch, um für die Zukunft zu lernen. In dieser Zeit darf es nichts geben, was nicht hinterfragt werden darf“, konstatierte sie. Man müsse aber darauf achten, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Dem pflichtete auch Gleitsmann bei: „Man muss das Projekt gemeinsam und für die Patienten wollen.“ „Wir verzetteln uns zum Teil in den Niederungen von Projektmanagement und juristischen Diskussionen. Aber wir sollten viel eher einander und unseren Patienten besser zuhören und miteinander reden“, fasste Herbek zusammen.

Teilnahme gering

Aber besonders im Hinblick auf die Teilnehmerzahlen ist das Pilotprojekt bisher deutlich hinter den Erwartungen geblieben: Derzeit sind nur 105 Ärztinnen und Ärzte, 55 Apotheken sowie 6.127 Patienten im System aufgenommen. Warum wurden bisher nur so wenige Projekt-Teilnehmer registriert? – diese Frage stellte Johann Maier zur Diskussion. Monika Maier, Vertreterin der ARGE Selbsthilfe Österreich, erklärte dies folgendermaßen: „Patienten verstehen oft nicht, worum es geht. Und wenn Ärzte, die immer noch einen sehr hohen Vertrauensvorschuss genießen, das Projekt nicht fördern, dann nehmen es die Patienten auch nicht wahr.“ Darüber hinaus würde auch der Stopp des Projekts zusätzlich verunsichern. „Einerseits kostet die Überzeugungsarbeit, die Arzt und Apotheker am Patienten leisten müssen, Zeit. Andererseits stellt auch das Unterzeichnen der Zustimmungserklärung für den Patienten eine Hürde dar“, versuchte Schörghofer seinerseits eine Erklärung zu finden. Für ihn sei damit bewiesen, dass eine Opt in-Lösung schlichtweg „nicht machbar“ ist: „Die traurige Erkenntnis daraus ist, dass Opt out offensichtlich die einzige Möglichkeit ist.“

Eine solche Opt out-Lösung lehnt aber nicht nur die ÖÄK entschieden ab: „Auch der österreichische Datenschutzrat hat einstimmig festgestellt, dass dieses Pilotprojekt nur auf Basis der Freiwilligkeit durchgeführt werden kann. Daher gibt es auch die Zustimmungserklärung“, konterte Maier. Und auch für Holzgruber ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar: „Wenn das Projekt E-Medikation so toll ist, warum muss man die Patienten dann überreden, daran teilzunehmen?“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2011