Orientierungshilfe Radiologie: Standardwerk und Lehrmittel

25.03.2011 | Politik

Mit einer Auflage von 200.000 Stück ist die „Orientierungshilfe Radiologie“ vermutlich das am häufigsten verbreitete medizinische Fachbuch Österreichs. Die mittlerweile vierte, aktualisierte Fassung ist dieser Ausgabe der ÖÄZ beigelegt und soll Ärzten dabei helfen, das am besten geeignete Untersuchungsverfahren zu veranlassen.
Von Marion Huber

Seit der ersten Auflage im Jahr 1999 erfolgreich, wird auch dieses Mal das bewährte Konzept, jedem Arzt sein eigenes Exemplar zur Verfügung zu stellen, fortgesetzt. „Wir haben in Österreich bewusst diesen Weg beschritten, da wir wenig davon halten, dass die Ärzte in einem Exemplar irgendwo nachschlagen oder es käuflich erwerben müssen“, erklärt der Obmann der Bundesfachgruppe Radiologie in der ÖÄK, Univ. Doz. Franz Frühwald, sein Anliegen.

Wie erfolgreich die „Orientierungshilfe Radiologie“ ist, zeigt sich darin, dass das Bundesministerium für Gesundheit in den offiziellen Erläuterungen zur Medizinischen Strahlenschutzverordnung auf das Werk Bezug nimmt und seine Anwendung auch ausdrücklich empfiehlt. „Die Orientierungshilfe Radiologie ist mit einer Auflage in der Größenordnung von 200.000 Stück vermutlich das am häufigsten verbreitete medizinische Fachbuch Österreichs. Es wird an den Universitäten als Lehrmittel eingesetzt und so auch dem Nachwuchs vermittelt“, macht Frühwald den Stellenwert des Werks noch deutlicher.

Schon die erste „Orientierungshilfe Radiologie“ entstand in Anlehnung an die Guidelines des Royal College in Großbritannien, und auch in der aktuellen Auflage wurden die Referral Guidelines des Royal College of Radiologists, die Empfehlungen des American College of Radiology sowie die deutschen Guidelines berücksichtigt. Die Empfehlungen, die in verschiedensten Arbeitskreisen ausgearbeitet und anschließend abgestimmt wurden, stellen nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Evidenz den breitestmöglichen österreichischen Konsens dar. Darüber hinaus wird diejenige bildgebende Diagnostik berücksichtigt, die in Österreich auch tatsächlich verfügbar ist.

Nach den Auflagen in den Jahren 1999, 2002 und 2006 machte der medizinische Fortschritt im Bereich der bildgebenden Diagnostik eine neue, aktualisierte Fassung notwendig. „Die Einsatzgebiete der verschiedenen Verfahren ändern sich unentwegt. Die Medizin ist dauernd im Fluss, die Forschung geht voran und man kann nicht erwarten, dass die zuweisenden Ärzte immer auf dem allerletzten Stand sind“, beschreibt Univ. Doz. Franz Frühwald die rasante Entwicklung in der Bilddiagnostik. Einerseits habe sich geändert, was mit welchem Gerät primär untersucht und auch wie dann weiter vorgegangen werden soll. „Manches wandert von der Magnetresonanztomographie zur Computertomographie. Vieles wandert hingegen schon allein aus Strahlenschutz-Überlegungen vom CT zum MRT“, erläutert der Experte die Entwicklung. All diese Änderungen von diagnostischen Abklärungspfaden waren nun in der vierten Auflage zu berücksichtigen. Frühwald weiter: „Das Gebiet wurde unübersichtlich und so war es notwendig, die Erkenntnisse für die häufig vorkommenden klinischen Fragestellungen zusammenzufassen.“

Das bisher verwendete Format und das Layout der Orientierungshilfe wurden beibehalten, Neuerungen gibt es dennoch: In dieser Auflage ist man dazu übergegangen, Evidenzgrade (A, B und C) der Empfehlungen anzuführen. Die Graduierung erfolgte auf Basis eines Systems, das vom US-amerikanischen Department of Health and Human Services, Agency for Healthcare Policy and Research entwickelt wurde. „Wir haben versucht darzustellen, mit welchem Grad an Evidenz die Empfehlungen ausgesprochen werden, wie gut quasi die Studien sind, die es dafür gibt“, erklärt Frühwald die neue Vorgehensweise.

Unnötige Strahlenexposition vermeiden

Durch die bisher schon praktizierten Empfehlungen (von „indiziert“ über „keine Routineindikation“ bis zu „nicht indiziert“) und die neue Evidenzbewertung soll die „Orientierungshilfe Radiologie“ eine Hilfestellung für überweisende Ärzte bieten, um die sinnvollsten bildgebenden Verfahren auszuwählen. Priorität soll sein, den Patienten keiner unnötigen Strahlenbelastung auszusetzen. Untersuchungen, deren negative oder positive Befunde sich nicht auf die Therapie auswirken oder deren Ergebnisse die Verdachtsdiagnose des Arztes nicht bestätigen oder ausschließen, bringen keinen Nutzen und sollten daher vermieden werden. Die „Orientierungshilfe Radiologie“ geht deshalb auch auf Situationen ein, in denen Untersuchungen unterbleiben können, ohne dadurch die Qualität der Diagnosestellung zu vernachlässigen. Der zuweisende Arzt sollte sich diesbezüglich zum Beispiel die Frage stellen, ob die radiologische Untersuchung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erforderlich ist oder ob das jeweilige Untersuchungsverfahren zur Beantwortung der gestellten Frage wirklich das beste ist. In erster Linie soll auch die Wiederholung von Untersuchungen, die zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal durchgeführt wurden, weitgehend vermieden werden.

Im Sinne einer Strahlen-schonenden Untersuchung sind besonders die Weiterentwicklungen im Bereich jener Verfahren wünschenswert, die – im Gegensatz zu Röntgen oder Computertomographie – keine ionisierende Strahlung verwenden. Ultraschall zum Beispiel ist kostensparend, schnell, verlässlich und nicht invasiv; darüber hinaus sind seine Einsatzmöglichkeiten äußerst vielfältig. Ebenso ist die Magnetresonanztomographie, die auch keine Strahlenexposition verursacht, einer Computertomographie vorzuziehen, sofern man von beiden Untersuchungsverfahren ähnliche Ergebnisse erwarten kann. Denn auch mit Dosis-Reduktions-Optionen ist die Strahlenbelastung des Patienten durch eine Computertomographie relativ hoch. Um die Strahlenexposition so gering wie möglich zu halten, ist es daher immer sinnvoll, Alternativen, die keine ionisierende Strahlung einsetzen – vor allem die Magnetresonanztomographie – in Erwägung zu ziehen.

Kosten-effektiv und Strahlen-schonend

Vorrangiges Ziel der „Orientierungshilfe Radiologie“ ist es, eine österreichweit ähnliche bilddiagnostische Strategie sicherzustellen, die sowohl für den Patienten als auch für die medizinische Behandlung der Ärzte Benefits bringt. „Ziel ist einerseits eine kosteneffektive Untersuchung, andererseits auch eine Strahlen-schonende Untersuchung. Und das ist letzten Endes auch EU-Gesetzgebung. Hier muss man schauen, dass man ein Verfahren ohne Strahlung vorzieht, wenn man dadurch die gleiche Information erhält. Das ist besonders bei Kindern enorm wichtig. Man musste die Empfehlungen in diesem Bereich anpassen“, fasst Frühwald die wichtigsten Punkte zusammen.

Mit EU-Gesetzgebung spricht Frühwald die Richtlinie des Europäischen Rates EURATOM 97/43 an, die alle EU-Länder dazu verpflichtet, Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen, die klar strukturiert den sinnvollen Einsatz der verschiedenen bildgebenden Verfahren beschreiben und durch eine konsequente Anwendung der Empfehlungen letztlich zu einer Reduktion der medizinischen Strahlenexposition führen.

Dass die Orientierungshilfe niemandem eine starre Vorgehensweise auferlegen möchte, hebt Frühwald ganz bewusst hervor: „Die Empfehlungen sollen niemanden bevormunden. Ein Spezialist wird auf seinem Gebiet über Entwicklungen sicher Bescheid wissen, aber zum Beispiel ein Allgemeinmediziner und ein Turnusarzt können unmöglich alles wissen.“ Immer dann, wenn man sich ein wenig außerhalb seines Spezialgebietes bewegt, sei es sinnvoll – so Frühwald – sich einigermaßen an die Empfehlungen der Orientierungshilfe zu halten. Denn diese zeigten durchaus Wirkung: „Wir sind absolut davon überzeugt, dass es dadurch zu Verbesserungen kommt“, betont der Experte. In der Praxis merke man, dass im Vergleich zu früher „gewisse Zuweisungsfehler gar nicht mehr vorkommen“, so Frühwald.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2011