Medi­zin und Ethik: Krank­heit als Lebensstil?

25.09.2011 | Politik

Die dau­er­hafte Moti­va­tion von Pati­en­ten mit einer chro­ni­schen Erkran­kung ist eine der größ­ten Her­aus­for­de­run­gen der moder­nen Medi­zin, für die die Ärzte aber nicht aus­ge­bil­det sind. Zahl­rei­che Exper­ten wid­men sich dem Thema „Krank­heit als Lebens­stil“ bei einem vom Euro­päi­schen Forum Alp­bach, der ÖÄK und der Ärz­te­kam­mer Wien ver­an­stal­te­ten Sym­po­sium Anfang Okto­ber.
Von Bir­git Oswald

Unter dem Titel „Krank­heit als Lebens­stil? Wege und Irr­wege“ wer­den von 5. bis 6. Okto­ber 2011 in Wien im Rah­men des Euro­päi­schen Forum Alp­bach aktu­elle ethi­sche und medi­zi­ni­sche Brenn­punkte rund um das Thema Krank­heit in unse­rer heu­ti­gen Gesell­schaft dis­ku­tiert. „Auf­grund des gro­ßen Erfol­ges in den ver­gan­ge­nen bei­den Jah­ren unter­stützt die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer auch heuer diese Ver­an­stal­tung des Euro­päi­schen Forum Alp­bach. Beson­ders im Hin­blick auf die moderne Medi­zin und den medi­zi­nisch-tech­ni­schen Fort­schritt ist es wich­tig, den Men­schen in das Zen­trum der Medi­zin zu rücken“, erklärt ÖÄK-Prä­si­dent Wal­ter Dor­ner im Vorfeld.

Ein The­men­block des zwei­tä­gi­gen Sym­po­si­ums wid­met sich dem Aspekt „Krank­heit als Teil des Nor­ma­len Lebens“. Denn immer mehr Men­schen lei­den heut­zu­tage an einer chro­ni­schen Krank­heit, die sie ihr Leben lang beglei­tet und sich direkt und indi­rekt auf ihre Lebens­qua­li­tät aus­wirkt. „Wir wis­sen, dass chro­ni­sche Erkran­kun­gen wie etwa Dia­be­tes mel­li­tus durch stei­gende Lebens­er­war­tung und bes­sere medi­zi­ni­sche The­ra­pie­mög­lich­keit immer mehr Teil des nor­ma­len Lebens wer­den“, erläu­tert einer der Refe­ren­ten der Ver­an­stal­tung, Priv. Doz. Mar­cus Säe­mann von der Abtei­lung für Innere Medi­zin III an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Und wei­ter: „Die Frage ist, wie man die chro­ni­sche Krank­heit ins Lebens­kon­zept inte­griert. Der Haupt­kern der Dis­kus­sion wird sein, wie wir den Pati­en­ten in die­sem chro­ni­schen Pro­zess psy­chisch unter­stüt­zen kön­nen.“

Pro­blem: dau­er­hafte Motivation

Eine Hürde, mit der viele Pati­en­ten zu kämp­fen haben, ist das Moti­va­ti­ons­pro­blem, wie der Dia­be­tes-Experte betont. Die Betrof­fe­nen sind jah­re­lang in Behand­lung und müs­sen kon­ti­nu­ier­lich moti­viert wer­den. „Hier feh­len Ansätze, wie man chro­ni­sche Pati­en­ten dau­er­haft moti­vie­ren kann. Pati­en­ten mit chro­ni­schen Erkran­kun­gen blei­ben per­ma­nent in Betreu­ung und gehen nicht gleich wie­der, weil sie geheilt sind. Diese dau­er­hafte Moti­va­tion ist eine Her­aus­for­de­rung. Ärzte sind aber dafür nicht aus­ge­bil­det und damit häu­fig über­las­tet“, erklärt Säe­mann. Eine chro­ni­sche Erkran­kung sei als Zusatz­be­las­tung anzu­se­hen – etwa wie eine chro­ni­sche Arbeits­über­las­tung. Diese Zusatz­be­las­tung kann zur see­li­schen Erschöp­fung füh­ren, für die zwar akut Hil­fe­stel­lung gebo­ten wer­den kann, lang­fris­tig aber keine Lösun­gen vor­lie­gen. „Wir haben für akute Dekom­pen­sa­tio­nen zwar Psy­cho­lo­gen und Psych­ia­ter zur Ver­fü­gung, die den Pati­en­ten auf­fan­gen. Für die chro­ni­sche Moti­va­tion haben wir aber keine Kanäle. Hier gilt es drin­gend, Lösun­gen zu fin­den“, so Säemann.

Und letzt­lich geht es nicht nur darum, den Gesund­heits­zu­stand zu ver­bes­sern, son­dern auch darum, die­sen Zustand der chro­ni­schen Erkran­kung in das Leben zu inte­grie­ren. Im Fall einer Organ­trans­plan­ta­tion etwa kann sich die Lebens­qua­li­tät schlag­ar­tig ver­bes­sern. Nicht zu ver­ges­sen sind dabei aller­dings die Begleit­fak­to­ren, die oft belas­tend wir­ken kön­nen. Eine chro­ni­sche Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz mit Dia­ly­se­pflicht und schlech­ter Lebens­qua­li­tät könne sich nach einer Trans­plan­ta­tion in ein chro­ni­sches Krank­heits­bild umwan­deln und dem Pati­en­ten gehe es schlag­ar­tig bes­ser, wie Säe­mann aus­führt. „Mit der Trans­plan­ta­tion allein ist es aber nicht getan. Zwar hat man ein neues Organ, aber man ist den­noch nicht geheilt, man muss Immun­sup­pres­siva neh­men, regel­mä­ßig zur Kon­trolle gehen, man hat die Gefahr des Trans­plan­tats­ver­lus­tes per­ma­nent vor Augen“, so der Inter­nist wei­ter. Es gelte, den Pati­en­ten medi­zi­nisch und psy­cho­lo­gisch zu beglei­ten. Das Organ müsse inte­griert wer­den und der Pati­ent dabei in viel­fa­cher Weise unter­stützt wer­den. Resü­mee von Säe­mann: „Erst wenn der Pati­ent die gesam­ten Umstände inte­griert, hat er eine Chance auf Lebens­ver­bes­se­rung.“

Was ist das Ziel für Beteiligte?

Priv. Doz. Karl Kra­jic vom Lud­wig Boltz­mann Insti­tute for Health Pro­mo­tion Rese­arch in Wien wird über Gesund­heit und Gesund­heits­för­de­rung spre­chen. „Einer­seits kön­nen wir im Zusam­men­hang mit dem demo­gra­phi­schen Wan­del eine starke Zunahme der Jahre fest­stel­len, die von chro­ni­scher Krank­heit betrof­fen sind. Gleich­zei­tig scheint sich aber auch der durch­schnitt­li­che Gesund­heits­zu­stand, zum Bei­spiel der älte­ren Men­schen, ver­bes­sert zu haben. Wenn also das Leben mit chro­ni­schen Krank­hei­ten ab dem mitt­le­ren Lebens­al­ter nor­mal wird, dann ist die Frage, was das Ziel für alle Betei­lig­ten sein kann – also Betrof­fene, Ärz­tin­nen und andere Gesund­heits­be­rufe, Orga­ni­sa­tio­nen, Sozial- und Gesund­heits­po­li­tik“, erklärt Krajic.

Blick auf Gesamtgesundheit

Zunächst käme es dar­auf an, wie man die Begriff­lich­kei­ten „Krank­heit“ und „Gesund­heit“ defi­niert. Nicht die Krank­heit ist dem Exper­ten zufolge das Pri­märe im Leben der Men­schen, son­dern die Gesund­heit. Gesund­heit als Abwe­sen­heit von Krank­heit zu sehen, sei nicht ziel­füh­rend. „Gesund­heit kann als eine von Krank­heit auch unab­hän­gig vari­ie­rende Dimen­sion ver­stan­den wer­den. Es macht Sinn, von zwei Dimen­sio­nen aus­zu­ge­hen – Krank­heit einer­seits und posi­ti­ver Gesund­heit ande­rer­seits“, erklärt Kra­jic. Krank­heits­ori­en­tierte Maß­nah­men sind dem­nach Dia­gnos­tik und The­ra­pie von kon­kre­ten Erkran­kun­gen. Gesund­heits­be­zo­gene Maß­nah­men wie­derum bezie­hen Funk­ti­ons- bezie­hungs­weise Leis­tungs- und Lebens­fä­hig­keit sowie sub­jek­ti­ves Wohl­be­fin­den, auch unab­hän­gig von Krank­heit mit ein und sind auf Deter­mi­nan­ten sowohl im Ver­hal­ten als auch in den Lebens­ver­hält­nis­sen gerich­tet. „Pro­fes­sio­nelle Akteure, die mit chro­nisch Kran­ken zu tun haben, soll­ten daher gerade bei Men­schen mit chro­ni­scher Krank­heit ihren Blick auf die Gesamt­ge­sund­heit erwei­tern – und das führt zur Not­wen­dig­keit kom­ple­xe­rer Ziel­kal­küle und geht nur mit inten­si­ver Kom­mu­ni­ka­tion“, so Krajic.

Details zum Sym­po­sium „Medi­zin und Ethik“

Krank­heit als Lebens­stil? Wege und Irr­wege


Ver­an­stal­ter:
Euro­päi­sches Forum Alp­bach, Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer, Ärz­te­kam­mer für Wien, Medi­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät Wien

Datum: 5. bis 6. Okto­ber 2011,
Beginn: 5. Okto­ber, 17:00 Uhr

Ort: Schloss Schön­brunn Tagungs­zen­trum, Apo­the­ker­trakt, 1130 Wien

Pro­gramm: http://www.alpbach.org

Infor­ma­tio­nen:
Mag. Mag­da­lena Rost­kowska-Müll­ner,
Tel.: 01/​718 17 11/​21

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2011