Mam­mo­gra­phie-Scree­ning: „Ver­bes­sern, nicht verschlechtern”

25.02.2011 | Politik

„Ver­bes­sern, nicht ver­schlech­tern“

Die Brust­krebs-Früh­erken­nung in Öster­reich soll ver­bes­sert, nicht ver­schlech­tert wer­den – das ist das erklärte Ziel der Bun­des­fach­gruppe Radio­lo­gie der ÖÄK. Bekannt­lich soll es beim Scree­ning einige Ände­run­gen geben, die sich bei nähe­rer Betrach­tung in viel­fa­cher Hin­sicht als Nach­teil für die Frauen herausstellen.

„Wir Radio­lo­gen kön­nen das vom Haupt­ver­band geplante neue Mam­mo­gra­phie-Scree­ning in der vor­lie­gen­den Form nicht mit­ver­ant­wor­ten”, erklärte der Obmann der Bun­des­fach­gruppe Radio­lo­gie in der ÖÄK, Univ. Doz. Franz Früh­wald, kürz­lich bei einer Pres­se­kon­fe­renz in Wien. „Wir wol­len die Situa­tion ver­bes­sern und nicht ver­schlech­tern“, so der Experte wei­ter. Bei sehr dich­tem Brust­ge­webe etwa sei der Ultra­schall erfor­der­lich; im neuen Scree­ning-Pro­gramm jedoch nicht mehr wie bis­her vor­ge­se­hen. „Die öster­rei­chi­schen Radio­lo­gen sind nicht bereit, die Hälfte der Kar­zi­nome bei dich­tem Brust­ge­webe zu über­se­hen. Das wür­den wir auch juris­tisch nicht aus­hal­ten,“ erklärte Früh­wald. Das Credo des Radio­lo­gen: „Wir wol­len nicht das EU-Mini­mal­pro­gramm für Öster­reich, son­dern das best­mög­li­che.“

Die geplante Reduk­tion auf nur noch 20 spe­zi­elle Zen­tren würde bei­spiels­weise für Nie­der­ös­ter­reich – das flä­chen­größte Bun­des­land – Fol­gen­des bedeu­ten: Es würde nur noch in St. Pöl­ten und Wie­ner Neu­stadt jeweils ein Zen­trum geben, wo Mam­mo­gra­phien gemacht wer­den. Für Frauen, die etwa aus dem nörd­li­chen Teil des Wald­vier­tels zu einer sol­chen Unter­su­chung kom­men und dann bei einem zwei­fel­haf­ten Befund neu­er­lich zur Ultra­schall­un­ter­su­chung kom­men müss­ten, wäre das eine „enorme Belas­tung“, so Früh­wald. Und wei­ter: „Das ist absurd und nicht durch­dacht.“ Immer­hin ist bei 30 bis 40 Pro­zent der Frauen ein Ultra­schall erfor­der­lich, da sonst die Hälfte aller Kar­zi­nome nicht ent­deckt würde. Auch der wirt­schaft­li­che Aspekt kann dabei nicht außer Acht gelas­sen wer­den: Berufs­tä­tige Frauen feh­len dann am Arbeits­platz nicht nur einen hal­ben, son­dern gleich zwei Tage wegen einer Mammographie.

Dass der Ver­trau­ens­arzt künf­tig nicht mehr in die Befund­über­mitt­lung ein­ge­bun­den wer­den soll, hat schwer­wie­gende Fol­gen: Frauen wer­den mit einem schrift­lich über­mit­tel­ten – all­fäl­lig posi­ti­ven Befund – völ­lig allein gelas­sen. „Eine unhalt­bare Situa­tion“, wie Früh­wald betont. Es könne auch nicht sein, dass der Arzt des Ver­trau­ens nicht über diese Befunde infor­miert werde; er müsse zumin­dest eine Kopie erhal­ten. Jörg Pruck­ner, Obmann der Bun­des­sek­tion für All­ge­mein­me­di­zin und stell­ver­tre­ten­der Obmann der Bun­des­ku­rie nie­der­ge­las­sene Ärzte in der ÖÄK, ergänzt: „Nie­der­ge­las­sene Ärzte sind die Beglei­ter der Fami­lie: Sie ken­nen die Pati­en­ten und deren Umfeld oft Jahre lang und kön­nen für eine qua­li­tät­volle und ange­mes­sene Betreu­ung sor­gen.“ Dass die Ver­hand­lun­gen nicht mit den Betrof­fe­nen – näm­lich den Ärz­ten – geführt wer­den, ist laut Pruck­ner „völ­lig kontraproduktiv“.

Kri­ti­siert wird auch die geplante Dop­pel­be­fun­dung durch zwei Radio­lo­gen. Die Argu­men­ta­tion des Haupt­ver­ban­des für diese Vor­gangs­weise: „Wir wol­len eine Qua­li­täts­ver­bes­se­rung. Jede Mam­mo­gra­phie-Auf­nahme im Rah­men des Pro­gramms soll von zwei Radio­lo­gen begut­ach­tet wer­den. Wenn dann her­aus­kommt, dass ein Ultra­schall not­wen­dig ist, soll das gemacht wer­den. Aber es soll keine Ultra­schall­un­ter­su­chung vor­weg geben. Wenn ein Arzt aber zum Bei­spiel nach einem ver­däch­ti­gen Tast­be­fund die Pati­en­tin zu einem Ultra­schall über­weist, ist das natür­lich eine Kas­sen­leis­tung.“
Nach Ansicht von Früh­wald ist dies wis­sen­schaft­lich nicht halt­bar, da die Dop­pel­be­fun­dung die Sen­si­ti­vi­tät ledig­lich um fünf Pro­zent erhöht, wäh­rend der Ultra­schall die Sen­si­ti­vi­tät um 25 Pro­zent erhöht. „Außer­dem ist es unse­riös, die dop­pelte ärzt­li­che Arbeit ohne adäquate Abgel­tung einzufordern.“

Dar­über hin­aus würde die Rech­nung des Haupt­ver­ban­des in finan­zi­el­ler Hin­sicht nicht auf­ge­hen, wie der Radio­loge wei­ter aus­führt: „Ein Ultra­schall der Brust kos­tet zehn Euro. Im Ver­gleich dazu kos­tet eine Che­mo­the­ra­pie 44.000 Euro pro Jahr. Wird diese drei Jahre durch­ge­führt, ent­ste­hen Behand­lungs­kos­ten von 132.000 Euro“. Erfolgt hin­ge­gen die Ultra­schall­un­ter­su­chung, wer­den viele Kar­zi­nome zusätz­lich in Früh­sta­dien gefun­den, bevor es zur Metasta­sie­rung kommt. Die Ein­spa­rung durch sofor­tige Ultra­schall­un­ter­su­chun­gen würde sich bei den Spi­tals­trä­gern – also kon­kret bei den Län­dern – zei­gen, indem zusätz­li­che Che­mo­the­ra­pien ver­mie­den werden.

Wird das bis­her erfolg­reich prak­ti­zierte Modell in Öster­reich auf das geplante „deut­sche Sys­tem“ umge­stellt, würde das bei einer annä­hernd gleich hohen Betei­li­gung wie heute (rund 50 Pro­zent) bedeu­ten, dass es jähr­lich um 600 Todes­fälle mehr durch Brust­krebs gibt. „Wenn wir aber unser jet­zi­ges Sys­tem bei­be­hal­ten, ergänzt um ein Ein­la­dungs- und Aus­wer­tungs­sys­tem, und nur die Betei­li­gung auf 70 Pro­zent erhö­hen könn­ten, wür­den jedes Jahr 400 Frauen weni­ger an Brust­krebs ster­ben“, betont Früh­wald.

Die Pilot­pro­jekte in Tirol und Salz­burg – sie stel­len im Wesent­li­chen die momen­tane Nor­mal- und Real­si­tua­tion der Brust­krebs­früh­erken­nung in Öster­reich dar – bestä­ti­gen den Aus­sa­gen des Exper­ten zufolge die bis­he­rige Vor­gangs­weise Öster­reichs. Bei bei­den Pro­jek­ten gibt es Ver­trau­ens­ärzte, die immer ein­be­zo­gen wer­den. „Sen­sa­tio­nell“ (Früh­wald) seien die Ergeb­nisse des Tiro­ler Pilot-Pro­jekts gewe­sen; selbst die Vor­ga­ben der EU-Gui­de­lines wären weit über­trof­fen wor­den. Nur zwei Pro­zent der Frauen muss­ten zu wei­ter­füh­ren­den Unter­su­chun­gen noch­mals ein­be­ru­fen wer­den. Auch der Ver­lauf des Salz­bur­ger Pilot­pro­jekts sei sehr zufrie­den­stel­lend gewe­sen. Bei 33,6 Pro­zent der Frauen wurde wegen des dich­ten Brust­ge­we­bes zusätz­lich zur Mam­mo­gra­phie ein Ultra­schall und eine Tast­un­ter­su­chung durch­ge­führt – mit dem End­ef­fekt, dass ins­ge­samt neun Pro­zent mehr Kar­zi­nome ent­deckt wer­den konn­ten. Die Erfah­run­gen aus den bei­den Pro­jek­ten lie­ßen sich durch­aus auch auf ganz Öster­reich umle­gen, wie Früh­wald betont: „Am liebs­ten wäre uns das Tiro­ler Pro­jekt für ganz Öster­reich. Aber wir kön­nen uns auch eine Mischung aus den bei­den Pro­jek­ten vorstellen.“

Völ­lig anders hin­ge­gen ver­lief das Wie­ner Mam­mo­gra­phie-Scree­ning – es ent­stand in Anleh­nung an die vom Haupt­ver­band geplante Umstel­lung des Sys­tems. So muss­ten hier 40 Pro­zent der Frauen – also nahezu jede zweite Frau – neu­er­lich wegen eines unkla­ren Befun­des ein­be­ru­fen wer­den; sie­ben Pro­zent davon sind zur wei­te­ren Abklä­rung gar nicht mehr erschie­nen. Der schrift­li­che Befund war durch­schnitt­lich nach 15 Tagen bei den Frauen; in Aus­nah­me­fäl­len sogar erst nach mehr als 50 Tagen. War dar­über hin­aus auch noch eine his­to­lo­gi­sche Abklä­rung erfor­der­lich, ver­stri­chen von der Mam­mo­gra­phie bis zur Biop­sie unter Umstän­den bis zu 150 Tage. „Das ist inhu­man, Frauen so lange auf eine Unter­su­chung war­ten zu las­sen“, betont Früh­wald. „Die Unge­wiss­heit kann eine Lebens­krise aus­lö­sen, die psy­chi­sche Betreu­ung durch einen Ver­trau­ens­arzt ist uner­setz­bar.” Auch Jörg Pruck­ner hält den Ver­zicht auf den Ver­trau­ens­arzt für inak­zep­ta­bel: „Viele Pati­en­ten wol­len aus Angst vor der Dia­gnose erst gar nicht zu wei­te­ren Unter­su­chun­gen gehen. In die­sem Fall ist die Betreu­ung durch den Ver­trau­ens­arzt beson­ders wich­tig, die­ser kann die Pati­en­tin bestär­ken und die Ängste rela­ti­vie­ren. Das kann die Auf­klä­rungs­rate ver­bes­sern.“

Noch einen Schritt wei­ter geht der Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der Nie­der­ge­las­se­nen Ärzte in der ÖÄK, Gün­ther Waw­row­sky: „In einem Land, in dem es bis­her kein Scree­ning gege­ben hat, wäre die Idee des Haupt­ver­ban­des, wie das Scree­ning in Zukunft ablau­fen soll, ein Fort­schritt. Aber in einem Land, in dem es eine zwar nicht orga­ni­sierte, jedoch her­vor­ra­gend struk­tu­rierte Brust­krebs-Vor­sorge gibt, ist das als abso­lu­ter Rück­schritt zu sehen und den Frauen nicht zuzu­mu­ten. Wir als nie­der­ge­las­sene Ärzte wer­den von Seite der Kurie alles tun, dass es hier nicht zu einer Ver­schlech­te­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung der Frauen kommt.”

Nächste Schritte

Wie sehen die nächs­ten Schritte aus? Geht es nach dem Gesund­heits­mi­nis­te­rium, soll bis spä­tes­tens Ende Juni ein Kon­sens erzielt wer­den. Aller­dings ist bis dahin noch eini­ges zu klä­ren. Fol­gende Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen sind für die Bun­des­fach­gruppe Radio­lo­gie in der ÖÄK jedoch unverrückbar:

  • Ein­füh­rung eines Einladungssystems.
  • Die freie Arzt­wahl muss auch wei­ter­hin gewähr­leis­tet sein.
  • Eine Kopie des Befun­des muss an einen Ver­trau­ens­arzt (ent­we­der Haus­arzt oder Gynä­ko­loge), der ange­ge­ben wer­den muss, über­mit­telt werden.
  • Ultra­schall­un­ter­su­chun­gen sol­len so wie bis­her – wenn erfor­der­lich – unmit­tel­bar nach der Mam­mo­gra­phie mög­lich sein.
  • Ein zen­tra­les Regis­ter, in dem alle Mam­mo­gra­phie-Daten erfasst wer­den, soll erstellt werden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2011