Kommentar – Univ. Prof. Johannes Bonelli: Kind als Schaden

25.03.2011 | Politik

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich in den letzten Jahren mehrmals in widersprüchlicher Weise mit dem Problem „Kind als Schaden“ befasst. Die Frage, ob der Unterhalt für ein unerwünschtes Kind überhaupt unter den Schadensbegriff des bürgerlichen Rechts fällt, wird auch in der juristischen Diskussion kontrovers beurteilt.

Allgemein anerkannt wird, dass die derzeitige Praxis der Rechtssprechung unbefriedigend ist, weil sie eine Ungleichbehandlung von behinderten und gesunden Kindern beinhaltet. Während nämlich für den Obersten Gerichtshof die Geburt eines gesunden – wenn auch unerwünschten – Kindes unter keinen Umständen Ursache für einen ersatzfähigen Schaden darstellt, kann ein behindertes Kind zum Schadensfall werden, wenn die Behinderung vom Arzt nicht entdeckt wurde und die Mutter nun im Nachhinein behauptet, sie hätte das Kind abgetrieben, falls sie die Behinderung rechtzeitig erfahren hätte. Der Gerichtshof hat zwar verschiedentlich erklärt, dass seine Urteile keine Diskriminierung Behinderter enthalten.

Doch auch hier – wie bei der „Trennung“ zwischen Existenz und Unterhalt des Kindes – versucht er freilich, gegen klare Evidenzen zu argumentieren – und hier zeigt sich der Kernpunkt des Skandals, den die derzeitige Rechtsprechung mit sich bringt: das Schicksal des behinderten Kindes, das eigentlich gegen den Willen der Eltern einer Abtreibung entkommen ist. Da treten also Mutter und Vater vor ihr Kind, um ihm zu erklären: „Wenn wir rechtzeitig gewusst hätten, wie du beschaffen bist, hätten wir dich beizeiten beseitigt. Aber leider ist dem Arzt ein Fehler passiert, sodass wir jetzt deine Existenz ertragen müssen.“ Die lebenslängliche psychologische Bürde für ein Kind mit einem derart vernichtenden Werturteil seiner Eltern kann wohl niemals mit Geld aufgewogen werden. Die Rechtsprechung, die diesen menschenverachtenden Zynismus auch noch durch einen lebenslangen Schadenersatz belohnt, während Eltern, die ihr behindertes Kind vorbehaltlos annehmen, leer ausgehen, ist juristisch und ethisch eine Bankrotterklärung. Dies sei auch der Ethikkommission des Bundeskanzleramtes ins Stammbuch geschrieben.

Aus all diesen Gründen wurde der Vorstoß von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner von vielen Seiten, insbesondere auch von der Österreichischen Ärztekammer, positiv aufgenommen, wenngleich zuzugeben ist, dass das Vorgehen der Ministerin taktisch zu wünschen übrig ließ.

Die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat auch zu einer großen Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft geführt und Tendenzen in Richtung einer Defensiv- und Absicherungsmedizin ausgelöst. Tatsächlich ist die Medizin nicht eine so exakte Wissenschaft, wie sich das manche Leute wünschen würden, sondern es gibt neben den eindeutigen Diagnosen auch viele Verdachtsfälle, die in einer Grauzone liegen. Durch die jetzige Rechtssprechung besteht die Gefahr, dass Ärzte aus Selbstschutz möglicherweise einen Beratungsstil entfalten, der sich im Zweifel für die Abtreibung ausspricht.

Umso bedauerlicher ist die Auffassung des Wiener Gynäkologen Peter Husslein. In dem Augenblick, wo diese Gesetzesänderung erfolgt, meint Husslein, würden die Ärzte mit der geringsten Erfahrung in den Ultraschall-Ambulanzen Dienst versehen, die dann, weil keine Schadenshaftung droht schlampige Untersuchungen durchführen würden, um festzustellen, dass ohnehin „alles in Ordnung“ sei. Dem ist entgegenzuhalten: Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen – und auch sonst Ärzte – geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns vorwiegend an der drohenden Schadenshaftung ausrichten. Abgesehen davon geht diese Argumentation insofern ins Leere, als der Arzt für die korrekte Diagnose behandelbarer Fehlbildungen in der Pränataldiagnostik nach wie vor haftbar ist. Gerade um solche Fälle zu entdecken, ist aber eine gewissenhafte und hochqualifizierte Pränataldiagnostik nach wie vor unabdingbar. Im Übrigen bleibt auch nach der Novelle Schadenersatz für „Schockschäden“ und wohl auch für Vermögensschäden (zum Beispiel höhere Aufwendungen für behindertengerechte Raumausstattung etc. als bei entsprechender Vorbereitungszeit) der Eltern denkbar, die daraus resultieren, dass sie unvorbereitet mit einem behinderten Kind konfrontiert sind.

*) Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli ist Direktor von IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2011