Kommentar – Univ. Prof. Friedrich Kummer: Keine ärztliche Suizid-Assistenz

25.06.2011 | Politik

„Ärztinnen und Ärzten ist es verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ So lautet die Neuformulierung des § 16 der Deutschen Musterberufsordnung, die Anfang Juni 2011 vom Deutschen Ärztetag mit großer Mehrheit angenommen wurde. Dem Beschluss war eine über Monate kontrovers geführte öffentliche Debatte vorangegangen, die der scheidende Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe ausgelöst hatte. Im Februar 2011 hatte Hoppe für eine Aufweichung des ärztlichen Berufsethos plädiert: Beihilfe zum Suizid sei zwar „keine ärztliche Aufgabe“, die Gewissensentscheidung im Einzelfall sollte aber jedem Arzt selbst überlassen sein. Knapp vor dem Ärztetage ruderte der Vorstand der Deutschen Bundesärztekammer zurück – wohl aufgrund massiver Proteste aus den eigenen Reihen. Eine klare Neuformulierung wurde vorgelegt, die nun mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde. Federführend war dabei der neugewählte Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery.

Zur Vorgeschichte: Am 18. Februar 2011 hatte die Deutsche Bundesärztekammer bekannt gegeben, dass „eine Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“ sei. Damit sollte die seit 2004 gültige Formulierung ersetzt werden. Diese lautete: „Die Mitwirkung bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein“ – eine Formulierung, die für die heikle Materie des Lebensendes sensibilisieren sollte und Ärzten die Vielschichtigkeit ihres Tuns eindringlich bewusst machen. Präsident Hoppe sprach hingegen von einem „Widerspruch“ zwischen Strafrecht und ärztlichem Berufsethos, den man nun „auflösen“ sollte.

Hinter der radikalen Umformulierung stand eine schon seit Mitte 2010 anhaltende Diskussion, die sich einerseits an Urteilen des Deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) in Fällen von strittigen Kompetenzüberschreitungen im Rahmen der End-of-Life-Care und andererseits am Inkrafttreten des Gesetzes zur Patientenverfügung entzündet hatte.

Die Unverbindlichkeit der neuen Formel war bemerkenswert. Hoppe wand sich monatelang durch die Interviews mit der deutschen Presse: Es sei weiterhin wichtig darauf hinzuweisen, dass die Mitwirkung des Arztes beim Suizid dem ärztlichen Ethos widerspreche; er selbst strebe ja keineswegs eine Liberalisierung der Position der Bundesärztekammer in dieser schwierigen Frage an und er, Hoppe, würde natürlich selbst keine Suizid-Hilfe leisten.

Ende 2010 hatte die Bundesärztekammer im Zuge einer Allenbachstudie erhoben, dass 62 Prozent der befragten Ärzte die ärztliche Hilfestellung beim Suizid ablehnen – gegenüber 30 Prozent Befürwortern.

Die Palliativmedizin spielt hier wohl eine wichtige Rolle. Sie bietet beste Konzepte für den Ausweg aus dem Suizid-Dilemma. Tatsächlich sind die dort tätigen Ärzte dem menschenfreundlichen Paternalismus der verantwortlichen Obsorge verpflichtet, die sehr wohl zwischen „Nachhelfen“ (Euthanasie) und echter Sterbebegleitung zu differenzieren weiß.

Zurecht weisen Beobachter aber auch darauf hin, dass unerträgliche Schmerzen obzwar oft in den Medien als oberstes Suizid-Motiv dargestellt, in der Praxis jedoch andere Probleme Auslöser für die Bitte um Beihilfe zum Suizid sind. So würden Zahlen aus dem US-amerikanischen Bundesstaat Oregon belegen, dass, wo ärztlich assistierter Suizid legal ist, das beherrschende Motiv für den Suizid der „Verlust von Autonomie“ ist, genauer der „Verlust der Fähigkeit, etwas zu unternehmen, was das Leben lebenswert macht“. Selbst die Angst, Angehörigen zur Last zu fallen, rangiert weit vor einer tatsächlichen oder befürchteten unzureichenden Schmerzbehandlung.

Fazit: Wenn Menschen aber nicht aus medizinischen Gründen den schnellen Tod suchen, warum sollen dann gerade Ärzte hier „helfend“ einspringen?

Ärzte stehen in einer besonderen Verantwortung: Helfen sie Patienten bei der Selbsttötung, ist das auch ein Expertenurteil über den Wert menschlicher Existenz. Das aber darf und kann sich niemand anmaßen – ein Arzt, der sich zum Helfen verpflichtet hat, am allerwenigsten.

Selbst die Feuerwehr hat ihr „Bergen, Retten, Löschen, Schützen“, analog dazu die Ärzte ihr Helfen, Heilen, Lindern. Es ist sehr klug, sie nicht vom „Schützen“ zu entbinden.

*) Univ. Prof. Dr. Friedrich Kummer ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik, Wien.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2011