Kommentar – Univ. Prof. Enrique Prat: Lebensstil und ärztliche Verantwortung

25.04.2011 | Politik

Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Bewegungsarmut: Die Liste der Faktoren für Gesundheits-schädigendes Verhalten ist lang; die Kosten, die der Betroffene, aber auch das solidargemeinschaftlich organisierte Gesundheitssystem dafür zu tragen haben, sind hoch. Wie kann man Menschen dazu bringen, ihren Lebensstil nachhaltig zu verändern und gesünder zu leben? Diese Frage bereitet Medizinern, Soziologen und Gesundheitsökonomen schon seit langem Kopfzerbrechen. Zwar sind Schlagworte wie Gesundheitsförderung und Prävention in aller Munde. Und auch darüber, dass der Wandel des Krankheitspanoramas mit einer deutlichen Dominanz lebensstilbedingter Zivilisationskrankheiten einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik erforderlich macht, besteht kein Zweifel. Doch in welche Richtung soll es gehen? Aufgrund welcher Prämissen?

Besondere Verantwortung im Rahmen der Präventionsarbeit tragen die Ärzte. Der medizinische Laie kann die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien nicht auf sich allein gestellt umsetzen. Als Gesundheitsexperten sollten Ärzte Vermittler medizinischer Erkenntnisse sein und als Berater fungieren. Es hat sich längst herumgesprochen, dass Bewegung gesund ist, Rauchen schadet und Alkohol in großen Mengen abhängig macht. Aber um zu wissen, welche konkreten präventiven Maßnahmen für die spezielle persönliche Situation angemessen sind, ist man auf einen Arzt angewiesen. Ohne einen gewissen ärztlichen Beistand – zum Beispiel im Zuge der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen – kann Prävention nicht richtig gehandhabt werden.

Ein Arzt sollte seine Patienten so weit kennen, dass er ihnen sagen kann, welche Ess- und Trinkgewohnheiten für sie eine Lebensverkürzung bedeuten werden, dass zum Beispiel Rauchen nicht nur im Krankheitsfall schwere Risken mit sich bringt oder ein Mangel an Bewegung oder der Dauerstress längerfristig zu einem großen Schaden führen kann. Er sollte sich nicht damit begnügen, bloß auf Anfrage einen Ratschlag zu erteilen, sondern muss vielmehr seinen Patienten auch ungefragt auf die Gefahren und Risiken in passender, aber wirksamer Form aufmerksam machen.

Aufgrund der seit vielen Jahrzehnten vorliegenden Beweise sollte der Arzt den Patienten darüber informieren, dass er sich bereits für eine Verkürzung des Lebens entschieden hat, wenn er sich nicht für eine Lebensstiländerung entscheidet. Es liegt auf der Hand, dass dabei die Vorbildfunktion des Arztes indirekt eine Rolle spielt. Wie etwa soll man glaubhaft seinen Patienten dringend vom Rauchen abbringen, wenn man selbst Raucher ist?

Die Wahl des Lebensstils ist eine höchstpersönliche Entscheidung des Patienten. Allerdings darf man hier die Rolle der Autonomie nicht überbewerten. Der Entscheidungsspielraum des Einzelnen ist eng. Denn die Wahl des Lebensstils ist von vielen sozialen, familiären, ethnischen und sonstigen biographischen Gegebenheiten konditioniert. Es spricht nichts dagegen, dass der Arzt ohne Druck, aber durch gutes Zureden und Überzeugungsarbeit die Patienten auf die Tugend der Prävention hinführt, das heißt, dass er seine Patienten bei ihren Entscheidungen begleitet, damit sie in gesundheitlichen Fragen allmählich jene Sensibilität entwickeln, die der tugendhaften Haltung der Prävention eigen ist.

Im Gegenzug dazu müsste der Arzt, der aus seinem Beruf mehr als eine reine Fachberatertätigkeit machen will, diese Aufgabe als eine wesentliche und vorrangige ansehen. Leider ist diese Funktion des Arztes im modernen Gesundheitssystem kaum noch wahrnehmbar. Auf der einen Seite ist heute die Arzt-Patient-Beziehung nicht durch jenes Vertrauensverhältnis gekennzeichnet, die eine solche Aufgabe möglich machen würde. Auf der anderen Seite mangelt es an der dafür notwendigen kommunikativen Kompetenz, die in der Ausbildung der Ärzte viel zu kurz kommt, und letztlich auch an der Zeit, die solche Unterweisungen erfordern.

In welche Richtung sollten sich Medizin, Menschen und gesundheitsökonomische Systeme bewegen, um aus der Falle der vermeidbaren Krankheiten herauszukommen? Von einer Tagung Mitte Mai in Wien zum Thema „Lebensstil und persönliche Verantwortung“ darf man sich dazu wichtige Impulse erwarten.

Tipp:

Nähere Informationen und Anmeldung zur Tagung „Lebensstil und persönliche Verantwortung“ am 12. und 13. Mai 2011 in Wien unter www.imabe.org

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2011