Inter­view – Dr. Wolf­gang Rou­til: Stei­er­mark: Reform ohne Ärzte?

25.05.2011 | Politik

Geht es nach den Plä­nen der Poli­tik, ste­hen im stei­ri­schen Gesund­heits­sys­tem große Ver­än­de­run­gen an. Ärz­te­kam­mer-Prä­si­dent Wolf­gang Rou­til kri­ti­siert, dass die Ärzte bis dato bei den Pla­nun­gen nicht mit dabei waren. Seine For­de­rung: Die Ärz­te­kam­mer muss sofort mit ein­be­zo­gen wer­den. Das Gespräch führte Agnes M. Mühlgassner


ÖÄZ: In wel­cher Form ist denn die stei­ri­sche Ärz­te­kam­mer in die Gestal­tung der loka­len Gesund­heits­po­li­tik ein­ge­bun­den?

Rou­til: Wir war­ten noch immer auf eine Ein­la­dung, an den Pla­nun­gen mit­zu­wir­ken. Das ist trotz der Zusi­che­rung der Lan­des­rä­tin Edlin­ger-Plo­der nicht umge­setzt wor­den. Daher stellt sich natür­lich die Frage, wie der wei­tere Fahr­plan aus­sieht, wenn diese Pla­nun­gen wei­ter hin­ter ver­schlos­se­nen Türen ablau­fen. Ich gehe aber davon aus, dass man, wenn es kon­kret wird, nicht umhin kön­nen wird, alle Stake­hol­der, also auch die Kran­ken­haus­trä­ger, Sozi­al­ver­si­che­rer und die Ärz­te­kam­mer, zusam­men­zu­brin­gen und gemein­sam die Inter­ven­ti­ons­lo­gik, die hier Platz grei­fen soll, abgleicht. Sonst ist ja das Ziel der gan­zen Inter­ven­tion nicht erreich­bar, wie ja das Gut­ach­ten, das wir in Auf­trag gege­ben haben, zeigt.

Wie lau­ten die Kern­punkte der Kri­tik?

So sehr die grund­sätz­li­che Vor­gangs­weise, das heiße Thema end­lich anzu­ge­hen, zu begrü­ßen ist, fehlt hier die Grund­lage der Arbeits­pro­zesse: Wem soll die Reform die­nen? Ist sie nur eine Bud­get­ent­las­tung? Dann wird sie gefähr­lich. Ist sie eine Bud­get­kos­me­tik, ist sie abzu­leh­nen. Sol­len die Abläufe in der Gesund­heits­ver­sor­gung aber ver­bes­sert wer­den im Sinn einer inte­grier­ten Ver­sor­gung nicht nur als Lip­pen­be­kennt­nis, son­dern dass die Pati­en­ten­ströme ana­ly­siert und eine Ver­bes­se­rung im Sinn einer Len­kung erwirkt wird, dann geht es nur mit allen Akteu­ren. In der vor­lie­gen­den Revi­sion des RSG ist ein dür­rer Bet­ten­schlüs­sel mit Zah­len und poli­ti­schen Absichts­er­klä­run­gen ver­ziert und wir müs­sen zu Recht davor war­nen, zu glau­ben, dass im heu­ri­gen Jahr auch nur ein ein­zi­ges Ziel davon auch nur ansatz­weise umge­setzt wer­den kann.

Das heißt: Hier geht es nur um Bud­get­ent­las­tung, im schlimms­ten Fall gar nur um Bud­get­kos­me­tik?
Das ist zu befürch­ten. Wir müs­sen rasch alle ver­füg­ba­ren Daten der Ärz­te­kam­mer, der GKK, der Gesund­heits­platt­form und auch der KAGES zusam­men­füh­ren und die Gesund­heits­ver­sor­gung in all ihren rele­van­ten Fel­dern am Pati­en­ten­fo­kus ori­en­tie­ren, neu pla­nen und erst dann über­le­gen, wel­che Abtei­lun­gen mög­li­cher­weise zu schlie­ßen sind oder wel­che Häu­ser mög­li­cher­weise umge­wan­delt wer­den müs­sen. Die Ärz­te­kam­mer Stei­er­mark hat bereits im Vor­jahr ein Modell für eine Ver­trags­be­zie­hung mit Pfle­ge­hei­men ent­wor­fen und dem Land vor­ge­stellt, wobei vor­ge­se­hen ist, dass jede Pfle­ge­ein­rich­tung einen eige­nen Koor­di­na­tor unter Ver­trag neh­men muss, der den gesam­ten Ver­sor­gungs­pro­zess koor­di­nie­ren soll. Das wäre eine große Chance für Wahl­ärzte, aber auch für kleine Kas­sen­pra­xen, die sonst nicht lebens­fä­hig wären. Es geht nicht an, dass Pfle­ge­pa­ti­en­ten zur ambu­lan­ten Ver­sor­gung in die Ambu­lanz der Uni­ver­si­täts­kli­nik gefah­ren wer­den müs­sen. Sicher­lich besteht auch die Not­wen­dig­keit, Pfle­ge­pa­ti­en­ten für eine bestimmte Zeit sta­tio­när zu ver­sor­gen. Hier sind ger­ia­tri­sche Abtei­lun­gen erfor­der­lich. Man kann aber sicher nicht nur Kran­ken­haus-zen­triert ein­spa­ren und das, was drau­ßen geschieht, dem Zufall über­las­sen. Für den Spät­som­mer wurde uns ja der zweite Teil des RSG ver­spro­chen, wo die ambu­lan­ten Struk­tu­ren einer Pla­nung unter­zo­gen wer­den sol­len.

Ist die Ärz­te­kam­mer die­ses Mal bei der Pla­nung mit dabei?

Wir wur­den bis heute in die­sem Zusam­men­hang noch nicht ein­ge­la­den – trotz Urgenz. Es wird höchste Zeit für die Lan­des­rä­tin, die Ankün­di­gung in die Tat umzusetzen.

Die stei­ri­sche Gesund­heits­lan­des­rä­tin hat kürz­lich im Inter­view mit der ÖÄZ gemeint, mit mehr Team­ar­beit im Spi­tal gäbe es mehr Effi­zi­enz und damit könn­ten auf lange Sicht Kos­ten gespart wer­den. Ist das so?
Ein grund­sätz­lich rich­ti­ges Zitat des Auf­ru­fes zur Zusam­men­ar­beit schafft noch lange keine Ver­bes­se­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für die ärzt­li­che Arbeit. Es ist ja nicht so und daher muss man das auch zurück­wei­sen, dass ange­stellte und nie­der­ge­las­sene Ärzte nicht zusam­men­ar­bei­ten wol­len, ganz im Gegen­teil: Die Ärz­te­kam­mer als Ver­tre­tung bei­der Inter­es­sens­grup­pen hat ein gemein­sa­mes Modell einer Ärzte-GmbH geschaf­fen, wo aus­drück­lich vor­ge­se­hen ist, dass die Team­ar­beit in einer gemein­sa­men Ein­rich­tung mit unter­schied­li­chen Inten­si­tä­ten je nach Erfor­der­nis mög­lich ist. Unsere Auf­gabe ist es – und das ist schwie­rig genug – mit der GKK einen Ver­trag zustande zu brin­gen. Der RSG sieht in jedem Kran­ken­haus eine Akute Erst­auf­nahme Ein­heit vor. Aber es steht nicht dabei, wie die betrie­ben wer­den sol­len. Die Ärz­te­kam­mer hat einen kon­kre­ten Vor­schlag: Man soll ein Modell einer sol­chen Aku­ten Erst­auf­nahme Ein­heit schaf­fen und in Form einer Ärzte-GmbH mit einem Grup­pen­pra­xis­ver­trag umset­zen.

Ins­ge­samt sol­len im stei­ri­schen Gesund­heits­we­sen 900 Mil­lio­nen Euro ein­ge­spart wer­den – ohne dass die Pati­en­ten etwas mer­ken. Wie kann das gehen?

Das ist ja absurd. Ein Bei­spiel: In Ober­ös­ter­reich sol­len neun Pro­zent der Bet­ten abge­baut wer­den. In der Stei­er­mark 10,5 Pro­zent der Bet­ten, obwohl Ober­ös­ter­reich der­zeit an Belags­ta­gen um zehn Pro­zent und an voll­sta­tio­nä­ren Auf­ent­halts­ta­gen 20 Pro­zent über der Stei­er­mark liegt. Wenn man bei der Ver­sor­gung durch die Kran­ken­häu­ser her­un­ter­fährt, ohne dass man im nie­der­ge­las­se­nen Bereich zusätz­li­che Auf­fang­struk­tu­ren schafft, wird sich unwei­ger­lich ein Ver­sor­gungs­eng­pass abzeichnen.

Wie lau­ten Ihre kon­kre­ten For­de­run­gen?
Unsere For­de­rung ist, dass wir unmit­tel­bar in Gesprä­che ein­be­zo­gen wer­den. Wei­ters sollte eine Steue­rungs­kom­mis­sion ein­ge­rich­tet wer­den, in der die Lan­des­rä­tin, die KAGES, die GKK und die Ärz­te­kam­mer ver­tre­ten sein soll­ten. Diese soll­ten zusam­men den Pro­zess der Ver­sor­gungs­re­form inter­na­tio­nal gül­ti­gen Bench­marks und Kri­te­rien unter­zie­hen und nach Ana­lyse der Pati­en­ten­ströme Umfang und Rei­hen­folge der Arbeits­schritte fest­le­gen.

Soll der Pati­ent wei­ter nach sei­nem Ermes­sen im Gesund­heits­sys­tem Leis­tun­gen in Anspruch neh­men kön­nen?

Nein. Es muss klar gesagt wer­den, dass in einem Sys­tem, das nach allen Sei­ten begrenzt wer­den soll, in das jeden­falls die Res­sour­cen nur begrenzt ein­flie­ßen sol­len, die Pati­en­ten gelenkt wer­den müs­sen.

Wer soll steu­ern?

Einer muss len­ken, aber dem muss man den Auf­trag dazu geben. Und den Auf­trag soll die Poli­tik geben. Ich denke, dass es sol­che Len­kungs­mo­delle bereits gibt. Hier gibt es das Haus­arzt­mo­dell der ÖÄK und auch das Pro­jekt styriamed.net des regio­na­len Ärz­te­ver­bun­des, wo nie­der­ge­las­sene Ärzte und Spi­tals­ärzte zusam­men den Pati­en­ten durch das Sys­tem füh­ren. Das, was die Poli­tik wünscht, muss sie auch finan­zie­ren, und wenn sie das nicht kann, muss sie es dem Pati­en­ten sagen und nicht die Ärzte zu Bot­schaf­tern der schlech­ten Nach­rich­ten machen, was und warum jetzt und in Zukunft nicht geht.

In Vor­arl­berg wird über­legt, wie­der eine Ambu­lanz­ge­bühr ein­zu­füh­ren, und zwar 100 Euro. Ist das auch eine Option für die Stei­er­mark?
Ja. Wir brau­chen Steue­rungs­ele­mente. Auch die stei­ri­sche Ärz­te­kam­mer schlägt die Wie­der­ein­füh­rung der Ambu­lanz­ge­bühr vor. Das macht in einem Gesamt­kon­zept der Steue­rung, an dem kam­mer­in­tern in der Stei­er­mark der­zeit noch gear­bei­tet wird, durch­aus Sinn.

Kann man im Gesund­heits­we­sen – Stich­wort Demo­gra­phie, Stich­wort Spit­zen­me­di­zin – über­haupt irgend­et­was ein­spa­ren?
Es gibt einen Punkt der Mach­bar­keits­stu­die von Har­tin­ger-Con­sul­ting, wo ein­deu­tig fest­ge­stellt wird, dass nicht erkenn­bar ist, wel­che Methode zur Ein­füh­rung neuer medi­zi­ni­scher Tech­ni­ken ein­ge­setzt wird und wie diese bewer­tet wer­den. So führt Ober­ös­ter­reich 1,5 Pro­zent für den medi­zi­ni­schen Fort­schritt an, im stei­ri­schen RSG fin­det sich dazu gar nichts. Heißt das jetzt: Es wird kein medi­zi­ni­scher Fort­schritt mehr ein­ge­führt oder hat man das nicht bear­bei­tet – wir wis­sen es nicht. Wir sind aber über­zeugt, dass mit dem, was jetzt vor­liegt, keine Ein­spa­run­gen mög­lich sind, wenn die Ver­sor­gung nicht dar­un­ter lei­den soll.

Was bie­ten die Ärzte ihrer­seits an?

Dass sich etwas ändern muss und nicht alles so wei­ter­ge­hen kann wie bis­her, ist mitt­ler­weile allen klar. Das, was hier bewegt wer­den soll, betrifft alle Ärzte in der Stei­er­mark, alle ange­stell­ten Ärzte und alle nie­der­ge­las­se­nen Ärzte. Ärzte-GmbHs und regio­nale Ärz­te­ver­bünde sind unsere Modelle. Wir sind auch alle bereit, an die­sem Reform­pro­zess mit­zu­ar­bei­ten. Wir akzep­tie­ren nur nicht, dass nie­mand mit uns redet.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2011