Interview – Vize-Präs. Günther Wawrowsky: E-Medikation: Rechtsklarheit schaffen

15.07.2011 | Politik

Rechtsklarheit schaffen

Die vielfach geäußerte Kritik an den Ärzten, den Stopp des Pilotprojekts E-Medikation zu fordern, weist der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Günther Wawrowsky, zurück. Bevor es weitergeht, müsse erst eine rechtsverbindliche Klärung der Sachlage erfolgen, sagt er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.


ÖÄZ: Die Vollversammlung der ÖÄK hat gefordert, dass die E-Medikation gestoppt wird. Ist das nicht eine überzogene Reaktion angesichts der Tatsache, dass es sich dabei ja nur um ein Pilotprojekt handelt?

Wawrowsky: Ich kann darin keine überzogene Reaktion sehen – im Gegenteil: Durch den Bescheid des Bundesvergabeamtes, dass die Auftragsvergabe des Hauptverbandes an die beteiligten Softwarefirmen rechtswidrig erfolgt ist, ist diese Forderung eigentlich die einzig logische Konsequenz. Dem Hauptverband ist auch der direkte Kontakt mit den Softwarefirmen untersagt worden, was eine sinnvolle Fortführung des Projektes allein schon unmöglich macht. Und dass der Hauptverband nun versucht, diesen Bescheid zu umgehen, indem er die Pilotärzte auffordert, sich selbst um alle erforderlichen technischen Installationen zu kümmern und die Ärzte alle dadurch bei den Softwarefirmen entstehenden Rechnungen an den Hauptverband schicken sollen – so kann es ja wirklich nicht gehen.

Hätte man nicht die Evaluierung des Pilotprojekts abwarten sollen?
Der Hauptverband darf derzeit keine Neuinstallierungen von Software bei den im Pilotprojekt beteiligten Ärzten durchführen. Ebenso dürfen keinerlei Supportleistungen durchgeführt werden, was ja jegliche sinnvolle Evaluierung des Projekts unmöglich macht. Noch dazu ist ja sowohl von Seiten der Patienten als auch von Seiten der Ärzte das Interesse an der Teilnahme enden wollend: Bis jetzt sind es 105 Ärzte, die mitmachen und von den geplanten 50.000 Patienten, die der Hauptverband als Zielgröße genannt hat, sind wir ja noch meilenweit entfernt.

Eine Aufforderung zum Weitermachen kommt nicht nur vom Hauptverband, sondern auch vom niederösterreichischen Patientenanwalt Gerald Bachinger. Seiner Ansicht nach dürfe das Pilotprojekt E-Medikation nicht an ‚juristischen Spitzfindigkeiten wie Vergabeformalitäten’ scheitern.
Es kann doch nicht sein, dass ein Jurist in seiner Funktion Vergabepraktiken toleriert, die – so sieht es jedenfalls das Bundesvergabeamt – nicht rechtens waren. Und man kann sicherlich auch gespannt sein, welche Meinung die EU hier vertritt.

Der Patientenanwalt argumentiert damit, dass bei den bisher rund 6.000 involvierten Projektteilnehmern 88 schwerste Wechselwirkungen festgestellt wurden.
Sagt der Jurist Bachinger, für den ein Rechtsbruch aber wieder kein Problem darstellt. Ich hingegen bin Arzt und betreue seit Jahrzehnten Tag für Tag Patienten und weiß daher, dass man oft Wechselwirkungen bewusst in Kauf zu nehmen hat, weil es aufgrund des vorliegenden Krankheitsbildes einfach nicht anders geht. Das zeichnet verantwortungsvolles ärztliches Handeln aus: zu beurteilen, was man in Kauf nehmen kann und muss. Das, mit Verlaub, beherrschen wir besser als ein Jurist. Übrigens vergisst Bachinger zu erwähnen, dass diese 88 schweren Wechselwirkungen von den Ärztinnen und Ärzten bewusst akzeptiert wurden. Auch ein Hinweis auf Unlauterkeit oder Unkenntnis.

Erst kürzlich veröffentlichte Umfragen haben ergeben, dass in der Bevölkerung die Zustimmung zur E-Medikation sehr groß ist. Ist das nicht Grund genug, trotz aller Widrigkeiten weiter zu machen?

Was helfen Umfragen bei der Bevölkerung wenn man hier offensichtlich schlampig mit geltenden Gesetzen umgeht? Abgesehen davon ist schon auch die Seriosität solcher ‚Umfragen’ zu bezweifeln, wenn mit suggestiv gestellten Fragen die Antworten quasi vorweggenommen werden.

Wie soll es nun weitergehen? Hat das Projekt E-Medikation überhaupt noch eine Chance?
Jetzt ist Gesundheitsminister Alois Stöger am Zug. Er muss bei dieser Problematik Klärung herbeiführen. Erst, wenn es keine offenen Fragen mehr gibt, können und werden wir Ärztinnen und Ärzte wieder aktiv am Pilotprojekt E-Medikation mitarbeiten. Bis jetzt konnte mir noch niemand beantworten, wie es haftungsrechtlich aussieht, wenn die Ärzte trotz allem weiter Patienten für das Pilotprojekt rekrutieren und es tatsächlich zu einem schwerwiegenden Zwischenfall kommen sollte. Ich möchte nicht in der Haut dieses Arztes stecken.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2011