Interview – Präs. Walter Dorner: „Das ist Vertragsverletzung“

25.01.2011 | Politik

„Das ist Vertragsverletzung“

Von einer Machtdemonstration des Hauptverbandes und einer Vertragsverletzung spricht ÖÄK-Präsident Walter Dorner angesichts des Masterplans Gesundheit. Weitere Themen im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner: Krankenanstalten, Ausbildung, Ärzte-GmbHs sowie die jüngste Gesetzesnovelle von Justizministerin Bandion-Ortner.

ÖÄZ: Sie haben den Masterplan Gesundheit heftigst kritisiert. Beide Kurien haben sich in Resolutionen dagegen ausgesprochen, die Kurie niedergelassene Ärzte hat sogar alle Gespräche mit dem Hauptverband ausgesetzt. Haben Sie nicht Sorge, dass man den Ärzten Gesprächsverweigerung vorwirft?
Dorner: Ich weiß nicht, ob das schon Gesprächsverweigerung ist. Ich habe diese Sorge nicht. Man muss seinem Gegenüber Nachdenkzeiten geben, und vielleicht ist diese Nachdenkphase für den Hauptverbandsvorsitzenden wichtig. Die Gespräche sind sine ira et studio ausgesetzt. Man kann ein Vertragsverhältnis nicht derart mit Füßen treten. Was mich natürlich besonders bedrückt, dass wir wieder in das alte Fahrwasser zurückfallen, das wir vor drei, vier Jahren gehabt haben. Es handelt sich nur noch um eine Machtdemonstration des Hauptverbandes und es geht wie immer und überall in unserer Gesellschaft nur mehr ums Geld. Es geht nicht um Menschen, es geht nicht um Zuwendung, es geht nicht um Kommunikation. Es geht um diese Geringschätzung von Werten, die eigentlich das menschliche Zusammenleben ausmachen.

Können Sie dem Masterplan auch etwas Positives abgewinnen?
Jeder Gedanke hat auch gute Anteile. Es gibt Dinge, die sie 1:1 von unseren gesundheitspolitischen Perspektiven übernommen haben. Das ist ja nicht so, dass hier Notwendigkeits-Verweigerung aufgetreten wäre. Das kann man nicht sagen. Aber es ist die Form, wie man hier vorgeht: Man macht vor zwei Jahren mit jemandem einen Vertrag und dann kümmert man sich ganz einfach nicht mehr darum. Das ist Vertragsverletzung. Es gilt anscheinend nichts mehr. Das ist das Bedrückende. Nicht, dass Schelling seine Pläne um jeden Preis durchsetzen will. Ich habe mir auch nichts Anderes erwartet: Ein Manager macht halt sein System so, dass er am Schluss denkt, dass er eh alles richtig macht. Aber vielleicht macht er nicht das Richtige.

Minister Stöger will im Bereich der Krankenanstalten eine Zentralisierung herbeiführen. Es soll auch ein einheitliches KA-AZG geben …

So ein Novum ist das nicht. Das haben wir ja schon in unseren gesundheitspolitischen Perspektiven festgehalten, dass es wichtig wäre, ein Krankenanstaltenrecht zu haben, das für ganz Österreich gilt und dem die Länderregelungen untergeordnet sind. Hier hat man wieder einmal ein zu kleines Zaumzeug für ein zu großes Pferd bereit gestellt.

Der Minister möchte die Vergabe von Budgetmitteln außerdem mit der Einhaltung von Zielvorgaben verknüpfen. Wie sehen Sie das?
Zielvorgaben sind inhaltlich der Beginn von Rationierung. Und dann geht es uns so wie vielleicht vielen anderen EU-Staaten, dass die Angehörigen von Patienten die Bettwäsche nach Hause zum Waschen mitnehmen, weil sie mehr als eine Woche nicht gewechselt wird – wie in Ungarn etwa.

An den Uni-Kliniken häuft es sich, dass Klinische Abteilungen einfach nicht mehr nachbesetzt werden wie etwa die Abteilung für Spezielle Gynäkologie in Wien oder etwa die Ernährungsmedizin, dafür soll es ja in Zukunft einen Lehrgang in Krems geben.

Hier kann man durchaus von einem „Zurückfahren“ an den Universitäten sprechen. Was will man eigentlich? Warum sagt man nicht offen: Wir wollen auf diese Art und Weise das Gesundheitssystem herunterfahren? Und man kann doch wirklich nicht die Wiener Universität mit Universitätsanfängen in Krems vergleichen. Ich glaube nicht, dass der dortige Lehrgang adäquat ist. Grundsätzlich ist es ja nicht allein Sache der Politik, sondern auch die Damen und Herren im Universitätsrat müssten sich überlegen, wie man das Top-Niveau in Österreich und damit auch die jungen Wissenschafter hier halten kann.

Wenn Sie in das Ausbildungssystem eingreifen und sofort etwas ändern könnten: Was würden Sie tun?
Da sind wir bereits wieder bei der Politik. Die Politik in Österreich ist nicht bereit, die Lehrpraxis zu finanzieren, in keiner Form. Das Land schiebt es auf den Bund, der Bund auf das Land und letztlich alle auf die Ärzte, so dass letztlich die Lehrpraxisinhaber für die Republik ausbilden müssen.

In Deutschland gibt es einen eklatanten Ärztemangel, weil die deutschen Ärzte weggehen und trotzdem zieht es viele österreichische Ärzte dorthin – wieso?

Es gibt eigentlich genug promovierte Ärzte in Deutschland, aber sie gehen nicht in die Medizin. Sie sind nicht mehr bereit, die Lasten eines derartigen Berufslebens ein Leben lang zu tragen. Das ist es. Die Idealvorstellungen bei jungen Menschen ändern sich. Sie wollen auch Lebensqualität und nicht nur ein Leben lang im Bergwerk der menschlichen Zuwendung tätig gewesen sein. Dazu kommen noch Einengungen von allen Seiten. In Deutschland etwa will man Ärzte für entlegene Stellen zwangsverpflichten. Ja, dann wird überhaupt niemand mehr hingehen. Oder man macht ein verstaatlichtes System wie in England. Aber es ist bei jeder Zentralisierung so: Je größer der Moloch wird, umso teurer wird er und umso schlechter ist er zu organisieren. Das System geht in die falsche Richtung.

Auch bei uns?
Wenn man die Tendenzen in manchen Bereichen betrachtet: ja. Es gibt immer weniger individuelle Möglichkeiten, dafür immer mehr vorschriftsmäßig doktrinäre Unterwerfungszustände. Je mehr bei den Krankenkassen herunter gespart wird und man den Menschen Leistungen vorenthält, umso eher wird es auch hier so werden.

Seit 1. Jänner dieses Jahres sind die Ärzte-GmbHs in Kraft – eine lange schwere Geburt. Sind Sie zufrieden mit der vorliegenden Form?
Naja, man könnte sagen, es war eine Zangengeburt, die Gott sei Dank zu keinen Verletzungen geführt hat. Aber das jetzt in eine praktikable Form umzusetzen, wird schon noch eine Weile dauern. Man hat es ja den Ärzten nicht gerade leicht gemacht. Denn alle, die sich davor gefürchtet haben, dass der Kuchen zu klein für sie wird, haben sich massiv dagegen gestellt. Trotz allem glaube ich, dass Ärztegesellschaften vor allem in Zukunft in Ballungsgebieten wichtig sein werden, vor allem wegen der Vielfalt der heutigen Diagnostik. Genauso am Land: wenn sich hier Ärzte gleicher Fachrichtungen zusammenschließen. Aber wenn der Gesetzgeber bei fachverschiedenen Ärzten Pauschalhonorierungen haben will, sieht man schon wieder, dass es von außen eine Einschränkung geben wird. Das wird sich erst zeigen, ob die Ärzte das überhaupt machen.

Eine andere Form der engeren Zusammenarbeit hat man bei der Gesundheitsberufe-Konferenz gewählt. Worum geht es hier konkret?

Diese Initiative ist ein ganz wichtiger Punkt in der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und nicht-ärztlichen medizinischen Berufen. Es ist wichtig, dass wir die vertrauensbildende Basis erweitern und auch gegenseitig ein neues Verständnis entwickeln für den jeweils anderen Beruf. Es ist ein wichtiger Punkt der medizinischen Lebensgemeinschaft, dieses Zusammenarbeiten, das Verständnis haben für den Beruf des anderen, für die Probleme des anderen. Das müssen die Ärzte lernen, das müssen wahrscheinlich die Gesundheitsberufe lernen.

Sie haben zu Beginn Ihrer Präsidentschaft begonnen, die einzelnen Landesärztekammern zu besuchen. Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit hier?
Die Länderbesuche haben sich sehr bewährt. So ist beispielsweise die Kommunikation mit den Ländern besser als früher. Wenn man die Landesärztekammern besucht, muss man wissen, dass man sich auch heiklen Fragen stellen muss. Aber die, die einladen, müssen auch wissen, dass man dann entsprechende Antworten bekommt.

Ministerin Bandion-Ortner hat kürzlich eine Gesetzesnovelle vorgelegt, um die ein heftiger Disput entbrannt ist. Wie sehen Sie das?
Diese Gesetzesnovelle sagt aus, dass die Geburt eines behinderten Kindes kein Schaden ist, vielleicht ein Mehraufwand. Aber wo fängt der Schaden an? Ist Leben ein Schaden? Da wird es problematisch. Ich erwarte mir zu dem Thema auch klare Aussagen von den Ordinarii der Gynäkologie und auch von der Kirche. Meine Position ist ganz eindeutig: Die Geburt eines Kindes kann kein Schaden sein. Das kann man nicht mit Geld abtun – Schuld hin, Schuld her. Wo hört die Schuld des Gynäkologen auf, wo beginnt die Schuld der Eltern? Natürlich ist es tragisch, wenn es zur Geburt eines behinderten Kindes kommt. Aber ich glaube nicht, dass man jede Verantwortung dem behandelnden Gynäkologen
auferlegen kann.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2011