Interview – Dr. Michael Jonas: Im Brennpunkt: der ärztliche Nachwuchs

10.09.2011 | Politik



Die Bereitschaft von Jungärzten, sich als Hausarzt niederzulassen, sinkt. Aktivitäten in diesem Bereich sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für angestellte Ärzte zählen zu den Hauptanliegen des Internisten Michael Jonas, der kürzlich zum Präsidenten der Ärztekammer Vorarlberg gewählt wurde.
Das Gespräch führte Ruth Mayrhofer.


ÖÄZ: Welche drei vorrangigen Ziele wollen Sie während Ihrer Amtszeit erreichen?
Jonas: Eines der brennendsten Probleme ist der ärztliche Nachwuchs. Ich bin mit dem Auswahlverfahren für das Medizinstudium unzufrieden. Die Anzahl der Vorarlberger Medizinstudenten hat seit der Einführung des Eignungstest für das Medizinstudium im Jahr 2007 um 40 Prozent abgenommen. Zudem stehen wir vor einer großen Pensionierungswelle im angestellten und mehr noch im niedergelassenen Bereich. Vor allem der Nachwuchs für Allgemeinmediziner wird immer weniger, sodass schon jetzt Probleme bei der Besetzung von Kassenstellen bestehen. Zudem gibt es Ausbildungsprobleme bei Turnusärzten für Allgemeinmedizin. Die Berufsaussichten für Allgemeinmediziner und auch den meisten Fachgruppen sind bestens, dennoch sinkt bedauerlicherweise vor allem die Bereitschaft zur Ausübung des Hausarztberufes. Diese Gesamtthematik ist mein vorrangigstes Ziel.
Zweitens: Gemeinsam mit der Kurie der angestellten Ärzte muss in absehbarer Zeit eine Gehaltsreform für Spitalsärzte erarbeitet und durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Primararzt-Verträge mehr als Reform-bedürftig. Bei der Abgabe von Einnahmen aus der Betreuung von Privatversicherten an den Spitalserhalter liegt Vorarlberg im Spitzenfeld.
Drittens: Eine Verbesserung der Vertragsbedingungen für Kassenärzte und eine Erhöhung des seit vielen Jahren stagnierenden Wahlarztrückersatzes sind im niedergelassenen Bereich prioritär.

Sie haben nach Ihrer Wahl betont, dass Sie die „gute und kollegiale Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen und den angestellten Ärzten fortsetzen“ wollen. Welche konkreten Schritte wollen Sie dazu setzen beziehungsweise wie wollen Sie die unterschiedlichen Interessenslagen unter einen Hut bringen?

Wesentlich ist ein permanenter Austausch zwischen den Kurien, damit es zu keinen großen Differenzen kommt, das möchte ich intensivieren. Ich sehe keine allzu großen Differenzen der Interessenslagen. Jeder will mit Freude seinen Beruf ausüben. Da gibt es jedoch sowohl im angestellten wie auch im niedergelassenen Bereich vergleichbare Störfaktoren: die zunehmende Bürokratie, die Patientenbegehrlichkeit und die dienst- und vertragsrechtlichen Einschränkungen beziehungsweise Rahmenbedingungen.

Ihr Anliegen ist es, die medizinische Qualität in der Versorgung der Patienten zu erhalten. Welche Punkte machen Ihnen dabei besonders zu schaffen?
Die finanzielle Situation. Entweder wird vom politischen und medialen Dogma abgegangen, dass ausreichend Geld im System ist – dann kann alles bleiben wie es ist – oder es werden Lenkungsinstrumente für die Patientenströme eingeführt, da sonst die Versorgung in absehbarer Zeit kollabiert. Die Versorgungspyramide mit Basisversorgung durch Allgemeinärzte, dann die niedergelassene Versorgung durch Fachärzte und erst dann die spitalsärztliche Versorgung wird zwar im Stellenplan der kassenärztlichen Versorgung gelebt, bleibt jedoch wirkungslos, wenn sich die Patienten ohne Sanktionen aussuchen können, welche Versorgungsebene sie aufsuchen. Mit dem Ergebnis, dass die Spitalsambulanzen und Spitäler überrannt werden. Das ist nicht nur eine Frage der Öffnungszeiten im niedergelassenen Bereich, sondern vor allem eine Frage des politischen Mutes. Zu schaffen macht auch das Wissen, dass mit den derzeit eingesetzten finanziellen Mitteln das Versorgungsniveau trotz der demographischen Veränderungen gehalten werden und zudem die erfreulichen medizinischen Fortschritte flächendeckend angeboten werden sollten.

Auch Vorarlberg droht ein Ärztemangel. Wie kann man diesem begegnen?
Änderungen bei der Zulassung zum Medizinstudium, Verbesserung der Turnusärzteausbildung durch Entbürokratisierung und Förderung des selbstständigen Arbeitens, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung der angestellten Ärzte, Anpassung der Vertragsbedingungen im niedergelassenen Bereich an die Bedürfnisse junger Ärztinnen und Ärzte.

Vorarlberg gilt seit langem als Musterland der Gesundheitsvorsorge. Gesamt-österreichisch betrachtet scheint Prävention aber nicht sehr weit oben auf der politischen Agenda zu stehen. Wie wollen Sie in diesem Umfeld die Vorbild-Rolle Ihres Bundeslandes erhalten?
In Bezug auf die Prävention war Gesamtösterreich immer schon aus Vorarlberger Sicht „rückständig“, was sich auf das Vorsorgebewusstsein der Vorarlberger Bevölkerung und Ärzteschaft nie ausgewirkt hat. Das war in der Vergangenheit so und wird auch in Zukunft keine Auswirkungen haben. Allerdings ändert sich in den anderen Bundesländern das Vorsorgebewusstsein merklich zum Positiven, was uns freut. Dabei spielt das Engagement der Ärztinnen und Ärzte, der verschiedenen Fachgesellschaften, aber auch der Medien und der Politik eine besondere Rolle, vielleicht auch der Blick nach Vorarlberg.

Das österreichische Gesundheitswesen ist in vielen Teilen reformbedürftig. Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um es tatsächlich „zum besten der Welt“ werden zu lassen?
Ich bin davon überzeugt, dass es das beste der Welt ist. Das belegen unabhängige Meinungsumfragen der österreichischen Bevölkerung und Bewertungen von unabhängigen europäischen Institutionen. Dennoch sind immer Verbesserungen möglich. Reformbedarf orten vor allem jene, die gebetsmühlenartig Forderungen nach Kostenreduktion im Gesundheitswesen stellen, dies trotz permanent zu erbringender ärztlicher Mehrleistungen und der enormen medizinischen Innovationen. Reformbedarf sehe ich vor allem in der Gesundheitserziehung betreffend Ernährung und körperlicher Aktivität, diesbezüglich versagt das Schulsystem. Ferner bedarf es einer Intensivierung der Präventionsforschung für Alt und Jung und der unabhängigen medizinischen Forschung mit Förderung der raschen Ergebnisumsetzung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2011