Interview – Joannes Castelein: Dokumentation: besser durch Fachkräfte

10.04.2011 | Politik

Dokumentation, Administration und Organisation kann ohne Qualitätsverlust von dafür ausgebildeten Fachkräften – und nicht von Ärzten – erledigt werden. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer Forschungsarbeit des Tiroler Gesundheitsmanagers Joannes Castelein. Details dazu erläutert er im Gespräch mit Kurt Markaritzer.


ÖÄZ: Was war der Anlass für Ihre Analyse?

Castelein: Ich bin seit vielen Jahren in der Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH beschäftigt und ich kenne von da her die Klagen der österreichischen Spitalsärzte über zu lange Dienstzeiten und zunehmenden Zeitdruck bei der Behandlung von Patienten. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Zunahme an Dokumentations-, Administrations- und Organisationsaufgaben. In Deutschland, wo vergleichbare Beschwerden laut geworden sind, gibt es bereits speziell ausgebildete ‚Dokumentationsassistenten’, welche die Spitalsärzte bei den Dokumentations- und Codierungsaufgaben unterstützen. Ich habe die administrative Belastung der Spitalsärzte analysiert und dieses Forschungsvorhaben als Dissertationsthema bei der „UMIT – Die Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik“ eingereicht.

Kann man das Ergebnis kurz zusammenfassen?
In der Arbeit wird nachgewiesen, dass Ärzte in den Spitälern mit Dokumentations-, Administrations- und Organisationsaufgaben belastet werden, die ohne Weiteres von anderen, speziell dafür ausgebildeten Fachkräften in gleicher oder besserer Qualität erledigt werden können. Es wird im Hinblick auf die künftige Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens und auch unter Berücksichtigung von demographischen Entwicklungen notwendig sein, die verschiedensten Arbeitsprozesse im Spitalswesen gründlich zu analysieren, die Aufgabenverteilung im Spital neu zu organisieren und die Berufsausbildungen den neuen Verantwortlichkeiten anzupassen.

Das Problem ist ja nicht neu. Aber es sieht so aus, als würde sich das Dilemma verschärfen, dass Ärzte immer mehr nicht-medizinische Aufgaben wahrnehmen und dafür Zeit aufwenden müssen, die sie eigentlich den Patienten widmen sollten.
Es gibt mehrere Gründe, warum die Problematik zunehmend akut wird. Zum einen hat die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf Fall-bezogene Pauschalleistungen dazu geführt, dass sich die durchschnittlichen Liegezeiten in den Spitälern deutlich verkürzt haben, während die Anzahl der stationären Fälle österreichweit zugenommen hat und auch die Spitalsambulanzen deutlich erhöhte Patientenfrequenzen aufweisen. Eine der Folgen ist, dass in den Spitälern deutlich mehr dokumentiert, administriert und organisiert werden muss. Ein Teil dieses Mehraufwandes ist von den Spitalsärzte zu leisten. Zwar hat sich im Zeitraum 1991 bis 2006 die Zahl der Spitalsärzte in Österreich von 11.827 auf 17.622 erhöht und gleichzeitig die Wochenarbeitszeit von 74 auf 59 Stunden verringert. In Summe hat sich somit die Jahresdienstzeit der Spitalsärzte um 18 Prozent erhöht. Allerdings ist in der gleichen Zeit die Zahl der stationären Aufnahmen von 1.640.790 auf 2.428.370 gestiegen. Obwohl es also mehr Ärzte gibt, die allerdings zum Teil durch die Erhöhung der Frauenquote teilzeitbeschäftigt sind, steht für die einzelnen Patienten weniger Zeit zur Verfügung. In Zahlen: Im Jahr 1991 kamen auf einen Krankheitsfall noch 22,40 Stunden spitalsärztliche Dienstzeit, 2006 waren es dagegen nur noch 17,98 Stunden. Dazu kommt, dass der Spezialisierungsgrad bei den Fachärzten immer mehr zunimmt, was dazu führt, dass immer mehr Ärzte bei der Behandlung eines Patienten eingebunden werden. Das wiederum stellt höhere Anforderungen an die Qualität und Quantität der Dokumentation und Administration.

Wie wirkt sich das bei den Ärzten aus?
Ich habe für meine Dissertation 167 Ärzte schriftlich befragt. Natürlich gibt es je nach Einsatzbereich und Fach Unterschiede. Aber im Durchschnitt haben die Spitalsärzte, die bei der Umfrage mitgemacht haben, erklärt, dass sie im Schnitt pro Tag für die „Laufende Dokumentation im Patientenakt bis zur Entlassung“ 53,8 Minuten und für die „Visiten-Dokumentation“ 29,6 Minuten aufwenden. Insgesamt beanspruchen diese Aufgaben einen Arzt pro Tag im Ausmaß von 80,7 Minuten.

Müssen die Ärzte alle diese Tätigkeiten unbedingt selbst erledigen?
Offensichtlich nicht, wie eine Detailanalyse zeigt. Im gemischten Tätigkeitsbereich auf der Station, in der Ambulanz und im Operationssaal werden nach Angaben der Ärzte in Summe 38,5 Prozent der Arbeitszeit mit Dokumentations- und Administrationsaufgaben verbracht. Davon sind im Schnitt 50 Prozent delegierbar. Zusätzlich wird in den gemischten Tätigkeitsbereichen in Summe 10,5 Prozent der Arbeitszeit mit Organisationsaufgaben verbracht. Davon könnten im Schnitt 80 Prozent delegiert werden.

Dafür bräuchte man aber spezielle Fachkräfte.
Ein erster Schritt zur Neuverteilung der Aufgaben im Gesundheitsbereich könnte die Einführung des Berufes ‚Medizinischer Administrationsassistent’ sein. Das ist natürlich eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, für die volle Geschäftsfähigkeit gegeben sein muss. Die Kandidaten müssen also zumindest das 18. Lebensjahr vollendet haben. Einiges spricht dafür, eine fünfjährige duale Ausbildung inklusive Matura als Ausbildungsgang anzubieten, schließlich ist eine breite Basis an Allgemeinwissen für den Beruf unumgänglich. Als Alternative könnte eine zweijährige Fachausbildung dienen, die auf mindestens zehn Jahren allgemeiner Schulbildung aufbaut. Fest steht, das für das spätere Tätigkeitsspektrum Qualifikationen wie Berufskunde, Recht und Betriebswirtschaft sowie Arbeitsorganisation, Kommunikation und Kooperation ebenso notwendig sind wie fachspezifische Qualifikationen. Dazu zählen Informationstechnologien, Statistik, Medizin und Dokumentation.

Bleibt natürlich die Frage: Wer bezahlt die Neueinführung?

Hier sollte man Zahlen sprechen lassen. Medizinisch-administratives Personal könnte unter anderem die Pflege der Patientenakten und das Befundmanagement, das Entlassungsmanagement und die Vorbereitung von Arztbriefen, die Terminorganisation und Terminkoordination für Zusatzuntersuchungen und weitere Behandlungen sowie die Codierung von ICD und MEL vornehmen. Wenn nur dieser Lösungsansatz umgesetzt wird, könnten die Spitalsärzte im Vergleich zur heutigen Situation 28 Prozent ihrer Dienstzeit anders verwenden. Wenn man das in Gehaltsanteile umrechnet und berücksichtigt, dass Doku-Assistenten natürlich weniger verdienen als Ärzte, kann man damit für das österreichische Gesundheitswesen einen Betrag von 166.000.000 Euro pro Jahr einsparen. Das Geld könnte beispielsweise für den Ausbau der spitalsärztlichen Versorgung um knapp 2.000 Stellen verwendet werden, der angesichts der demographischen Entwicklung mit der alternden Bevölkerung jedenfalls notwendig werden wird. Immerhin werden im Jahr 2030 2.106.192 Menschen über 60 sein, die aus Altersgründen krankheitsanfälliger sind.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2011