Health Technology Assessment: Was HTA wirklich kann

10.05.2011 | Politik

Was kann HTA und welche Werte müssen dabei einfließen? Haben der gesellschaftliche und gesundheitliche Nutzen oder die ökonomische Relevanz Priorität? Im Rahmen einer Podiumsdiskussion versuchten Experten, Antworten auf diese Fragen zu geben.
Von Marion Huber

Was kann Health Technology Assessment wirklich? Ist es bloß ein Feigenblatt oder dient es der objektiven Evaluierung? Diesen kontroversiellen Fragen widmete sich eine Veranstaltung, zu der die Karl-Landsteiner-Gesellschaft zusammen mit der Österreichischen Ärztekammer Mitte April eingeladen hatte.

Ein Feigenblatt wird dazu benutzt, etwas vor anderen zu verbergen, um seine moralische Angreifbarkeit nicht offensichtlich zu machen. Dabei ist besonders die Transparenz eine Priorität von HTA, wie Lukas Pfister vom Pharmaunternehmen Merck Sharp & Dohme in seinem Impulsreferat zu Beginn der Veranstaltung betonte. Transparenz sei neben Zusammenarbeit, Datenqualität, Unabhängigkeit, Voraussetzbarkeit und dynamischer Effizienz eines der obersten Ziele. In Bezug auf die Zusammenarbeit hob er besonders die HTA-Kooperation in Europa hervor. So ist zum Beispiel das European Network for Health Technology Assessment – kurz EUnetHTA – ein Netzwerk, das HTA-Aktivitäten von 25 EU-Ländern sowie Norwegen, Kroatien und der Schweiz koordiniert, um ein nachhaltiges und effektives Netzwerk für HTA zu schaffen.

Dass Österreich aber im europäischen Vergleich auf diesem Gebiet großen Nachholbedarf hat, machte Claudia Wild vom Ludwig Boltzmann-Institut für Health Technology Assessment in ihrem Statement deutlich. Zwar gaben bei einer Erhebung im Jahr 2008 insgesamt 38 Institutionen in Österreich an, HTA anzubieten, was Wild bezweifelte: „Dass Österreich ein wahres ‚Eldorado’ für HTA sein soll, ist absolut unglaubwürdig.“ Ihre Einschätzung der Situation: Während in Europa etwa im Rahmen von EUnetHTA intensiv gearbeitet werde, sei Österreich viel zu langsam. „In Europa fährt der Zug viel schneller, dort wird er schon ankommen, bevor er in Österreich überhaupt anrollt“, so Wild weiter.

Auch der Präsident der Karl-Landsteiner-Gesellschaft, Univ. Prof. Bernhard Schwarz, wies auf den Rückstand Österreichs hin: „In anderen Ländern gibt es große Institutionen. In Österreich gibt es nur wenige HTA-Anbieter, die noch dazu jedes Jahr um die Finanzierung kämpfen müssen.“ Wild kann dies – dass es vor allem an der fehlenden Finanzierung scheitert – aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Daran hätte selbst die vom Gesundheitsministerium im Jahr 2008 beauftragte nationale HTA-Strategie, mit Hilfe derer HTA stärker im Gesetz hätte verankert werden sollen, nichts geändert. „Dem politischen Willen folgte keine Finanzierung. Die nationale Strategie ist in diesem Punkt Papier geblieben“, resümierte Wild.

Streitpunkt Finanzierung

Dass die Finanzierung einen Streitpunkt darstellen kann, räumte auch ÖÄK-Vize-Präsident Artur Wechselberger ein. Er beschrieb HTA als „Mittel im Kampf um den Finanzierungstopf“. So sei es speziell im Gesundheitswesen so, dass dem einen Geld entzogen wird, wenn dem anderen Geld zur Verfügung gestellt wird. Die Bewertung von Wechselberger: „Was es wiegt, das hat es. Aber die Waage muss stimmen, die Spielregeln müssen stimmen und die Gewichte müssen geeicht sein.“ Gerade darin, die richtige Balance zu finden, ortete Gottfried Endel, Leiter der Abteilung für Evidence Based Medicine und Health Technology Assessment im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, das Problem. Das Gesundheitssystem sei in ein Gesamtsystem eingebunden und damit auch von anderen System-Teilnehmern abhängig. „Die gänzlich unterschiedlichen Interessen dieser Teilnehmer – der Beitragszahler, der Patienten und der Leistungserbringer – muss man unter einen Hut bringen“, betonte Endel.

Wie sieht nun ein optimaler politischer Entscheidungsprozess in diesem dynamischen Gesundheitssystem aus? „HTA trifft die Entscheidungen nicht selbst, aber es trägt zur politischen Entscheidungsfindung bei der Einschätzung von Pharmaka, Technologien und Therapien bei“, erklärte Endel. Dem Appraisal – also dem Prozess, bei dem HTA-Erkenntnisse zusammen mit anderen Faktoren zu einer Entscheidung führen – räumte er einen großen Stellenwert ein, da es hier zu einer Wertediskussion komme. Denn auch Wissenschaft sei nicht frei von Werten, sondern finde in einem Raum statt, dessen Werterahmen von der Gesellschaft gesetzt werde, so der Vertreter des Hauptverbandes. HTA habe zwar wesentliche Aufgaben; der Einfluss der Werte auf die Entscheidung im Appraisal gehöre jedoch nicht dazu. „Werte einfließen zu lassen, ist Sache des Gesetzgebers, des politischen Entscheidungsträgers“, konkretisierte er. „Das ist nur ein frommer Wunsch!“ – konterte Artur Wechselberger: „Gesetzgebung hat oft – besonders was den Gesundheitsbereich betrifft – sehr wenig mit Werten zu tun.“ Assessment im Gesundheitswesen habe viel mit Rationierung zu tun. „Nur sagt das in Österreich niemand direkt. Man versteckt Rationierungen und delegiert sie letztendlich an den Leistungserbringenden Arzt und in das direkte Arzt-Patienten-Verhältnis“, kritisierte er.

Zwar sei die Ökonomie ein Teil des Assessments; im Gesundheitsbereich gehe es jedoch primär um den medizinischen Nutzen. Und gerade deshalb müsse man ihm, Wechselberger, als Vertreter der Ärzte zugestehen, dass die ärztlichen Werte in HTA einzufließen hätten: „Die medizinischen Werte, die Fragen der sozialen Bedeutung und der Ethik müssen im Vordergrund stehen und dann erst kommt die Frage der ökonomischen Relevanz.“ Dabei gebe der Gesetzgeber besonders bei Pharmaka eine ökonomische Evaluation vor und kein Health Technology Assessment. „Erst wenn ein Pharmakon nach Jahren vom Markt verschwinden muss, weil der Nutzen in Schaden umgeschlagen ist, zeigt sich, dass es kein Health Technology Assessment war, sondern nicht mehr als eine ökonomische Bewertung“, betonte er. Bevor der Gesetzgeber sich dazu entschließt, ein Gesetz zu erlassen, müsste er ein Health Technology Assessment durchführen lassen, um eine Entscheidungsgrundlage zu haben.

Relevanz und Transparenz

Während Gottfried Endel die Notwendigkeit einer rationalen Entscheidungspolitik betonte, haben für Artur Wechselberger der gesellschaftliche und gesundheitliche Nutzen höchste Priorität. Vor allem die Relevanz von Assessments und die Transparenz seien wesentlich. „Man muss einfach wissen: Was steckt dahinter, wer will was? Ich glaube, dass es nichts bringt, etwas als HTA zu apostrophieren, was letztlich den Austausch einer Methode durch eine gleichwertige, vielleicht modernere, aber nicht bessere Methode darstellt“, so die Kritik von Wechselberger.

Hat sich HTA also etabliert? Diese Frage stellte Prof. Robert Fischer – in Vertretung für den Wiener Patientenanwalt Konrad Brustbauer – abschließend zur Diskussion und gab selbst eine Antwort: „Nein, für mich hat sich HTA nicht als das etabliert, was ich mir erhofft habe – zumindest noch nicht.“ Dass Health Technology Assessment aber durchaus von großem Nutzen sein könnte, verdeutlichte Artur Wechselberger anhand eines Beispiels. So hätte man etwa bei ELGA sehr wohl ein Assessment benötigt, hätte es aber verabsäumt, es zu veranlassen. „Man hat eine technische Machbarkeitsstudie gemacht und eine Kosten-Nutzen-Analyse, die man in den Schubladen verschwinden ließ, weil sie nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hat. Und man hat einen Gesetzesentwurf gemacht, der all die Werte, all den Nutzen sowie die Konsequenz für den Einzelnen und die Gesellschaft nicht darstellt“, erklärte Wechselberger. „Hätte man hier ein Assessment gemacht, bräuchte man sich nicht darüber zu streiten, was ELGA kostet oder ob es datenschutzrechtlich gefährlich ist – man würde es nämlich wissen!“, so sein Fazit.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2011