Gesundheit im Internet: Virtuell (un-)informiert

25.04.2011 | Politik

Wenn auch viele Patienten das Internet als zusätzliche Informationsquelle nutzen, so wendet sich doch jeder Patient immer direkt an einen Arzt, wie eine Studie des Instituts für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien ergab.
Von Kurt Markaritzer

Besonders kritisch sind die wissbegierigen Internetnutzer dabei nicht, sie achten meist wenig auf die Qualität der medizinischen Informationen. Nur wenige User achten darauf, wer eigentlich die entsprechenden Informationen im Netz anbietet. „Meistens werden nur Unterseiten und nicht die gesamte Website besucht. Qualitätslabel werden kaum beachtet, weil sie entweder nicht erkannt oder überhaupt nicht gefunden werden“, konstatiert Univ. Prof. Ulrike Felt, Vorstand des Instituts für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien, die das Phänomen untersucht hat, wie medizinisches Wissen aus dem Internet die Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten beeinflusst.

Um zu überschaubaren Ergebnissen kommen zu können, wurde das Thema eingeschränkt. Felt: „Wir haben auf deutschsprachigen Webseiten vier relativ weit verbreitete Krankheitsfelder ausgewählt: Asthma, Diabetes, Rheuma und Neurodermitis.“

So zeigt sich, dass die meisten Patienten die Gesundheitsinformationen im Internet bei vier Gelegenheiten nützen:

  • Vor dem Arztbesuch zur Überbrückung von Wartezeiten und zur Einordnung von Symptomen, zur Hilfe bei der Formulierung von Fragen an den Arzt und zur Information über den Arzt.
  • Nach dem Arztbesuch zur Übersetzung der vom Arzt erhaltenen Information, zur Erweiterung des Wissens, zum Vergleich der ärztlichen Diagnosen mit der Erfahrung anderer Patienten, und – selten – zur Kontrolle des Arztes.
  • Zwischen den Arztbesuchen, um auf dem Laufenden zu bleiben, kleinere Probleme des Alltags als Kranker zu lösen und Erfahrungen mit anderen Betroffenen auszutauschen, zur Einordnung von Symptomen und Nebenwirkungen oder auch um zu entscheiden, ob ein Arztbesuch notwendig ist.
  • Immer wieder zur Bewältigung bzw. zum Verständnis von Krankheit im Allgemeinen beziehungsweise für die Krankheiten anderer, die im eigenen Umfeld auftreten.

Manche Patienten betrachten die Suche nach Wissen über ihre Krankheit als Unterstützung für den überlasteten Arzt, dem sie Arbeit abnehmen wollen, ohne ihn und seine Kompetenz in Frage zu stellen. Andere wiederum nutzen die Erkenntnisse aus dem Internet für „Verhandlungen“, welche die Geduld des Mediziners ziemlich strapazieren können. Meist geht es dabei um die Frage, warum der Patient diese oder jene Therapie nicht erhält. Eine dritte Gruppe teilt ihre Krankheit sozusagen in zwei Teile. Der eine Teil ist die medizinisch-technische Behandlung, für die der Arzt zuständig und kompetent ist. Der andere Teil betrifft den der Krankheit angemessenen Lebensstil – und das Wissen dazu holen sich die Kranken aus dem Internet. Ihr Motto: „Niemand kann alles wissen, auch der Arzt nicht, außerdem ist das nicht seine Aufgabe.“

Die Ärzte wiederum begrüßen zwar durchwegs, dass viele Patienten über ihre Krankheit informiert sein möchten, sehen dabei aber auch Probleme. Viele Kranke finden im Internet nicht die richtigen Informationen, ihr „Halbwissen“ verleitet sie aber dazu, sich nicht an die verordnete Therapie zu halten. Auch in anderer Hinsicht ist die Informationsbeschaffung aus dem Internet in gesundheitlichen Fragen problematisch: Gar nicht wenige Patienten bilden sich nach den ausgiebigen Recherchen am PC alle möglichen Krankheiten ein, was zu regelrechten Neurosen führen kann.

Für Ärzte ist das Wissensangebot im Internet jedenfalls eine beachtliche Herausforderung, die zu beachtlichen Veränderungen in ihrer täglichen Arbeit führen dürfte. Sie müssen ihr Verhältnis zum Patienten überdenken und sich gleich an sechs neue Bedingungen gewöhnen, heißt es in der Studie.

Das Studiendesign

Das Projekt „Virtuell Informiert – Untersuchung der Rolle und Auswirkungen des Internets als Gesundheitsinformationsquelle im österreichischen Kontext“ gliederte sich in mehrere Teile. Für das Experiment, bei dem die Technik der Suche nach Gesundheitsinformationen untersucht wurde, wurden 18 Männer und 23 Frauen ausgewählt. Die größte Gruppe waren die 26- bis 40-Jährigen, gefolgt von den 41- bis 60-Jährigen. 75 Prozent hatten Matura oder Hochschulabschluss, 25 Prozent Pflichtschulabschluss oder Lehrausbildung. 60 Prozent gaben an mit dem Internet vertraut zu sein, und etwa 40 Prozent suchten regelmäßig nach Gesundheitsinformationen.

Zusätzlich wurden 644 Kurzfragebögen in zwölf Arztpraxen gesammelt und danach 18 Frauen und 15 Männer ausgewählt, die gezielt zu ihrer Internetnutzung in Zusammenhang mit ihrer Krankheit interviewt wurden. Etwa 50 Prozent der Befragten gaben an, täglich im Internet zu surfen, fast 30 Prozent taten das allerdings nie, das waren vor allem ältere Personen. Von denen, die das Internet nutzen, gaben 60 Prozent an, nach Gesundheitsinformationen gesucht zu haben, allerdings haben nur 20 Prozent darüber auch mit dem Arzt gesprochen. Nur ein sehr geringer Prozentsatz von vier Prozent gab an, das Internet hätte ihnen durch Gesundheitsinformation einmal den Arztbesuch erspart.

Parallel dazu wurden auch mit zehn Ärzten Interviews geführt, um Einblicke in ihre Sicht der Bedeutung des Internets in der Arzt-Patienten-Beziehung und ihre Einschätzungen über den Umgang von Patienten mit der Information aus dem Internet zu erhalten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2011