Ethik und Pränataldiagnostik: Eine Frage der Menschenwürde

25.02.2011 | Politik

Die Pränataldiagnostik mutet jenen, die sie in Anspruch nehmen, zu, in Entscheidungskonflikte zu geraten, die es sonst nicht gibt. Was sich vor allem im Hinblick darauf, dass viele Schwangere nolens volens mit der Pränataldiagnostik konfrontiert werden, als problematisch erweist. Eine ethische Annäherung an das Thema.
Von Ruth Mayrhofer

Die Chancen der Pränataldiagnostik liegen – und darin sind sich alle für diesen Beitrag Befragten einig – darin, dass man schon vorgeburtliche Erkrankungen bei Kindern feststellen kann und sich im Fall eines Falles rechtzeitig auf notwendige Interventionen oder die Durchführung von lebenserhaltenden Maßnahmen nach der Geburt vorbereiten kann. In diesem Sinne dient die Pränataldiagnostik zunächst dem Interesse des Kindes und seiner Gesundheit sowie der Versorgung von Neugeborenen, insbesondere Frühgeburten. Gleichermaßen kann die Pränataldiagnostik helfen, Eltern, die beunruhigt sind, Ängste zu nehmen, indem mögliche Risiken mit entsprechenden Untersuchungen abgeklärt werden.

Ethische Dilemmata vorprogrammiert?

Grenzen und Probleme hingegen orten Ethiker auf einer wesentlich breiteren Basis. Der katholische Theologe Markus Zimmermann-Acklin vom Department für Moraltheologie und Ethik der Schweizer Universität Freiburg, umschreibt die Gefahren und Schwierigkeiten, die mit einer Pränataldiagnostik verbunden sind, mit dem Begriff der Medikalisierung der Schwangerschaft und der Geburt, „in dem Sinne als eine relativ – Betonung auf ‚relativ‘ – unbelastete Phase im Leben von jungen Paaren zu einem medizinischen Staffellauf wird“. In diesem Zusammenhang betont Zimmermann, dass „die heutigen Schwangeren nicht mehr vor die Wahl gestellt sind, eine Pränataldiagnostik durchführen zu lassen oder nicht, sondern aufgrund der wesentlichen Verbesserungen des Ultraschalls nolens volens mit der Pränataldiagnostik konfrontiert sind.“ Univ. Prof. Ulrich Körtner, Vorstand des Wiener Instituts für Ethik und Recht in der Medizin ergänzt: „Natürlich ist es gut, wenn einer Frau mit 36 Jahren die Sorge, ihr ungeborenes Kind könnte Down-Syndrom haben, genommen werden kann. Andererseits mutet die Pränataldiagnostik jenen, die sie in Anspruch nehmen, zu, in Entscheidungskonflikte zu geraten, die es sonst nicht gibt.“ Besonders, so Körtner, kommen ethische Dilemmata dann zum Tragen, wenn es um die Frage eines allfälligen Schwangerschafts-Abbruches geht.‘

Vorschub für Defensivmedizin

Univ. Prof. Günter Virt, katholischer Theologe und Mitglied der European Group on Ethics in Science and New Technologies in Brüssel, warnt vor Pränataldiagnostik „ohne medizinische Indikation“. Sie kann – nach Ansicht von Virt – auf fatale Weise einer Defensivmedizin Vorschub leisten, wenn der Arzt bei vielfältigen Unsicherheiten immer die jeweils schlimmste Diagnose unter allen möglichen kommuniziert. Und: Sicherheit für ein „gesundes“ Kind könne auch die Pränataldiagnostik nicht geben, wie das oft suggeriert wird. Hingegen müsse bedacht werden, dass es je nach Methode der Pränataldiagnostik durch diese zu Schädigungen des ungeborenen Kindes kommen könne und es natürlich immer wieder falsch-negative oder falsch-positive Diagnosen gäbe. „Es geht im Kern um die Würde des verletzlichen Mensche, den Schutz alles Menschlichen“, umreißt Michael Peintinger, Ethikreferent der Ärztekammer für Wien, das Thema, „und damit um den Kern des ärztlichen Ethos“.

Beratung: das Um und Auf

Im Brennpunkt – auch in Sachen Ethik – im Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik ist somit eine umfassende und gute Beratung der Schwangeren beziehungsweise der werdenden Eltern, die insgesamt verbesserungswürdig erscheint, besonders dann, wenn ein auffälliger Befund vorliegt. „In diesem Fall gilt es, die verlorenen Freiheitsmöglichkeiten wiederzugewinnen, die verschiedenen Alternativen zu besprechen und Hilfestellungen wie etwa Selbsthilfegruppen auszuloten“, meint Günter Virt. „Auf alle Fälle ist – und das braucht Zeit – die bereits bestehende Beziehung zum ungeborenen Kind Stück für Stück in ihrer Vielschichtigkeit anzusprechen. Dabei soll das ungeborene Kind in seiner Abhängigkeit, Eigenständigkeit und in seiner Würde ausdrücklich in den Fokus gerückt werden.“

Ulrich Körtner verweist darauf, dass gemäß medizinethischer Betrachtung eine Beratung grundsätzlich nicht direktiv erfolgen, also eine Schwangere durch ihren Arzt nicht in eine bestimmte Richtung gelenkt werden dürfe. So ganz einfach ist das aber nicht. Körtner: „Hier liegt eine große Verantwortung auf Seiten des Arztes: Auf der einen Seite muss er die Selbstbestimmung, die weltanschauliche Wertigkeit, die Grundeinstellung und die Orientierung der Schwangeren respektieren. Auf der anderen Seite muss er sich über seinen eigenen Standpunkt klar sein und dies alles gegeneinander so abwägen, dass er der Betroffenen nicht seine eigene ethische Sichtweise aufzwingen will.“

Irreversible, dramatische Entscheidungen

„Wenn es um die Ethik geht, geht es erst einmal darum, dass die Sorgfaltspflicht bei der Beratung eingehalten und auf die Gesprächsqualität in der Beratung Wert gelegt wird“, sagt Körtner. Er weist außerdem darauf hin, dass es speziell im Bereich der Schwangerenberatung wichtig sei, nicht nur auf Hoffnungen und Ängste einzugehen, sondern auch auf mögliche Risiken oder Irrtums-Potenziale hinzuweisen, darauf aufmerksam zu machen, dass etwa eine Chorionzottenbiopsie oder eine Amniozentese potenziell eine Fehlgeburt des Ungeborenen herbeiführen können. Auch über die Möglichkeit von Fehldiagnosen müsse geredet werden; selbst dann, wenn letztlich dabei nicht der Arzt, sondern der Genetiker im Hintergrund einen Fehler mache. Und Fehler gibt es bekanntlich: „Ein falsch negativer Befund kann genauso dramatisch sein wie ein falsch positiver“, mahnt Michael Peintinger. Denn „jede Entscheidung, die danach getroffen wird, ist unumkehrbar – bei einem falsch positiven Befund aber zumeist tödlich!“

Wie weit die Aufklärungspflicht tatsächlich reicht, ist seit längerem Gegenstand der Debatte. Körtner: „Zum einen soll die Aufklärung nicht verunsichern oder verängstigen, zum anderen darf der Arzt ‚nicht nur so im Ungefähren‘ bleiben, sondern muss schon präzise auf mögliche Verdachtsmomente und Folgen hinweisen.“ Dabei sei jedoch zu bedenken, dass – und das belegen auch empirische Untersuchungen – dem Arzt-Patienten-Gespräch noch immer zu wenig Platz eingeräumt wird und dass ein solches nicht immer adäquat oder gar nicht honoriert wird.

Kommunikation braucht Qualitätssicherung

In der Praxis sind Ärzte für heikle Aufklärungs- beziehungsweise Beratungsgespräche (derzeit noch) nicht wirklich gut gerüstet, gibt es in Österreich das Fach „Kommunikation“ – anders als etwa in den USA – doch nur in Ansätzen im Curriculum des Medizinstudiums. Dieses Manko spricht Günter Virt auch aus ethischer Sicht an: „Für eine wirklich human kompetente Beratung bedarf es nicht nur einer grundlegenden Ausbildung – auch in Gesprächsführung – und einer steten Weiterbildung, wie in anderen Bereichen auch. Besonders wünschenswert wäre eine ‚Qualitätssicherung‘ der Beratung durch alle Beratenden.“ In die gleiche Kerbe schlägt Ulrich Körtner: „Neben Kommunikationstrainings sollte außerdem dem Fach Ethik ein noch größerer Platz eingeräumt werden; schließlich geht es um beides.“ Auch älteren Ärzten, so der Experte, sollte man ein diesbezügliches regelmäßiges Fort- und Weiterbildungsangebot unterbreiten.

Ein Blick ins ‚tägliche Leben‘

Die Gynkäkologin Univ. Prof. Barbara Pertl ist in ihrer Grazer Ordination für Pränataldiagnostik und Risikoschwangerenbetreuung sowie bei ihrer Tätigkeit im LKH Deutschlandsberg tagtäglich mit werdenden Müttern beziehungsweise Eltern und deren Freuden, aber auch Sorgen und Problemen konfrontiert. In ihrem Umfeld, so erzählt sie, hat die Anzahl der Schwangeren, die ein Organscreening im Sinne einer Vorsorgeuntersuchung in Anspruch genommen haben, um Herzfehler oder andere Organfehlbildungen auszuschließen, „sehr stark zugenommen“. Auch wird zunehmend der Combined Test der Schwangeren in Anspruch genommen, die wissen möchten, ob bei ihrem Kind ein Risiko für eine Chromosomenstörung besteht. „Die meisten werdenden Eltern freuen sich auf die Ultraschall-Untersuchungen im Sinn einer bildlichen Kontaktaufnahme mit ihrem Baby. Ängst äußern sie am ehesten im Zusammenhang mit dem Combined Test. Diese Untersuchung als Screening für Chromosomenstörungen wirft viele grundsätzliche ethische und moralische Fragen für die werdenden Eltern auf“, sagt Pertl. Dabei gehts es zumeist um das Down-Syndrom. „Wenn Eltern einen Schwangerschaftsabbruch bei dieser Chromosomenstörung für sich ausschließen und das Baby auf jeden Fall bekommen möchten, würde ich ihnen davon abraten, eine solche Risikobestimmung durchführen zu lassen“, gibt die Gynäkologin – selbst Mutter von drei Kindern – zu bedenken. Anstelle dessen, meint Pertl, könnte man in diesem Fall anstelle des ‚klassischen‘ Combined Tests ‚nur‘ eine detailliertere Ultraschalluntersuchung in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche durchführen, um schwere Fehlbildungen auszuschließen.

In vielen Bereichen der Medizin besteht eine immer höher werdende Erwartungshaltung, da durch das Internet medizinische Informationen leicht und allgemein zugänglich, aber dadurch auch unübersichtlicher geworden sind. Dadurch erhöht sich – so die Erfahrung von Barbara Pertl – auch der Anspruch auf eine ausführliche Beratung, eine Entwicklung, die als „grundsätzlich positiv“ bewertet. Der Nachteil dieser Entwicklung besteht für sie jedoch darin, dass dadurch ein (manchmal) zu starker Druck zur Aufklärung besteht, der das Verhältnis zwischen den werdenden Eltern und dem behandelnden Arzt auch belasten kann. Dazu kommt, dass das Erschwerende in der pränataldiagnostischen Beratung darin liegt, dass einerseits viele Erkrankungen des Ungeborenen diagnostizierbar sind, andererseits lässt sich jedoch bei einem Teil dieser Erkrankungen die Prognose schlecht einschätzen und nicht alle Erkrankungen sind prä- und postpartal therapierbar. Die Ursache für Fehlbildungen ist in den meisten Fällen unbekannt. „Das ist für werdende Eltern oft am Beginn der Aufklärung schwer zu verstehen“, gibt Pertl zu bedenken.

Wie aber damit umgehen? Pertl: „Wichtig sind ausführliche Erklärung und Beratung. Bei einer diagnostizierten Fehlbildung ist ein interdisziplinäres Gespräch mit Fachärzten für Kinderheilkunde, Kinderchirurgie, Genetik, Pränatalmedizin, etc. sicher am wichtigsten. Diese Beratungsgespräche der werdenden Eltern mit den Kinderärzten, die später ihr Kind behandeln werden, haben auf die meisten Eltern eine sehr beruhigende Wirkung.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011