ELGA: Viel Geld für nichts?

10.11.2011 | Politik


Mit Hilfe von Studien lassen sich Vorteile von elektronischen Gesundheitsakten nicht belegen. Entscheidende Fragen hinsichtlich des Datenschutzes und der Kosten sind nach wie vor offen. Dennoch will der Gesundheitsminister im Eilzugstempo das ELGA-Gesetz Wirklichkeit werden lassen – koste es, was es wolle.

Von Agnes M. Mühlgassner

Und genau die Kosten sind auch einer der größten Streitpunkte zwischen Gesundheitsminister Alois Stöger und der ÖÄK. Während der Minister davon überzeugt ist, dass sich ELGA im wahrsten Sinn des Wortes „rechnet“ – ist Berechnungen der ÖÄK zufolge jedoch mit einer unabsehbaren Kostenexplosion zu rechnen. Die Details: Alois Stöger hat kürzlich Zahlen präsentiert, wonach die elektronische Gesundheitsakte bis 2017 rund 130 Millionen Euro kosten soll. Demgegenüber stehen – wegen der Vernetzung und der damit leichteren Verfügbarkeit der Daten – Einsparungseffekte von jährlich circa 128 Millionen Euro. „Eine nicht nachvollziehbare Wunschvorstellung“ – so bezeichnet ÖÄK-Präsident Walter Dorner diesen Betrag. Denn bei der letzten Besprechung zum Thema ELGA im Gesundheitsministerium hätte er den Minister gebeten, die Basis für diese Kostenschätzung zu übermitteln, was jedoch nicht erfolgt sei. „Wir müssen also davon ausgehen, dass die nunmehr kolportierten 130 Millionen Euro jeglicher seriöser Kostenberechnung entbehren“, so das Fazit von Dorner.

Konkrete Berechnungen darüber, was ELGA den Ärzten tatsächlich kostet, hat die Wiener Ärztekammer bei Hübner & Hübner in Auftrag gegeben. Für die Ärztekammern entstehen dadurch zusätzliche Kosten (etwa durch die Bereitstellung von Daten aus der Ärzteliste); davon sind 2,8 Millionen Euro Investitionskosten sowie Betriebskosten von 3,8 Millionen Euro. Für die niedergelassenen Ärzte entstehen an Investitionskosten (Hardware und Software) rund 102 Millionen Euro; die jährlichen Betriebskosten betragen rund 63 Millionen Euro.

Den größten Nutzen aus ELGA sehen die Autoren der Debold & Lux-Studie für den Staat und die Allgemeinheit; die Kosten aber fallen in den ärztlichen Ordinationen und den Krankenhäusern an, wo mit erheblichen Investitionskosten zu rechnen ist: pro Vertrags-Ordination mit 2.200 Euro, pro Wahlarzt-Ordination mit 2.600 Euro und für ein Spital zwischen 200 und 999 Betten mit 136.500 Euro (siehe auch Kasten „Investitionskosten für Ärzte und Krankenhäuser“). Darüber hinaus gibt es Schätzungen, wonach die Einführung von ELGA für jeden Arzt einen zusätzlichen Zeitaufwand für die Administration von zwei Wochen pro Jahr verursacht.

Angesichts dieser Entwicklungen hat die Ärztekammer für Wien Anfang November eine Inseratenkampagne in österreichischen Tageszeitungen gestartet. Mit Slogans wie „ELGA kostet Sie Ihr letztes Hemd“ oder „ELGA stellt Sie bloß“ soll die Bevölkerung für die Problematik der zentralen Datenspeicherung im Gesundheitsbereich sensibilisiert werden. Der Minister bezeichnete daraufhin die „Ärztekammer als einen zerstrittenen Haufen, der einen Außenfeind braucht.“ Walter Dorner nimmt das eher gelassen hin. Verärgert zeigt er sich jedoch darüber, welche Tabubrüche ELGA – in der jetzt geplanten Form – ermöglichen wird. „Das ist einmaliger staatlicher Angriff auf die ärztliche Verschwiegenheit und den Datenschutz.“ So hätte erst wieder eine vor wenigen Tagen im „British Medical Journal“ veröffentlichte Studie ergeben, dass es keine eindeutigen Vorteile für Patienten und keinen wahrnehmbaren Zusatznutzen für Ärzte im Fall der Vernetzung von Gesundheitsdaten gebe, wie dies auch schon in einigen Studien zuvor gezeigt werden konnte.

Zahlreiche Websites gehackt

Sicher ist hingegen, dass kaum eine Internet-Seite vor den Angriffen von Hackern gefeit ist – oder auch dass sensible Daten frei verfügbar im Netz sind. So waren erst vor wenigen Tagen die Patientendaten von rund 2.500 psychisch schwer kranken Menschen in Schleswig-Holstein frei im Internet abrufbar. Ganze Behörden- und Klinikbriefe sowie medizinische Befunde und psychologische Dokumentationen konnten für einige Zeit von Dritten heruntergeladen werden. Nahezu zeitgleich musste der deutsche Sportartikelhersteller Adidas nach einem Hackerangriff seine Internetseiten sperren. Dies fügt sich nahtlos in die Liste all jener Institutionen und Firmen ein, die in den letzten Wochen und Monaten gehackt wurden: Im Herbst dieses Jahres waren die Gesundheitsdaten von rund 600.000 Versicherten der Tiroler GKK frei im Internet verfügbar. Allein heuer wurden die Internetseiten der SPÖ, der FPÖ, der Grünen, des CIA, des US-Senats, die Regierungs-Website von Südkorea, jene der Italienischen Internetpolizei, der GIS (Gebühreninfoservice des ORF), Booz Allen Hamilton (Beraterfirma mit Verbindungen zum Pentagon), von Nintendo und Sony sowie die Facebook-Seite des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gehackt.

Im Gesetzestext selbst soll es – im Gegensatz zum Begutachtungsentwurf – noch einige Änderungen geben. So ist etwa eine verpflichtende elektronische Identitätsüberprüfung vorgesehen, kein Unterschied bei psychiatrischen Daten und genetischen Analysen, eine einfachere Widerspruchsregelung sowie eine längere Speicherungsdauer der Daten: Anstatt von drei Jahren wie bisher vorgesehen sollen es künftig zehn Jahre sein sowie ein Jahr statt sechs Monate bei der E-Medikation. Weiters sollen die Pflegeeinrichtungen eingebunden werden. Wenn ELGA heuer nicht mehr in den Ministerrat kommt, sei das für ihn, Stöger, „kein Problem“. Der Fahrplan sieht folgendermaßen aus: Österreichweit anwendbar soll ELGA Mitte 2013 sein; verpflichtend soll ELGA für Vertragsärzte und Krankenhäuser 2015 sein. 2017 sollen auch private Krankenanstalten eingebunden sein; 2022 auch Zahn- und Wahlärzte.

Vorgangsweise „grob fahrlässig“

Aus den Medien hat ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger vom überarbeiteten ELGA-Gesetzentwurf des Koalitionspartners erfahren, worüber er sich „befremdet“ zeigte. Die Vorgangsweise sei „grob fahrlässig“, betonte er und weiter: „Mit mir ist keine einzige Zeile akkordiert.“ Darüber hinaus habe es seit der Vorlage des Begutachtungsentwurfs im April keinen einzigen offiziellen Verhandlungstermin mit der ÖVP gegeben – weswegen er, Rasinger, eine Zustimmung der ÖVP auch ausschließt: „Das ist nicht genehmigungsfähig.“ Überdies seien die vom Minister genannten Kosten von rund 130 Millionen Euro bis Ende 2017 für die Errichtung und den Betrieb für ihn „durch nichts belegt“. Er gehe von Kosten von bis zu einer halben Milliarde Euro aus. Allein für die Software müssten bis 2015 rund 150 Millionen Euro aufgebracht werden. Einsparungen durch Doppeluntersuchungen sind nach Ansicht von Rasinger „durch nichts bewiesen“.

Zwischen Ärztekammer und Gesundheitsministerium vermitteln will nun Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (V). In einem Hörfunkinterview hatte er erklärt, ELGA würde viele Vorteile bringen; aber er nehme die Bedenken der Ärzte im Hinblick auf den Datenschutz ernst. Die Medienkampagne der Wiener Ärztekammer bezeichnete er als „verfrüht“; er wolle nun den von Stöger vorgelegten Gesetzesentwurf durcharbeiten und dann mit den Ärzten reden. „Am Ende wird ELGA aber kommen“, so Mitterlehner.

Interview – Johannes Steinhart

„Erste Hilfe gegen ELGA“

Die Inseratenkampagne der Ärztekammer für Wien ist die „Erste Hilfe“ gegen das geplante ELGA-Gesetz, das an den Ärzten vorbei in den Ministerrat gebracht werden sollte, erklärt der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Wien, Johannes Steinhart, im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Wieso prescht gerade die Ärztekammer für Wien in punkto ELGA mit dieser Inseratenkampagne vor?
Steinhart: Weil wir sehr schnell und sehr kurzfristig auf die bekannten Informationen reagiert haben, nämlich dass das nicht verhandelte Papier an uns Ärzten vorbei in den Ministerrat gebracht werden sollte. Sozusagen als ‚Erste Hilfe‘ haben wir dann diese Kampagne gestartet.

Sind die Ärzte tatsächlich ein zerstrittener Haufen, so dass Sie ein Feindbild brauchen, wie Minister Stöger meint?

Die Ärzte als einen zerstrittenen Haufen zu bezeichnen, ist lächerlich. ELGA ist ein komplexes Thema und es geht darum, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient aufrecht zu erhalten. Man sieht den Minister am Beginn seiner Hilflosigkeit. Wenn er uns beschimpft, zeigt das eigentlich nur, dass er keine Sachargumente hat.

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass gerade der Wirtschaftsminister zwischen Gesundheitsministerium und Ärztekammer vermitteln soll?
Die Rolle eines Mediators besteht darin, neutral und Ergebnis-offen zu mediieren. Aber Mitterlehner hat ja gleich zu Beginn gesagt, dass ELGA auf jeden Fall kommen wird.

Was muss sich ändern, damit ELGA auch für die Ärzte akzeptabel ist?
ELGA muss freiwillig sein – und zwar für den Arzt und auch für den Patienten. ELGA muss insgesamt zurück an den Start. Es kann dann sicherlich nicht um politische Verhandlungen gehen, sondern es muss echtes Projektmanagement sein. So wie ELGA jetzt geplant ist, ist es dümmlich und nicht ausgereift. Man muss auch uns Ärzte fragen: Wie braucht Ihr das? Welche Funktionen muss das erfüllen?

Wieso ist die verpflichtende Teilnahme an ELGA – so wie sie jetzt vorgesehen ist – aus Ihrer Sicht problematisch?
Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Datensätze, die es gibt. Schon seit Hippokrates gibt es das Schweigegebot für uns Ärzte, und es ist mit höchsten Strafen belegt, wenn es gebrochen wird. Nur weil man hier die IT-Industrie bedienen will, soll dieses Gebot gebrochen werden. Was hier als Patientennutzen und unter dem Sicherheitsaspekt präsentiert wird, ist nichts Anderes als ein Kontroll- und Rationalisierungsprojekt. Bei der Post wird alles privatisiert und im Gesundheitswesen wird um jeden Preis verstaatlicht.

Investitionskosten für Ärzte und Krankenhäuser

Investitionskosten für Gesundheitsdiensteanbieter (GDA)

Summe in Euro

Ordination Vertragsarzt

2.200,-

Ordination Vertragsarzt mit Radiologie

7.300,-

Ordination Wahlarzt ohne VU

2.600,-

Radiologie-Institut

11.500,-

Laborinstitut

32.500,-

Apotheken

3.300,-

Spital mit > 1.000 Betten

230.500,-

Spital mit 200 – 999 Betten

136.500,-

Spital mit < 200 Betten

80.900,-

Pflegeheim

2.600,-

(Quelle: KDA ELGA – Monetäre Quantifizierung der Kosten und des Nutzens der Kernanwendungen mit den Methoden einer Kosten-Nutzen-Analyse, Prof. Dr. Heiko Burchert, Debold & Lux, 2008, Seite 25)

Haupt-Kritikpunkte der ÖÄK an ELGA

  • Im Zusammenhang mit der E-Medikation, der ersten ELGA-Anwendung, hatte Gesundheitsminister Alois Stöger den Ärzten versichert, zuerst die Evaluierung des Pilotprojekts E-Medikation abzuwarten. Eine Beschlussfassung des ELGA-Gesetzes ist daher erst nach der Berücksichtigung der Evaluierungsergebnisse geboten. Darüber hinaus hat der Minister den Ärzten in einer Besprechung am 7. September 2011 erklärt, dass „das E-Medikationsprojekt nur fortgesetzt wird, wenn die Ärzte eine positive Beurteilung zum Piloten abgeben.“
  • Mehreren Studien zufolge ist der medizinische Nutzen von ELGA weder offenkundig noch gewährleistet. Was die Einsparungspotentiale im Hinblick auf Mehrfachuntersuchungen anlangt, so ergab eine von Prof. Rürup in Deutschland erstellte Studie, dass es diese Einsparungspotenziale zwar gibt, aber „stark überschätzt werden.“
  • Aufgrund der aktuellen und allgegenwärtigen Problematik der Datensicherheit darf der Datentransfer für niedergelassene Ärzte ausschließlich via PPG/GIN erfolgen.
  • Datenschutzrechtlich wird die Zustimmung/Freiwilligkeit für die Teilnahme an ELGA verlangt; deswegen ist ein Opt in-System geboten. Ein Opt out-System (vorweg verpflichtende Teilnahme) stellt einen Grundrechtseingriff dar. Weiters muss ausgeschlossen werden, dass Befunde automatisch ohne die Zustimmung des Patienten in ELGA aufgenommen werden.
  • Die Paragraphen 51 und 54 des Ärztegesetzes bauen auf einem System der gerichteten Kommunikation auf und entsprechen damit einem Opt in-System. Alles andere steht in einem Aufklärungs-bedürftigen Widerspruch zur geltenden und Jahrzehnte-lang bewährten Rechtslage.
  • In punkto Verantwortlichkeit und Haftung werden durch ELGA neue Haftungskonstellationen geschaffen, vor allem im Hinblick auf Teilnahme/Verwendungspflicht, Datenausblendungen, Nachfragepflichten, Aufklärungspflichten, Dokumentation etc.
  • Eine Akzeptanz der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ist nur dann zu erzielen, wenn ihre Teilnahme auf freiwilliger Basis erfolgt.
  • Keine Blanko-Verordnungsermächtigungen für den Minister
  • Da ELGA ein öffentliches Infrastrukturprojekt ist, müssen die dafür notwendigen Kosten auch von der öffentlichen Hand getragen werden. Sämtliche Kosten sowie die Frage, wer die Kosten übernimmt, müssen vor Beschlussfassung des Gesetzes verbindlich geklärt und im Gesetz geregelt werden sowie für Kassenärzte gesamtvertraglich werden. Den Ärzten dürfen dadurch jedenfalls keine zusätzlichen Kosten entstehen

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2011